Sexismus und Belästigung im Handwerk: Lieber nicht zu viel lächeln

Sexismus, sogar sexuelle Belästigung erleben viele Handwerkerinnen. Noch immer dominieren dort Männer, Schutzmaßnahmen gibt es kaum.

Eine Frau mit dunklen Haaren beugt sich zu einer Mauer hin und schaut konzentriert auf ihre Arbeit. In der behandschuhten Hand hält sie eine Glättkelle, mit der sie die Mauer bearbeitet.

Anzügliche Sprüche, „versehentliche“ Berührungen, Bevormundung – das erleben viele Handwerkerinnen (Symbolbild) Foto: Heiko Specht/laif

„Gute Arbeit und schöne Titten.“ Es klingt wie ein „Kompliment“ aus der Bürowelt der fünfziger Jahre, doch die Aussage stammt von einem deutschen Bauleiter im Mai 2022, der sich nach getaner Arbeit auf der Baustelle an seine Kollegin richtete. Und es ist nicht das einzige dieser Art. Beim „Kompliment“ bleibt es oft auch nicht. Initiativen wie der Girls Day sollen mittlerweile junge Frauen dazu ermutigen, männerdominierte Handwerksberufe anzugehen, um beispielsweise auf dem Bau zu arbeiten, Maurerinnen, Tischlerinnen oder Malerinnen zu werden. Viele Mädchen trauten sich nicht in diese Baustellenwelt, so die allgemeine Meinung. Körperliche Anstrengung und ein „grober Umgangston“ bestimmten schließlich hier den Alltag.

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Darüber, dass Sexismus bis hin zu sexueller Belästigung – vonseiten der Kol­le­g:in­nen und der Kun­d:in­nen – oftmals an der Tagesordnung sind und gleichzeitig Anlaufstellen fehlen, um dies zu unterbinden, nachzuverfolgen und Konsequenzen zu ziehen, redet an den offiziellen Stellen kaum jemand. Doch es ist genau das, worauf nach Recherchen der taz viele Frauen stoßen, die sich für einen solchen Beruf entscheiden.

„Ich würde eigentlich keiner Frau raten, einen männerdominierten Handwerksberuf zu ergreifen, und gleichzeitig ist es schlimm, dass es so wenige Frauen gibt, die diesen machen“, sagt eine junge Tischlerin aus Süddeutschland, die lieber anonym bleiben möchte, um keine Probleme mit ihren Ar­beit­ge­be­r:in­nen zu bekommen. Sie erzählt von Belästigung während ihrer Ausbildung: „Entweder ich bekam Sprüche ab wie: „Dir schaut man gerne beim Arbeiten zu“, „Du hast so einen geilen Arsch, wenn ich jetzt noch deine Titten sehen könnte.“ Oder sie haben mich putzen geschickt, weil ich als Frau ja sonst nichts könne.“

Kündigung nach sexueller Belästigung

In dem Betrieb, in dem sie damals tätig war, sei sie abgesehen von einer Sekretärin und der Frau des Chefs, die die Büroarbeit übernahm, die einzige Frau gewesen. Ein älterer, verheirateter Kollege habe sie manchmal nach Hause verfolgt, ihr Briefe geschrieben und Geschenke unter das Auto gelegt. Sie erzählt von Kniffen in den Hintern, von dem Versuch eines Kollegen, sie zu küssen. Und schließlich kam die Kündigung von den Ar­beit­ge­be­r:in­nen mit der Begründung: „Es haben sich zwei Lager gebildet: die einen, die in Ihnen mehr sehen als eine Kollegin, und die anderen, die mit einer Frau auf dem Bau nichts anfangen können.“ Sie geht vor Gericht und gewinnt. Doch im nächsten Betrieb wird die sexuelle Belästigung nicht weniger. Vonseiten der Handwerkskammer bekommt sie den Rat, sich erneut einen anderen Ausbildungsbetrieb zu suchen.

Auch der erste Betrieb, für den sie als Gesellin arbeitet, kündigt ihr nach wenigen Wochen, offiziell aus „betrieblichen Gründen“. Kurz davor, sagt sie, habe es aber einen Zwischenfall mit zwei Kollegen gegeben, die sie belästigt hätten. Der Chef habe sich daraufhin entschieden, sie rauszuschmeißen – eine Frau schade schließlich dem Betriebsklima. „Beim nächsten Betrieb hatte ich große Angst, dass mein Chef mich wieder rausschmeißt, wenn ich mich wehre“, erzählt sie.

Erst als sie bereits gekündigt hatte, um eine Weiterbildung anzugehen, habe sie dann doch auf einen Klaps auf den Hintern geantwortet, mit einer Ohrfeige. Der Kollege habe sie nie wieder angefasst. „Mein Fehler war, dass ich einfach zu nett gewesen bin“, meint sie nun Jahre später. „Man darf nicht zu viel lächeln, nicht freundlich sein. Du darfst nicht auffallen, weil sonst dein Job auf dem Spiel steht.“

Fehlende Anlaufstellen

Ähnliches erzählt eine weitere junge Frau, die sich auf Anfrage der taz meldet und ebenfalls anonym bleiben möchte. Sie hat kürzlich ihre Ausbildung für Garten- und Landschaftsbau abgeschlossen und arbeitet nun in einem Berliner Betrieb. Auf der Baustelle, auf der sie viel Zeit ihrer Arbeit verbringt, sei sie die einzige Frau, sagt sie. Und: „Die beste Taktik ist, direkt schlagfertig zu antworten. Die Sprüche ignorieren oder Gespräche zu führen, funktioniert überhaupt nicht. Doch nicht jede Frau kann das.“

An­sprech­part­ne­r:in­nen oder Anlaufstellen gebe es nicht: „Theoretisch könnte ich zu meinem Vizechef gehen, der ist aber ein ziemlicher Frauenhasser.“ Der Chef selbst sei das nicht, aber auch er würde die Sache bagatellisieren. Rückhalt bekomme sie von den jüngeren Kollegen. Laut ihr sei vor allem die ältere Generation das Problem. Als Frau werde ihr oft wenig zugetraut. „Ich sollte letztens eine Scheibe der Trennschleifmaschine auswechseln. Nicht besonders schwierig, aber am Ende standen drei Männer um mich rum, die erklären wollten, wie es geht“, erzählt sie. Angesprochen werde sie dabei meist mit „Mäuschen“, „Cinderella“ oder „Torte“. Die Tischlerin aus Süddeutschland erzählt, dass sie auch zwei Jahre nach der Ausbildung auf dem Bau „prinzipiell die Azubi“ sei. „Wir leben im 21. Jahrhundert und immer noch können sich Menschen nicht vorstellen, dass eine Frau auf dem Bau mitarbeitet“, sagt sie.

In der Bundesrepublik war es Frauen bis ins Jahr 1994 gesetzlich verboten, auf dem Bau zu arbeiten. In der DDR galt dieses Gesetz nie. Heute, 28 Jahre später, ist der Anteil an Frauen auf Baustellen immer noch sehr gering. In bauhauptgewerblichen Berufen wie Hoch- und Tiefbau, Zimmerei, Straßen- und Asphaltbau, Rohrleitungsbau sind es 2022 gerade mal 1,6 Prozent. In vielen Betrieben fehlen Toiletten oder Umkleideräume für Frauen. Auch gibt es nur zwei Vereinigungen, sogenannte Schächte, die Gesellinnen ermöglichen, auf traditionelle Wanderschaft zu gehen.

Nur ein Fünftel der Be­triebs­in­ha­be­r:in­nen sind Frauen

Die Führung in Kleinbetrieben übernehmen Frauen laut Tatjana Lanvermann, Vorsitzende des Bundesverbands Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH), oft nur als Doppelspitze mit ihrem Mann: Er übernimmt die Aufgaben auf dem Bau, sie kümmert sich im Büro um kaufmännische Angelegenheiten. Die perfekte Grundlage für einen erfolgreichen Handwerksbetrieb, findet Lanvermann im Gespräch mit der taz. Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) lobt, Frauen hätten sich „als selbstständige Unternehmerin, Meisterin, Gründerin, in der Doppelspitze mit dem Partner oder als Nachfolgerin im Familienbetrieb“ ihren Platz in Führungspositionen „erobert“. Doch im Handwerk sind das gerade mal 20,6 Prozent der Be­triebs­in­ha­be­r:in­nen.

Statistiken zu sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz oder Ausbildungsabbrüchen von Frauen gibt es bislang keine. Dabei bestätigen mehrere Handwerkerinnen, mit denen die taz gesprochen hat, wie auch die oben erwähnte Garten- und Landschaftsbauerin: „Sexuelle Übergriffe gibt es. Definitiv.“ Andererseits, sagt sie, sei den Kollegen mittlerweile klar geworden, dass sie bei Klapsern auf den Hintern Probleme bekommen können: „Einige suchen einfach Umwege. Klopfen dir auf den Hintern und sagen: „Da war Sand an der Hose.“ Sie schätzen mich als das dumme Blondchen ein, das es eh nicht merkt, wenn es sexuell belästigt wird.“

Laut Tatjana Lanvermann von UFH sei für Probleme am Arbeitsplatz eine gute Kommunikation und Beziehung zu den Vorgesetzten wichtig, um solche Angelegenheiten schnell intern klären zu können. Der UFH hat im vergangenen Jahr die Initiative „Handwerk ist hier auch Frauensache“ gestartet. Betriebe können mit einem Siegel nach außen zeigen, dass Frauen bei ihnen willkommen sind. Sie erhalten es, wenn sie sich selbst verpflichten, auch junge Frauen auszubilden und ihnen An­sprech­part­ne­r:in­nen zu bieten. Bislang sind das deutschlandweit etwas mehr als 50 Betriebe.

Sexismus auch durch Kun­d:in­nen

Bei Nachfrage bedauert der ZDH es, dass die taz bei ihrer Recherche genau die Fälle getroffen habe, in denen es „offenbar nicht so gut lief“. Bei über einer Million Handwerksbetrieben bundesweit sei natürlich nie auszuschließen, dass es auch „Negativbeispiele“ gebe. Die Handwerkskammern bemühen sich, in Imagekampagnen Beispiele von Frauen vorzuweisen, die im Handwerk ihre „Profession und Erfüllung gefunden haben“. Die Notwendigkeit für offizielle Stellen, Initiativen zur Bekämpfung sexueller Belästigung oder mögliche Studien zum Thema werden nicht angesprochen.

Ein Hoffnungsschimmer ist für vielen Frauen in der männerdominierten Baubranche das Bauhandwerkerinnentreffen, ein bundesweites selbst­organisiertes Treffen für Frauen im Bauhauptgewerbe. Es biete diesen einmal im Jahr die Möglichkeit, sich über Arbeits- und Ausbildungsbedingungen auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken, heißt es auf der Webseite. „Viele Azubis, die auf das Treffen kommen, erzählen, dass sie ihre Ausbildung abgebrochen hätten, wenn es das Treffen nicht gäbe“, sagt Noa, eine Tischlerin, die dieses Jahr die Veranstaltung mitorganisiert.

Sabine Otto, Malerin und Lackiererin, die für einen Lüneburger Betrieb arbeitet und gerade eine Zweigstelle in Berlin eröffnet, erzählt, dass Sexismus auch von den Kun­d:in­nen komme. Manchmal traue man ihr ganz klischeehaft in Sachen Gestaltung, Farbe und Kreativität mehr zu, im handwerklichen Bereich aber meist weniger. „Einmal klingelte ich bei einer Kundin an der Tür. Sie fragte mich: „Und wann kommt ihr Kollege?“ Ein männlicher Kunde wiederum habe etwas zu oft nachgefragt, warum sie denn nicht alleine gekommen sei.

Hoffen auf Generationenumbruch

Auch auf der Baustelle begleite sie meist ein mulmiges Gefühl, es gebe nicht immer einen geschützten Rahmen. „Vermeintlich sind wir schon ganz weit gekommen in Sachen Gleichberechtigung, kommt man auf die Baustelle, ist das teilweise sehr ernüchternd.“ Ein Grund, warum viele Frauen lieber bewusst Lehrtätigkeiten übernähmen. Hinzu komme, dass man sich als Frau immer erst mal beweisen und 120 Prozent geben müsse, um die Vorbehalte der Kun­d:in­nen und auf der Baustelle auszuräumen. „Irgendwann sollte man sich nicht mehr als „Frau im Handwerk“ definieren müssen. Davon sind wir jedoch noch sehr weit entfernt. Es wird wohl immer etwas Besonderes sein“, sagt sie.

Viele junge Frauen hoffen dabei auf einen Generationenumbruch. „Männer über 50 sind die schlimmsten. Erst wenn die weg sind, kann es für die Frauen besser laufen“, sagt die Tischlerin aus Süddeutschland. Und die Garten- und Landschaftsbauerin rät: „Feuere zurück, beleidige zurück. Je mehr junge Frauen, desto besser, und je mehr man zurückfeuert, desto besser.“

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