Regierungskrise in Italien: Neuwahlen im Oktober

Die Rechtsfraktionen und die Fünf-Sterne-Bewegung verweigern Italiens Premier Mario Draghi die Gefolgschaft. Seine Regierung ist am Ende.

Mario Draghi faltet die Hände vor dem Gesicht und blickt nach unten

Am Ende: Die breite Koalition von Italiens Premier Mario Draghi existiert nicht mehr Foto: Gregorio Borgia/dpa

ROM taz | Italiens Regierung unter Ministerpräsident Mario Draghi ist am Ende. Am Mittwochabend endete die Vertrauensdebatte im Senat mit einem in der Form positiven Votum, weil weder die Fraktion der Fünf Sterne noch auch die Rechtsfraktionen von Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega sich an der Abstimmung beteiligten und damit zwar eine Mehrheit von 95 Se­na­to­r*in­nen mit Ja stimmte, während es nur 39 Nein-Stimmen gab.

In der Sache jedoch war das Resultat völlig eindeutig: Draghi fehlen in dem 320 Mitglieder zählenden Senat die nötigen Stimmen, die ihm ein Weitermachen erlaubt hätten. Die ihn bisher tragende überaus breite, von rechts bis links reichende Notstandskoalition existiert nicht mehr.

Ausgelöst worden war die Regierungskrise am Donnerstag letzter Woche, als das Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) bei einer Vertrauensabstimmung über ein Hilfspaket für Unternehmen und Bür­ge­r*in­nen nicht teilgenommen hatte, weil es sich daran störte, dass sich in diesem Paket auch ein Passus fand, der dem Bürgermeister von Rom Sondervollmachten zum Bau einer Müllverbrennungsanlage einräumte.

Zwar erklärte das M5S umgehend, es habe keineswegs vor, der Regierung Draghi auf diesem Weg das Misstrauen auszusprechen. Draghi jedoch interpretierte den Affront als Aufkündigung des „Paktes des Vertrauens“, der die Arbeitsgrundlage seiner Regierung der nationalen Einheit gewesen sei, und reichte noch am gleichen Tag bei Staatspräsident Sergio Mattarella seinen Rücktritt ein. Mattarella aber lehnte die Demission zunächst ab und erlegte dem Regierungschef auf, sich noch einmal einer Parlamentsdebatte und im Zweifelsfall auch einem erneuten Vertrauensvotum zu stellen.

Draghi blieb bei seinen Bedingungen

Diese zweite Runde der Regierungskrise ging am Mittwoch über die Bühne – und zunächst schien es so, als könne sich wieder eine breite Mehrheit hinter Draghi scharen. Der Ex-Chef der EZB nämlich zeigte sich in seiner Erklärung vor dem Parlament durchaus bereit weiterzumachen. Als Hauptgrund für seinen Sinneswandel führe er den „beispiellosen“ Druck an, den die Zivilgesellschaft auf ihn ausübe, damit er am Ende doch nicht das Handtuch werfe.

Explizit nannte er den von 2.000 Bür­ger­meis­te­r*in­nen des Landes unterzeichneten Appell, er möge im Amt bleiben, sowie einen Appell mit gleichem Tenor, verfasst von den Ver­tre­te­r*in­nen diverser Organisationen des ärztlichen und des pflegerischen Personals im Gesundheitswesen.

Ganz ähnlich hatten sich jedoch auch die Chefs der Rektorenkonferenz und des Olympischen Komitees, die Bischöfe sowie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, die auf den Feldern Bürgerrechte und Umwelt tätig sind, geäußert, ebenso wie Unternehmer, Gewerkschaften oder der größte Einzelhändlerverband.

Draghi reichte das, um seine Bereitschaft zum Verbleib im Amt zu äußern, nicht aber dazu, seine Bedingungen zu modifizieren. Es sei jetzt an den Parteien, den die Regierung tragenden „Pakt des Vertrauens zu erneuern“, führte er im Senat aus. Zugleich fügte er hinzu, er sei nicht bereit, Querschüsse aus den ihn tragenden Fraktionen hinzunehmen. Explizit nahm er dabei nicht nur die Fünf Sterne ins Visier, sondern auch und vor allem die rechtspopulistische Lega, der er zum Beispiel vorwarf, die anstehende Reform des Katasters bisher hintertrieben zu haben.

Italiens Rechte ist für die Neuwahlen gut aufgestellt

Damit wiederum war für Lega-Chef Salvini das Tischtuch zwischen ihm und Draghi zerschnitten. Die Lega und Forza Italia forderten von Draghi – der für sein gegenwärtiges Kabinett ums Vertrauen ersucht hatte – ultimativ, er könne als Ministerpräsident im Amt bleiben, aber nur mit einer „neuen Regierung“, aus der die Lega auch ihr nicht genehme Kabinettsmitglieder wie die Innenministerin Luciana Lamorgese und den Gesundheitsminister Roberto Speranza gekegelt sehen wollte.

Dieses Ultimatum jedoch wollte Draghi seinerseits nicht hinnehmen. Er verlangte das Vertrauen zu einer Resolution, die in bloß einer Zeile erklärte, das Parlament stelle sich hinter den Regierungschef, ohne die ultimativen Forderungen der Rechten überhaupt zu erwähnen. Damit war das Schicksal der Regierung besiegelt, da Lega und Forza Italia ihrerseits das Vertrauensvotum verweigerten.

Für Italien heißt das: Neuwahlen voraussichtlich am 2. Oktober. Bestens aufgestellt für die Wahl ist Italiens Rechte, die am Mittwoch erstmals wieder seit Beginn der Regierung Draghi im Februar 2021 geschlossen auftrat, da auch die bisher schon oppositionelle postfaschistische Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) wenig überraschend bei ihrem Nein zu Draghi blieb.

FdI liegt in den gegenwärtigen Meinungsumfragen bei 22 bis 24 Prozent, der gesamte Mitte-Rechts-Block könnte etwa 50 Prozent einfahren und dank des geltenden Wahlrechts eine klare Mehrheit im Parlament erobern. Weit düsterer sind dagegen die Aussichten für die Parteien links der Mitte: Die gemäßigt linke Partito Democratico (PD) und die Fünf Sterne haben sich über der Frage der Haltung zur Regierung Draghi tief zerstritten; ein Wahlbündnis zwischen ihnen erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.