piwik no script img

Energierechnungen verweigernDas Mütchen wärmen

Gegen die auf Unterschichten abgewälzten Teuerungen gibt's in Großbritannien die Initiative „Don’t pay, UK“. Im Schuldturm wäre es wenigstens warm.

Reaktivier- und beheizbar: Schuldturm bei Nürnberg Foto: Erika Nacke/imago

Wer kennt ihn nicht, den wohl ältesten Traum der Menschheit, und wir reden nicht vom Fliegen. Das haben wir schließlich längst zufriedenstellend gelöst, im Paket mit Speedy Boarding und zusätzlicher Beinfreiheit. Nein, die Rede ist vielmehr von einer derart verlockenden und alles verändernden Utopie, dass im Vergleich die von den Gläubigen herbeigebarmte Ankunft des Heilands auf Erden nur ein Postbote ist, der ein Paket mit Hundefutterdosen für die Nachbarn bringt: einfach unsere Rechnungen nicht zu bezahlen.

In Großbritannien rückt der Traum nun näher. Wegen der allgemein steigenden Lebenshaltungskosten hat sich dort die Initiative „Don’t pay, UK“ gegründet, die dazu aufruft, ab dem ersten Oktober die Strom- und Gasrechnungen nicht mehr zu bezahlen, sollten Regierung und Energieunternehmen bis dahin nicht für erschwingliche Energiepreise gesorgt haben. Dabei haben die dort noch nicht mal eine Gasumlage.

Apropos, wie sähe das denn hierzulande aus: Wenn eine deutsche Initiative beispielsweise unter dem Namen „Nicht latzen, ihr Bratzen!“ zur Zahlungsverweigerung aufriefe, was dann? Womöglich würde die Stimmung hier noch stärker kippen als in Großbritannien, allein aufgrund unserer jüngsten, erschreckend schönen Erfahrungen mit dem Nicht- beziehungsweise Kaumbezahlen.

Da hat Finanzminister Christian Lindner nämlich völlig recht. Unsere Zahlungsmoral hat ohnehin schon gefährliche Schlagseite erhalten – zu viele haben sich bereits ans von Mami Staat großzügig dargereichte Zuckerbrot gewöhnt. Man hat uns verhätschelt wie dicke kleine Kinder. Neid, Gier und Gratismentalität haben unsere Seelen zerfressen. Wir haben jetzt drei Monate lang die Welt gesehen, vom Bodensee bis zur Uckermark, ohne zu bezahlen, und werden wohl niemals wieder auf diese bedingungslose, naive Gefügigkeit zurückfallen, wie sie uns Untertanen in der Vorstellung der Mächtigen am besten zu Gesicht steht. Wir sind sehend geworden; die aus zahllosen Umstiegen von einer überfüllten Regiobahn in die andere gewonnene Erfahrung, Reife und bürgerliche Mündigkeit können sie uns nie mehr wegnehmen.

Mahnungen, Säumnisaufschläge, Gefängnis

Doch gegen den Zahlungsboykott spräche wohl noch immer die German Angst. Die Einzelne kann schwer dagegen anstinken. Wie oft hab ich laut geschrien, „das seh ich nicht ein, ich zahl das nicht“, und hab in meiner Ohnmacht am Ende immer brav geblecht. Dazu kommt, dass der vormals positiv besetzte zivile Ungehorsam in den letzten Jahren zunehmend vom Ruch des spinnerten, pauschalisierenden und destruktiven Antidemokraten zugestänkert wurde.

Aber das ist Deutschland. Den britischen Initiatoren möchte man die Daumen drücken, und sehen, was passiert. Im Normalfall dies: Es gibt Mahnungen, Säumnisaufschläge, Schulden werden eingefordert, weiter nicht bezahlt, Leistungen eingestellt, Urteile ergehen, Zwangsgelder können nicht eingetrieben werden, und am Ende werden die Hartnäckigsten eingesperrt. Vielleicht haben sie es dann wenigstens warm.

Doch was ist, wenn sich so viele Menschen daran beteiligen, dass der reiche Rest komplett als Gefängnispersonal herhalten muss? Die hätten womöglich gar keinen Bock drauf, 24/7 Zahlungsverweigerer zum Hofgang durchzuschließen, anstatt schön im Golfklub Hugo zu trinken. Wie viele Leute kann man also einsperren – in den USA läuft dazu schon lang ein Feldversuch –, ehe das System kollabiert, weil mehr Menschen drinnen als draußen sind? Allerdings müsste es Vorreiter geben, die es darauf ankommen lassen. Und entgegen der Redensart beißen die Hunde immer die Ersten. Es braucht also viel Mut. Aber woher soll der kommen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Aktion in D: "Energiemarkt selbst regulieren"



    Anwärmen (für Eigenbezieher von Strom und Gas) - könnte z. B. heißen, dass zuerst einmal massenweise die Daueraufträge bzw. Abbuchungsgenehmigung aufgehoben werden. Die "Versorger" werden sich fragen, was das zu bedeuten haben könnte. Wieviel von ihrer Rechnung werden sie wann bekommen? Die Kunden werden massenweise um Stundungen bitten. Mit möglichst viel Hinundher. Die Arbeitsbelastung bei den "Versorgern" steigt wegen der daraus resuktierenden Verhandlungen exorbitant an. Die den Energiemarkt selbstregulierenden Verbraucher bleiben dabei immer im Bereich, in dem Versorgungssperren noch nicht zulässig sind. Damit mindern sie den Geldfluss zu den "Versorgern" und könnten bewirken, dass durch den Druck, der von diesen auf die Politik weiter gereicht wird, ausreichend entlastende Regeln getroffen werden.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @31841 (Profil gelöscht):

      Bis zu 15 Prozent: Stadtwerke rechnen wegen der steigenden Energiepreise mit hohen Zahlungsausfällen



      „Das wird dann bedrohlich“

      www.businessinside...ahlungsausfaellen/

      An der Schraube ließe sich gewaltfrei Druck aufdrehen durch Erhöhung des Verwaltungsaufwands.

  • Spätestens beim Lindner-Verweis war ich nicht mehr sicher, ob das Satire sein soll, oder ob die FDP-taz - nach diversen "iih, arme Menschen in der Bahn"-Beiträgen - neue unappetitliche Höhen erklommen hat.



    Dass der Autor beim "einfach nicht zahlenden" Kunden "vergisst", dass der Lieferant zuvor willkürlich die Preise verfünfacht hat, und der Kunde teils zwischen heizen und essen wählen soll, spricht leider eher für letzteres...

    Angesichts, dass GB überwiegend im eigenen Land gefördetes Gas verheizt, dürfte die Bevölkerung für die dortige "das ist der Markt, da kann man nichts machen"-Politik noch weniger Verständnis haben, als hierzulande für die Ausflüchte von Gas-Robbie aufgebracht wird.

  • Anyway. Danke fürs Fotto =>



    Schuldturm mit Aborterker - 🙀🥳😂 -

    Genau Genau - “Drauf geschissen!“ - 👹 -



    Besser kann frauman 's nicht sagen!



    —-servíce —



    Der Aborterker (auch: Abtritterker) ist ein Erker, der im Mittelalter in einer Burg oder an einem Wohngebäude als Toilette diente. Der Aborterker wird oft mit dem Wehrerker verwechselt.



    de.wikipedia.org/wiki/Aborterker

    unterm—— aus dem Skat —



    “Klar - hing bei uns noch - mit Bretterverlängerung bis auf den Schulhof! Da konnteste prima



    Fallhöhen&Akustik-Physik betreiben!“



    De Ohl *03 zu (s)meinem Katzenmuseum - einem von Bukenhagen reformierten Fransikaner-Kloster in Lübeck - an der Königsstraße gelegen.(Barlach-Figuren anne Kark!!!)



    Schade - nur noch der Vermauerungsreste angesichtig geworden. Dahinter befanden sich passenderweise die Biologie-Räume;)



    de.m.wikipedia.org...um_L%C3%BCbeck.jpg



    Hier ahnt frauman noch gewisse architektonische Eigenheiten! Liggers.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Wer im Schuldturm hockt, hat doch längst verkackt...

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Liggers. Aber - wie sagt der Jurist - “das kommt drauf an!“

        Lockenstritz Rotfuchs Bübchen



        (“Wat dett nennt sich Wehnachtsboom?!



        Nichemal was zu Fressen dran!“ Hatte er doch vorjahrs abrißbedingt - einen formidablen Volant-Brand inszeniert) - verschlug es - nachdem der 🚬 🚬handel post WK II abgewickelt war (Sprachkenntnisse in allen 4-Sektoren können von Vorteil sein - Berlin nicht Wien!) an die Sarbonne & Däh “Sitze im Schuldturm - löse mich bitte aus!“ “Habe selber kein Geld. Sieh zu - wie du zurechtkommst! Deine Mutter“. Ja. Tante Liese Dr. rer.oek - ein Eisenfuß. Doch. - Nach einem schwunghaften Teppichhandel 🇸🇦 - Paris - schlug das Unglück erst richtig zu: fiel er einem US-Girl in die Hände & endete als 🧮 Prof. in Berkeley.



        Tja - so kann‘s gehn - wa!

  • Na da bin ich aber mal gespannt, wie die Brexiteers dafür jetzt wieder die EU verantwortlich machen werden...

  • Was soll das?



    Wer seine Nebenkosten nicht an den Vermieter zahlt, riskiert eine fristlose Kündigung.



    Wer Strom und Gas nicht an die Lieferanten bezahlt, dem dreht man Strom oder Gas ab.



    Und es wird samt der Mahngebühren und Zuschläge erheblich teurer.



    Die Stadtwerke können nichts dafür, dass der Gaspreis durch die Decke geht, Vermieter auch nicht.

  • Die Deutschen sind viel zu obrigkeitshörig und leiden noch immer am Untertanendenken, um so etwas wie in UK durchzuziehen.