Kritik am Selbstbestimmungsgesetz: Angebliche Sorgen

Seit Monaten machen Konservative Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Zeit, dass die Mehrheitsgesellschaft dem etwas entgegensetzt.

Menschen mit bunten Fahnen leufen zusammen auf einer Straße

Die Gesellschaft ist oft weiter als die Bürokratie: bunter Protest im Mai in München Foto: Alexander Pohl/imagoZuma/imago images

Da institutionalisierter Fortschritt in der Regel quälend langsam vonstatten geht, ist die Gesellschaft in vielen Fragen weiter als die Justiz. So befürwortete die Mehrheit der Deutschen schon lange vor der Einführung der „Ehe für alle“ im Jahr 2017 gleichgeschlechtlich Ehen. Und auch bei aktuell diskutierten Fragen, wie beispielsweise der Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, hinkt die Gesetzgebung gesellschaftlichen Vorstellungen hinterher. Nur wenn es um die Rechte von trans Menschen geht, scheint es ausnahmsweise einmal andersherum zu sein.

Vergangenen Donnerstag haben Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Dieses soll das Transsexuellengesetz, das teilweise verfassungswidrig, aber vor allem menschenverachtend ist, ersetzen. Künftig sollen trans, inter und nicht-binäre Menschen durch eine Erklärung beim Standesamt ihren Namen und Geschlechtseintrag im Personenstandregister ändern lassen können – und zwar ohne demütigende und zeitaufwendige Gutachten. Statt auf Begutachtung durch andere wird jetzt auf Selbstauskunft gesetzt. Paus sagte dazu: „Heute ist daher ein guter Tag für die Freiheit und für die Vielfalt in unserem Land.“

Mit ihrer Freude war sie an diesem Tag nicht alleine, schließlich hatten Ak­ti­vis­t*in­nen und Po­li­ti­ke­r*in­nen jahrelang für das Gesetz gekämpft. Vor dem Bundestag und auf Twitter wurde gefeiert und auch Medien stimmten mit ein. „Ein längst überfälliger Schritt“ kommentierte die Tagesschau, „Endlich das Recht auf den richtigen Namen“ der Spiegel.

Perfide und laut

Das Gesetz ist ein Meilenstein für die Rechte von trans Menschen und so sollte es gefeiert werden. Doch die Freude wurde vielerorts übertönt. Seit Monaten schon haben Konservative es sich zum Ziel erklärt, Stimmung dagegen zu machen. Nach Vorstellung der Eckpunkte erreichte dieser Unmut am Wochenende seinen vorläufigen Höhepunkt. Ob sie mit ihrer abwertenden Haltung in der Mehrheit sind, ist schwer nachvollziehbar, klar ist jedoch, dass die Geg­ne­r*in­nen laut sind und in der Debatte großen Raum einnehmen. Unterstützt werden sie dabei von Politiker*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Journalist*innen, die regelmäßig mahnen, man müsse diese Sorgen ernst nehmen.

Das klingt natürlich erst einmal sehr nachsichtig. Doch wer sich mit den Sorgen auseinandersetzt, entdeckt die ewig gleichen Mythen, Desinformationen und Lügen. Doch damit das Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen auch in der Realität ein Fortschritt sein kann und nicht in noch mehr Diskriminierung mündet, muss die Mehrheitsgesellschaft die Mythen und angeblichen Sorgen entlarven. Immer und immer wieder.

Besonders perfide ist, dass Kri­ti­ke­r*in­nen ihre transfeindliche Agenda, die sie meist natürlich abstreiten, mit dem Schutz von cis Frauen begründen. Vieles, was in den vergangenen Tagen verbreitet wurde, lässt sich als Desinformation widerlegen: Dass das Geschlecht „Frau“ abgeschafft werden soll, ist beispielsweise einfach nur Blödsinn. Ebenso dass durch das Selbstbestimmungsgesetz nun zahlreiche Teenager chirurgische Eingriffe und medizinische Maßnahmen durchführen lassen würden – damit hat das es nämlich überhaupt nichts zu tun, es regelt lediglich die Änderungsmöglichkeit des Geschlechtseintrags und der Vornamen im Personenstandsregister.

Gruselmythos Umkleide

Der häufigste Mythos der in den vergangenen Tagen verbreitet wurde, handelt von Umkleidekabinen. „Wird es in Damenumkleiden künftig von lüsternen Bärtigen wimmeln, die sich per Ausweis als Frau legitimieren?“, fragte beispielsweise die Augsburger Allgemeine in einem Kommentar. Alternativ kann man die Umkleidekabine auch durch Toilette ersetzen. Die Bild hatte schon im vergangenen Dezember davor gewarnt, dass kriminelle Männer sich mit Hilfe des Gesetzes Zugang zu Frauentoiletten erschleichen würden, um dort Gewalt gegen Frauen auszuüben.

Dieses Narrativ verschleiert in erster Linie den Zustand, dass Männer andauernd Gewalt gegen Frauen ausüben. Am häufigsten im eigenen Zuhause, aber auch im öffentlichen Raum, wie im Club, im Fitnessstudio oder in der Fußgängerzone. Der Umkleide-Mythos will von diesem Zustand ablenken. Außerdem ist – entgegen vieler Berichte – das Geschlecht überhaupt nicht im Personalausweis vermerkt.

Zweitens kontrolliert niemand am Eingang einer Toilette oder einer Umkleidekabine den Geschlechtseintrag. Wieso sollte ein Mann, der eine Frau in einer Umkleidekabine belästigen will, also dafür den enormen bürokratischen Aufwand des Selbstbestimmungsgesetzes auf sich nehmen? Zum Standesamt gehen, um seinen Namen und sein Geschlecht zu ändern. Um daraufhin seine Daten bei der Bank, dem Arbeitgeber, der Krankenversicherung, seine Pässe, Führerscheine und alle weiteren Orte, an denen der Name hinterlegt ist, anpassen zu müssen? Dass ein Mann all diese Schritte geht, um sich Zugang zu einer Umkleidekabine zu verschaffen, die einem nicht durch einen Pass gewährt wird, ist kein realistisches Szenario.

Eine andere Sorge, die ständig wiederholt wird, ist, dass Männer nun ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, um daraus berufliche Vorteile zu ziehen. Was dabei wohl in erster Linie übersehen wird: Trotz Quoten werden Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch immer benachteiligt und ein Coming-out als trans führt am Arbeitsplatz eher zu mehr Benachteiligung. Wenn Männer ihren beruflichen Erfolg auf dem Rücken von Frauen ausüben wollen, brauchen sie dazu kein Selbstbestimmungsgesetz. Sie finden seit Jahrzehnten zahllose einfachere Wege.

Abstruser ist einzig der Gedanke, Menschen würden ihren Geschlechtseintrag und Namen anpassen, um nach einer Straftat nicht aufzufliegen. Na klar, denn wohin sonst sollte der erste Gang auf der Flucht vor der Staatsgewalt führen als aufs Amt?

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Ressortleitern bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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