Höhere Strafen bei Gewalt gegen Frauen: Bestrafen gut, verhindern besser

Justizminister Buschmann kündigte an, Gewalt gegen Frauen und Queers härter zu bestrafen. Doch noch sinnvoller wäre eine bessere Gewaltprävention.

Ein blau geschlagenes verletztes Auge einer Frau

Passiert in Deutschland derzeit häufiger denn je: häusliche Gewalt gegen Frauen und queere Menschen Foto: Chromorange/imago

„Endlich!“ möchte man rufen. Endlich soll in Deutschland vehementer gegen Gewalt gegen Frauen und queere Menschen vorgegangen werden. Das hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) am Montag den Zeitungen der Funke Mediengruppe mitgeteilt. Er sagt: „Jeden Tag erfahren Frauen Gewalt durch Männer – einfach nur, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollen.

Jeden Tag werden Frauen verletzt, traumatisiert oder sogar getötet – weil sie sich männlichem Herrschaftswahn widersetzen. Auch in unserem Land ist das Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt erschütternd.“

Mit dieser Aussage hat Buschmann recht. Die Lage in Deutschland ist katastrophal und verschlimmert sich weiter. Häusliche Gewalt steigt seit 2017 jährlich an, 2021 wurden erstmals mehr Frauen als Männer getötet. Bislang deutet nichts auf einen Rückgang hin. Und die Politik? Gibt sich regelmäßig an entsprechenden Jahrestagen entsetzt, doch duldet die Gewalt weitgehend durch Nichtstun.

Künftig soll nun Gewalt gegen Frauen und Queers härter bestraft werden – hierfür kündigte Buschmann einen Gesetzesentwurf an. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wurde eine Reform vereinbart, die den Paragrafen 46 im Strafgesetzbuch betrifft, der die Grundlage der Strafzumessung definiert. Handelt ein*e Tä­te­r*in aus rassistischen oder antisemitischen Motiven, wirkt das strafverschärfend. Nun soll der Paragraf um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Motive ergänzt werden.

Falscher Ansatz gegen patriarchale Gewalt

Mit der geplanten Gesetzesänderung wird endlich anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen und queere Menschen strukturell ist. Wenn ein lesbisches Paar auf der Straße bespuckt wird, eine Frau von ihrem Ehemann verprügelt oder ein trans Mann auf der Straße beschimpft wird, sind das keine Einzelfälle.

So werden sie in diesem Land jedoch bislang von der Justiz behandelt. Hinweise auf patriarchale Strukturen werden vielerorts noch immer als aktivistische Meinung abgetan und nicht als Fakt akzeptiert. Dem juristisch etwas entgegenzusetzen, ist wichtig. Die geplante Gesetzesänderung ist ein wichtiges Zeichen.

Doch selbst wenn hier ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet und die misogyne und queerfeindliche Struktur endlich gesellschaftlich gesehen wird, kann die Gesetzesänderung nicht viel bewirken. Im Kampf gegen patriarchale Gewalt ist sie der falsche Ansatz.

Wer Gewalt gegen Frauen und Queers verhindern möchte, muss beim Vorher und nicht beim Nachher ansetzen. Heißt: Der Schwerpunkt muss auf der Bekämpfung der Ursachen für geschlechtsspezifische und die queerfeindliche Gewalt liegen – nicht in der Bestrafung der Taten.

Höhere Strafen können bei dieser Problematik wenig ausrichten. Um das zu verstehen, helfen Zahlen aus der Dunkelfeldforschung. Aus ihr geht hervor, dass nur ungefähr ein Prozent der Vergewaltigungen zu einer Verurteilung des Täters oder Täterin führen. Das liegt vor allem an der niedrigen Anzeigenrate. Nur 5 bis 15 Prozent der Betroffenen erstatten überhaupt Anzeige. Die Gründe dafür sind vielfältig: Scham, Angst vor Retraumatisierung durch den Prozess, eine Nähe zum Täter oder unsensible Beamt*innen.

Es kommt nur selten zur Verurteilung

Auch die Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder gar eine Mitschuld an den Taten gegeben wird, ist für viele Betroffene in ihrer Entscheidung, keine Anzeige zu erstatten, ausschlaggebend. Gegen nichts davon helfen höhere Haftstrafen.

Stattdessen würde hier Sensibilisierungsarbeit in Form von verpflichtenden und regelmäßigen Fortbildungen für Ermittler*innen, Staats­an­wäl­t*in­nen und Rich­te­r*in­nen – eben alle, die mit Betroffenen in Kontakt treten müssen – helfen. Zudem ist ein struktureller Wandel in den Behörden nötig.

Anzuerkennen, dass Gewalt gegen Frauen und Queers strukturell ist, heißt auch anzuerkennen, dass sie durch alle Institutionen und Behörden geht – und auch dort bekämpft werden muss. Auch diese Strukturen erklären, dass es, selbst wenn Betroffene Anzeige erstatten und sich dem schwierigen Prozess stellen, selten zur Verurteilung kommt.

Wenn nun die Bundesregierung vehementer gegen Gewalt gegen Frauen und Queers vorgehen möchte, gibt es verschiedene Ansätze, die gleichzeitig vorangetrieben werden müssen. Wichtig ist auch, die wissenschaftliche Forschung zum Thema zu fördern, um Ursachen zu untersuchen und neue Bekämpfungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Es braucht mehr finanzielle Sicherheit für Betroffene

Andererseits müssen Wege, die längst bekannt, aber zu wenig genutzt werden, verstärkt eingesetzt werden: Bildungsangebote für junge Menschen, Täterarbeit und Gewaltpräventionskurse. Es muss sich viel mehr auf die potenziellen Tä­te­r*in­nen konzentriert werden – im besten Fall natürlich, bevor es zu schweren Gewalttaten kommt.

Gleichzeitig muss es Frauen ermöglicht werden, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien – ohne Angst vor Armut oder Obdachlosigkeit. Hier braucht es etwa mehr Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen, aber vor allem mehr finanzielle Sicherheit für die Betroffenen und einen Mietmarkt, der ausreichend günstigen Wohnraum zur Verfügung stellt. Denn zu wissen, ohne ihren Partner nicht überleben zu können, ist für Betroffene häufig ein Trennungshindernis.

Wir brauchen einen ganzheitlichen gesellschaftlichen Wandel und müssen an verschiedenen Ecken und Enden anpacken, um der Gewalt wirklich etwas entgegenzusetzen. Fragt sich nur, wann es endlich so weit ist.

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