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Atomarer Grünen-Stresstest

Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck zwei Akws in Reserve halten will, müssen einige Grüne erst mal verdauen. Zum Aufstand kommt es aber nicht. Scharfe Kritik üben FDP und CDU

Einerseits, andererseits: Das Hintertürchen AKW-Laufzeitver­längerung steht offen Foto: Bernd Elmenthaler/imago

Von Tobias Schulze
, Nadine Conti
, Jasmin Kalarickal
und Sabine am Orde

Euphorisch ist Asta von Oppen am Dienstag nicht. „Wir haben so lange auf den 31. 12. als Termin für den Atomausstieg hingearbeitet. Dass er aufgeweicht wird, ist bitter“, sagt sie. Man kann von Oppen als Urgestein der Anti-Atom-Bewegung bezeichnen: 1977 demons­trierte die Wendländerin erstmals gegen das Endlager in Gorleben, seitdem kämpft sie als Aktivistin gegen die Kernkraft, nebenbei ist sie auch noch bei den Grünen aktiv – als Koordinatorin einer Basisgruppe zur Atompolitik. Dass Vizekanzler Robert Habeck die Lebenszeit zweier Kraftwerke verlängern und sie über das Jahresende hinaus in der Reserve halten will, muss sie erst mal verdauen.

Einerseits. Andererseits: Immerhin werde erst mal nichts aus dem Streckbetrieb. Immerhin habe Habeck klargemacht, dass er über den Winter hinaus nicht am Ausstieg rütteln werde. Und immerhin hätten ihm Union und FDP ordentlich Druck gemacht. „Wir werden die Kröte Reservebetrieb wahrscheinlich schlucken“, sagt von Oppen. Für den Parteitag Mitte Oktober hatte ihr Arbeitskreis einen Antrag gegen Kompromisse bei der Atomkraft vorbereitet. Was sie nun damit machen, müssen die Mitglieder erst noch beraten. Auf volle Breitseite gegen Habeck und die Parteispitze wird es aber kaum rauslaufen.

Der große Showdown bei den Grünen, für den Fall von Zugeständnissen beim Atomausstieg von vielen vorhergesagt, könnte ausfallen. Es hätte anders ausgesehen, wenn die Spitzen-Grünen aus dem Ergebnis des Atom-Stresstests die Notwendigkeit abgeleitet hätten, die drei verbliebenen deutschen Kraftwerke ohne Wenn und Aber länger am Netz zu lassen. Robert Habeck selbst hätte mit so einem Streckbetrieb womöglich keine großen Probleme gehabt. Seine Grünen hätten ihm aber – anders als bei anderen unbequemen Entscheidungen der letzten Monate – die Gefolgschaft versagen können.

Während des Wartens auf das Stresstestergebnis grummelte schließlich nicht nur die Parteibasis. Prominente Grüne wie Jürgen Trittin sprachen sich öffentlich gegen längere Laufzeiten aus. Hinter den Kulissen klangen auch andere Spitzen-Grüne skeptisch. Der Kompromiss namens Reservebetrieb dagegen sorgt jetzt für wenig Aufregung.

Mit der Fraktions- und Parteiführung war der Vorschlag ohnehin abgestimmt. Als Habeck am Montagnachmittag auch die grünen Bundestagsabgeordneten informierte, war deren Reaktion überwiegend verständnisvoll. In einer Videokonferenz mit Landes- und Eu­ro­pa­po­li­ti­ke­r*in­nen am gleichen Tag gab es dem Vernehmen nach etliche fachliche Nachfragen, aber ebenfalls keinen Aufstand. Die Stimmung wird als konstruktiv bezeichnet. Öffentliche Einwände gegen den Reserveplan aus den eigenen Reihen? Fehlanzeige.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Kraftwerke aus der Reserve tatsächlich wieder hochgefahren werden, sehr gering ist. Der Bundestag stimmt dem Modell zufolge dem Weiterbetrieb nur für den Fall zu, dass Extrembedingungen wirklich eintreten und die Netzstabilität konkret gefährdet ist. Beim Streckbetrieb hätte er dagegen einen Freifahrtschein ausgestellt; die AKWs hätten auch dann weiterlaufen können, wenn der Worst Case gar nicht erfüllt ist. Dass dieses Szenario abgewendet ist, reicht vielen Grünen jetzt aus.

„Habeck muss sich gegen die Ideologen in seiner Partei durchsetzen“

Konstantin Kuhle (FDP), Bundestagsfraktionsvize

Während der Kompromiss nach innen den Frieden wahrt, sorgt er allerdings von außen für Ärger. Einerseits von den Umweltverbänden: Der Reservebetrieb sei „unnötig und ignoriert Sicherheitsrisiken“, sagte am Dienstag BUND-Chef Olaf Bandt. Seine Organisation prüft jetzt rechtliche schritte. Von der anderen Seite schießen sich Atomkraft-Befürworter*innen weiter auf die Grünen ein.

Sogar innerhalb der Ampel: Der FDP geht die Habeck-Lösung lange nicht weit genug. Sie fordert einen Weiterbetrieb aller drei AKWs bis mindestens 2024. Habeck müsse sich „gegen die Ideologen in seiner Partei durchsetzen“, schrieb Bundestagsfraktionsvize Konstantin Kuhle auf Twitter. Fraktionschef Christian Dürr betonte mehrfach, dass ein Weiterbetrieb nötig sei, um den Strompreis zu senken. Ganz nah sind die Liberalen damit bei ihrem ehemaligen Lieblingspartner, der Union. Auch sie kritisiert Habecks Entscheidung erwartungsgemäß scharf. Der Vorwurf: ideologiegetriebene Politik. „Deutschland steuert auf eine massive Energieversorgungskrise zu, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, verschärft durch völlig absurde Entscheidungen dieser Bundesregierung“, sagte Parteichef Friedrich Merz im Deutschlandfunk.

All das hat sicherlich auch mit Niedersachsen zu tun. Dort wird im Oktober ein neuer Landtag gewählt. Nirgendwo sonst sind die Grünen so tief in der Anti-AKW-Bewegung verwurzelt wie. Kaum ein anderer Landesverband sah einen möglichen Streckbetrieb so kritisch. Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg bemüht sich jetzt erkennbar, der Basis den Habeck’schen Lösungsvorschlag schmackhaft zu machen – und ihn gleich noch ein Stückchen kleiner zu reden: Nur „unter sehr unwahrscheinlichen Voraussetzungen könnte die Netzstabilität in Süddeutschland gefährdet sein“. Die Atomkraft-Reserve sei eine verantwortliche Vorsorge, „wenngleich wir sie am Ende sehr wahrscheinlich nicht brauchen“.