Debatte um Schulwegsicherheit in Berlin: Durchfahrt für Elterntaxis verboten

Um Kindern einen sicheren Weg zur Schule zu ermöglichen, darf man umliegende Straßen zeitweilig sperren. Doch warum wird das nicht gemacht?

Kinder mit Schulränzen auf dem Weg zur Schul

Au­to­fah­re­r*in­nen aufgepasst: Am Samstag beginnt auch für die neuen Erst­kläss­le­r*in­nen die Schule Foto: dpa

BERLIN taz | Die Schule hat wieder angefangen. Für viele Eltern ist das nach den Sommerferien eine Entlastung im Alltag, gleichzeitig ist der Schulweg ihrer Kinder mit Ängsten verbunden. Berechtigten Ängsten, denn immer wieder kommt es zu teils schweren Verkehrsunfällen. Erst im Juli starb ein Fünfjähriger, nachdem er von einem Autofahrer an der Wichertstraße in Prenzlauer Berg erfasst wurde. Viele Mütter und Väter reagieren darauf, indem sie den Nachwuchs mit dem Auto bis vor die Schule fahren – und als „Elterntaxis“ die Probleme nur noch verstärken.

Oda Hassepaß, grüne Fraktionssprecherin für Fuß- und Radverkehr, hatte am Donnerstag zu einem Fachgespräch „Schulwegsicherheit“ in ihr Pankower Abgeordnetenbüro eingeladen. Das Fazit des Abends: Vor allem bei der Infrastruktur muss viel mehr getan werden – und eigentlich sind die Voraussetzungen dafür längst geschaffen. Wenn zu wenig geschieht, liegt es offenbar mehr an der Trägheit des Systems und seiner AkteurInnen als an strukturellen Hindernissen.

„Eltern und andere Angehörige sollen keine Angst haben, wenn sie Blaulicht auf der Straße sehen“, sagte Hassepaß, die bis zum Beginn der Legislaturperiode stellvertretende Vorsitzende der grünen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobilität war. Ein Referent der Abgeordneten präsentierte Zahlen zur Thematik: Im Schnitt werden im Bezirk Pankow 20 Kinder pro Jahr bei Verkehrsunfällen schwer, 80 bis 90 leicht verletzt. Pankow ist sogar Spitzenreiter in Sachen Unfallhäufigkeit: In den Jahren 2019 und 2020 „führte“ der Bezirk bei der Zahl der Unfälle pro 1.000 Kinder.

Als Gegenmaßnahme forderte Hassepaß die Einrichtung von „Schulstraßen“ – temporäre Straßensperrungen rund um die Eingänge von Grundschulen. Rot-Grün-Rot hat sie sich sogar in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, entstanden sind aber noch keine. „Das muss jetzt losgehen“ – diesen Appell richtete die Abgeordnete an die Bezirke.

Gelder habe die Koalition für entsprechende Maßnahmen ausreichend freigemacht, „das Argument lasse ich nicht mehr gelten“. Auch ein Leitfaden für die Anordnung von Schulstraßen sei bei der Verkehrsverwaltung in Arbeit.

Gefahrenquellen werden nicht beseitigt

Die im Mobilitätsgesetz verankerte Forderung, dass jedes Bezirksamt jährlich an mindestens zehn Stellen Gefahrenquellen beseitigt, um die Schulwegsicherheit zu erhöhen, komme nicht ausreichend zur Anwendung, so die Grüne. Eine parlamentarische Anfrage habe gezeigt, dass das Engagement sehr unterschiedlich ausgeprägt sei: „Da müssen wir noch mehr Druck machen. Wenn es da steht, muss es auch umgesetzt werden.“

Für Ragnhild Sørensen von Changing Cities (CC) eine Steilvorlage, schließlich hat der Verein neben seinen Aktivitäten zur Unterstüzung der Kiezblock-Bewegung gerade erst eine neue Kampagne gestartet: „100 autofreie Schulzonen pro Jahr“ lautet die Forderung. Im Grunde unterscheidet sich das Konzept dieser Zonen von dem der „Schulstraßen“ nur durch die zeitliche Ausdehnung der Sperrungen – die sollen laut CC jeden Tag vor Unterrichtsbeginn starten und erst nach Schulschluss enden. So könnten die Schulen auch den entstandenen Raum mitnutzen.

Ob die Schulleitungen ihre Schutzbefohlenen tatsächlich aus dem Pausenhof auf die – autofreie – Straße entlassen würden, sei dahingestellt. Wie aber eine Vertreterin des Pankower Polizeiabschnitts 13 anmerkte, befinden sich nicht wenige Schulen in einem Umfeld, das die komplette Verkehrsberuhigung deutlich erschweren dürfte: Beispielsweise liege die freie Gemeinschaftsschule „SchuleEins“ in der Pankower Hadlichstraße nicht nur neben dem Polizeiabschnitt, sondern auch neben dem Krankenhaus, und der BVG-Bus fahre ebenfalls vorbei.

Dass Sperrungen an Hauptstraßen komplizierter seien, räumte Sørensen ein. Sie verwies aber darauf, dass die meisten der Berliner Grundschulen an Nebenstraße lägen. Wichtig sei, jetzt endlich loszulegen, so die Sprecherin: „Der öffentliche Raum ist kein Raum für Kinder, und das muss sich ändern.“ Mit dem Verteilen von Reflektoren und dem Propagieren von Fahrradhelmen sei es nicht getan, das eigentliche Problem sei die Infrastruktur.

Temporäre Schulzonen als Protestveranstaltung

Changing Cities ist für seine öffentlichkeitswirksamen Aktionen bekannt – und unter PolitikerInnen berüchtigt. Diesmal unterstreicht der Verein seinen Appell mit temporären „Schulzonen“ am 31. August, die vor insgesamt 15 Schulen als Demonstration angemeldet wurden. Am 22. September soll eine zweite Runde folgen.

Auf die Frage der taz, ob für Autos gesperrte Bereiche vor Schulen den Elterntaxi-Stau nicht bloß um wenige hundert Meter verschieben würden, kam von Oda Hassepaß übrigens ein klares Nein: Der Verkehr werde sich nach einer Übergangszeit massiv reduzieren. „Ich glaube, dass man die Spirale damit durchschneidet“, sagte die Grünenabgeordnete.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.