Ampel einigt sich auf Wahlrechtsreform: Der Bundestag soll kleiner werden

Die Ampel hat sich auf Eckpunkte einer Wahlrechtsreform verständigt, Überhang- und Ausgleichsmandate sollen wegfallen. Die Union will dagegen klagen.

Der Bundesadler im Plenarsaal des Bundestages

Der Bundestag soll weniger Mitglieder haben Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Die Ampel-Fraktionen wollen bis zum Ende des Jahres das Wahlrecht reformieren und so dafür sorgen, dass der Bundestag bei der nächsten Wahl wieder kleiner wird. „Wir werden im September einen Gesetzesentwurf vorlegen, bis zum Ende des Jahres soll die Wahlrechtsreform stehen“, sagte der Grüne Abgeordnete Till Steffen der taz. Steffen ist der Obmann seiner Fraktion in der Wahlrechtskommission des Bundestags, die Eckpunkte für eine Reform erarbeiten soll. Am Donnerstag Nachmittag kommt sie dazu zu ihrer nächsten Sitzung zusammen.

Seit langem ringen die Fraktionen im Bundestag um einen Weg, wie die Zahl der Abgeordneten wieder verringert werden kann – viele Jahre lang ohne Erfolg. Eigentlich sind 598 Sitze vorgesehen, mit aktuell 736 Abgeordneten ist der Bundestag aber inzwischen eines der größten Parlamente der Welt. Das liegt vor allem an den sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten. Und mit diesen soll nach Vorstellung der Ampel jetzt Schluss sein.

Statt dessen soll das „Prinzip der Zweitstimmendeckung“ gelten. Das heißt: Entscheidend für die Anzahl der Abgeordneten, mit der eine Partei künftig in den Bundestag einziehen wird, soll allein das Ergebnis der Zweitstimmen sein.

„Dass sich die drei Ampel-Fraktionen zur Zweitstimmendeckung bekannt haben, ist ein Riesenschritt nach vorne“, sagte Konstantin Kuhle, der Obmann der FDP in der Kommission ist. Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP hatten am Dienstagnachmittag in ihren Sitzungen über einen wortgleichen Antrag zur Wahlrechtsreform beraten. In allen drei Fraktionen habe es eine klare Mehrheit für den Antrag geben, so Steffen. Eine wichtige Frage aber ist auch in den Ampel-Fraktionen noch umstritten: Wie es gelingen kann, dass trotz der Deckelung alle Wahlkreise im Bundestag vertreten sind.

Drittes Kreuz auf dem Wahlzettel?

Doch der Reihe nach, denn das Vorhaben ist kompliziert. Nach den Vorstellungen der Ampel sollen die Bür­ge­r:in­nen wie bisher mit der Erststimme einen Wahlkreiskandidaten oder eine Wahlkreiskandidatin und mit der Zweitstimme eine Partei wählen. Entscheidend für die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag aber wäre nur noch die Zweitstimme.

Wenn eine Partei in einem Land über die Erststimme mehr Direktmandate gewinnt, als ihr durch das Listenergebnis zustehen, entstehen bislang sogenannte Überhangmandate. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen diese Mandate für die anderen Parteien proportional zu ihrem Zweitstimmenanteil ausgeglichen werden, so entstehen die Ausgleichsmandate. Dieses Verfahren hat zu einer enormen Vergrößerung des Bundestags geführt. Das will die Ampel abschaffen.

Der Wahlkreiskandidat würde deshalb nur in den Bundestag einziehen, wenn sein Mandat durch die Zweitstimmen gedeckt ist – also seine Partei genügend Sitze im Bundestag erhalten hat. Trotzdem sollen aber alle 299 Wahlkreise im Bundestag vertreten sein. Wie dies geregelt werden soll, ist dem Papier der Ampel nicht vorgesehen. Es könnte der Kandidat mit den zweitmeisten Stimmen sein. Steffen und Kuhle haben aber mit ihrem SPD-Kollegen Sebastian Hartmann ein etwas komplizierteres Modell erarbeitet.

Demnach sollen die Bür­ge­r:in­nen bei der Wahl eine sogenannte Ersatzstimme bekommen – also ein drittes Kreuz auf dem Wahlzettel machen – bei einem Ersatzkandiaten im Wahlkreis. Im entsprechenden Fall würden diese Ersatzstimmen zu den Erstpräferenzen der anderen Wäh­le­r:in­nen hinzugezählt. An diesem Verfahren gibt es aber in allen drei Fraktionen noch Zweifel. „Bei der Ersatzstimme gibt es Diskussionbedarf“, räumt auch der Grüne Steffen ein.

Die Union droht mit einer Klage in Karlsruhe

Nach Berechnungen der Ampel wäre es bei der Bundestagswahl 2021 in 34 der 299 Wahlkreise zu einer anderen Verteilung des Mandats gekommen, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg. Nach den Plänen der Ampel soll es bei dieser Anzahl der Wahlkreise bleiben, die noch von der Großen Koalition beschlossenen Reduzierung auf 280 Wahlkreise würde gestoppt – und damit der Neuzuschnitt unnötig.

Die Union hält den Vorschlag der Ampel für „mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“, wie Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) es nennt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt drückte es drastischer aus: „Dieser Vorschlag der Ampel grenzt an Wahlbetrug mit Ansage.“ Er führe dazu, so Dobrindt, dass direkt gewählten Abgeordneten der Einzug in den Bundestag verweigert werde. Dies untergrabe die demokratischen Grundlagen einer Wahl. „Deswegen ist klar: Sollte es so weit kommen, dass die Ampel diesen Vorschlag umsetzen wird, dann werden wir umgehend dagegen Verfassungsklage einreichen.“

„Ob man mit 25 Prozent einen Wahlkreis gewinnt, ist eben eine Frage des Wahlrechts“, sagt dagegen FDP-Mann Kuhle. Aber auch die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger hält den Vorschlag der Ampel für verfassungswidrig. Sie war auf Vorschlag der FDP Mitglied der Wahlrechtskommission, hat ihren Sitz aber inzwischen niedergelegt.

Die CDU präferiert im Gegensatz zur Ampel das so genannte Grabenmodell, bei dem wie derzeit die Hälfte der Mandate von in den Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten besetzt wird, jedoch unabhängig von den Zweitstimmenergebnissen. Die zweite Hälfte der Mandate wird entsprechend dem Zweitstimmenergebnis an Listenkandidaten vergeben. In der CSU, sagte Dobrindt am Dienstag, werde noch diskutiert.

In der vergangenen Legislaturperiode war eine effektive Reform des Wahlrechts vor allem an der CSU gescheitert, die stark von den Überhangmandaten profitiert. Der Vorschlag der Ampel, sagt FDP-Mann Kuhle, sei der erste Vorschlag, bei dem alle Fraktionen gleich betroffen wären – „nämlich mit etwa 18,5 Prozent ihrer Sitze“.

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