Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Einfrieren statt speichern

Die Erfassung der Daten aller Bür­ge­r:in­nen jederzeit war ein klar unverhältnismäßiges Gesetz. Politisch machbar ist nur die Quick-Freeze-Regelung.

Ein Augenpaar

Big Brother is watching you – aber zumindest nicht ohne strenge Regeln Foto: brophoto/plainpicture

Stellen Sie sich vor, dass die Post auf staatliche Anweisung speichert, wem Sie Briefe schreiben und von wem Sie Briefe erhalten. Oder falls Sie jünger sind und keine Briefe mehr schreiben: Stellen Sie sich vor, dass die Internetfirmen auf staatliche Anordnung speichern, welche Streamingdienste Sie abonniert haben, wann Sie einschalten und wann Sie sich wieder ausloggen.

Vielleicht denken Sie: Das ist ja krass, Ich habe zwar nichts zu verbergen, aber deshalb muss ich noch lange nicht mein Privatleben erfassen lassen. Doch genau das ist seit 2015 eigentlich Pflicht für die Telekom-Verbindungsdaten. Die gesetzliche Ansage war: Telefonfirmen müssen speichern, wen Sie wann, wie lange angerufen haben. Und Internetfirmen müssen festhalten, wann Sie im Netz mit welcher IP-Adresse unterwegs waren. Betroffen wäre die gesamte Bevölkerung – rund um die Uhr.

Das nennt sich Vorratsdatenspeicherung: die Erfassung der Daten aller Bür­ge­r:in­nen für den Fall, dass die Polizei doch mal einzelne Daten brauchen kann. Das Gesetz war so offensichtlich unverhältnismäßig, dass es schon vor der ersten Anwendung von deutschen Gerichten ausgesetzt wurde. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) – völlig absehbar – entschieden, dass das deutsche Gesetz gegen EU-Recht verstößt.

Damit könnte die Debatte über die Vorrratsdatenspeicherung eigentlich enden. Das Gegenteil ist richtig. Sie wird nun neu beginnen. Denn der EuGH hat die Vorratsspeicherung nicht generell verboten. Er hat vielmehr zahlreiche begrenzte Formen der Vorratsdatenspeicherung zugelassen. Strenger ist da der Koalitionsvertrag der Ampel­regierung. Während der EuGH die anlasslose Speicherung der IP-Adressen zulässt, schließt dies der Koalitionsvertrag aus.

Darauf kann sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) berufen. Und er wird davon sicher nicht abgehen, denn der Kampf gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gehört ebenso zum Markenkern der FDP wie die Liebe zur Schuldenbremse. Deshalb hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie streitet mit Buschmann bis zum Ende der Wahlperiode über die Auslegung von EuGH-Urteil und Koalitionsvertrag und nichts passiert.

Oder sie akzeptiert das Angebot von Buschmann, der bereit ist, eine Quick-Freeze-Regelung einzuführen, die die Polizei auch bei Ermittlungen zum Beispiel gegen Missbrauchsdarstellungen von Kindern nutzen kann. Bei Quick Freeze würden Daten nicht auf Vorrat gespeichert, sondern eingefroren, damit sie nicht vorschnell gelöscht werden. Die Innenministerin kann nun entscheiden, ob sie sofort mit Buschmann reale Verbesserungen für die Polizei einführt. Oder ob sie lieber auf die nächste Koalition mit der CDU wartet, um eine anlasslose Speicherung aller IP-Adressen zu beschließen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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