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Geschlechterstereotype im BerufDie Unsinnigkeit von Klischees

Jugendliche entscheiden bei der Suche nach einem Job noch immer häufig entlang alter Rollenmuster. Was ist männlich und was weiblich?

Ist doch ganz einfach: Alle machen das, was sie am liebsten machen wollen Foto: Selma Speicher

„Das ist doch kein Beruf für eine Frau!“ „Ist es nicht komisch für dich, mit so vielen Männern zusammen zu arbeiten?“ Diese Sätze höre ich häufig. Ich bin Fachinformatikerin, ein „Männerberuf“. Aber was ist eigentlich ein „Männerberuf“? Denn auch Männer, die in vermeintlichen Frauenberufen arbeiten, wie zum Beispiel Erzieher oder Krankenpfleger, bekommen Phrasen wie diese häufig zu hören: „Die Jungs im Hort freuen sich sicher, dass sie nun einen Mann zum Fußballspielen haben! Ist es nicht blöd, immer der Hahn im Korb zu sein?“

Stellen wir doch mal klar die Frage: Verbirgt sich hinter dem „Arzt“ nun ein Mann oder eine Frau? Und: Können Männer Kinder erziehen, oder ist das tatsächlich Frauensache? Was ist mit Wissenschaftlerinnen? Machen die ihren Job genauso gut wie ihre männlichen Kollegen? Frauen und Computer, geht das denn?

2017 gab es, laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg, in mathematischen, informationstechnischen, naturwissenschaftlichen und technischen Berufen (sogenannte MINT-Berufe) einen Frauenanteil von 15,5 Prozent. Dem Frauenministerium zufolge sind in der Kindertagespflege lediglich rund 5 Prozent der Beschäftigten männlich. Leider hat sich in den vergangenen Jahren an den stereotypischen Berufsbildern kaum etwas verändert. Warum ist das so?

Die immer noch häufig bestehenden Rollenklischees werden bereits im Kleinkindalter vermittelt. Meist geschieht dies unbewusst. Die Kinder nehmen allerdings sehr wohl wahr, ob die Erzieherin selbst ein Bild an die Wand nagelt, oder ob dafür der Hausmeister zur Hilfe kommt. Genauso umgekehrt: Schwingt der Erzieher selbst den Besen oder macht das die Kollegin?

Empathie ist von Vorteil

Gerade deshalb ist es wichtig, insbesondere in Kitas, beide Perspektiven zu berücksichtigen: Kinder müssen sich ausprobieren dürfen. Das bedeutet, dass Mädchen beispielsweise mit dem Bagger im Sand spielen und Jungs den Puppenwagen schieben.

Endlich wieder Jugend

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Die Berufswahl sollte niemals vom Geschlecht abhängen, sondern von den Interessen der betreffenden Person. Lisa Freunek, Gewerkschaftssekretärin bei ver.di, sieht hier noch Handlungsbedarf: „Als Gewerkschaft unterstützen wir das Aufbrechen alter Rollenbilder, das wir als gesamtgesellschaftliches, strukturelles Problem sehen, das zu Benachteiligung führt.

Als ver.di-Jugend legen wir viel Wert darauf, gerade junge Frauen zu unterstützen, damit sie sich aktiv, mutig und selbstbewusst dafür einsetzen, auferlegte Hürden zu überwinden.“ Das Ziel, so Freunek, sollte eine gleichberechtigte Gesellschaft sein, in der alle gleichen Chance bekämen.

Dabei ist es doch ganz einfach: Wenn man über die überholten stereotypischen Rollenbilder hinaus denkt, kann man viel voneinander lernen und sich gegenseitig bereichern. Kreativität, Neugier und soziale Kompetenzen sind nicht nur in MINT- und in Care-Berufen von Vorteil, sondern in jedem Job.

Männliche Verstärkung erwünscht

Das Klischee der Computernerds, die bei Chips und Cola allein im dunklen Zimmer hocken, ist ebenso wenig zeitgemäß wie richtig. Ich als Fachinformatikerin muss jeden Tag mit vielen Menschen von Angesicht zu Angesicht reden, wir müssen uns gegenseitig aufeinander verlassen können.

Männliche Erzieher in Kitas sind ebenso empathisch und fürsorglich, wie die Gesellschaft das bislang fast nur von Frauen gewohnt ist. Und sie sind mehr als nur willkommene Fußballspieler für die Jungs, denn auch die Mädchen freuen sich über männliche Verstärkung.

Paulina Herget, 24, Nürnberg, Fachinformatikerin

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8 Kommentare

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  • Die sogenannten "sterotypischen Berufsbilder" sind nicht deswegen stereotypisch, weil den Kindern einem Rollenklischee folgen, sondern weil persönliche Interessen zu unterschiedlichen Entscheidungen führen und deshalb bestimmte Berufe eine unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen hervorbringt. Männer interessieren sich im Durchschnitt mehr für Dinge, Frauen interessieren sich im Durchschnitt mehr für Menschen.



    Beispiel Wikipedia: Jeder kann mitmachen. Es gibt keine Gatekeeper die einen am Mitmachen hindern, da keiner sieht ob man männlich oder weiblich ist. Trotzdem sind die Meisten Artikel von Männern. Warum? Weil die Gesellschaft sie dazu zwingt? Weil ihnen das so anerzogen wurde?



    Diese ganze Diskussion um sterotypische Berufsbilder versucht Lösungen für ein Problem zu finden, das es nicht gibt.

  • Zitat: „Leider hat sich in den vergangenen Jahren an den stereotypischen Berufsbildern kaum etwas verändert. Warum ist das so?“

    Ganz klar: Weil Rollenklischees schon im Kleinkindalter vermittelt werden – meist unbewusst, oft aber auch völlig bewusst. Denn nicht Aktivität, Mut und Selbstbewusstsein machen hier und heute erfolgreich, sondern Anpassungsfähigkeit.

    Nicht nur männliche und weibliche Rollen nebst den dazugehörigen Klischees lernen Kinder früh hierzulande. Sie lernen auch das hierarchische Denken. Sie lernen, dass einige Funktionen wichtiger sind als andere, weswegen sie besser bezahlt werden. Der Bankdirektor, lernen Kinder, ist wertvoller als der Bauarbeiter. Auch, wenn die Arbeit des Baggerfahrers Kinder (jedweden Geschlechts) zunächst viel mehr fasziniert als die des Büromenschen.

    Spätestens wenn in der vierten Klasse die Frage nach der Schullaufbahn aufkommt, wird Kindern beigebracht, dass es besser ist, nicht mit den Händen zu arbeiten, sondern mit dem Kopf. Sie erfahren (wenn sie es nicht schon längst erlebt haben), dass Menschen, die andere pflegen, permanent unter Geldmangel leiden, Menschen hingegen, die andere bevormunden, kaum jemals finanzielle Sorgen haben. Auch das prägt sie.

    Sie wachsen in eine Selbstverantwortung hinein, die keine ist. Wenn sie in der Kita beide Rollen ausprobieren konnten (und rechtzeitig gefördert wurden), haben sie vielleicht die Wahl zwischen Friseur*in und Chefärzt*in, aber sie müssen immer noch damit rechnen, dass sie sich als Friseur*in vieles nicht werden leisten können, was für Chefärzt*innen selbstverständlich ist. In einer Welt, in der sich (zu) viele Menschen dank Werbung mehr über das Haben definieren als über das Sein, ist das nicht unbedingt eine ganz leichte Wahl.

    Eigentlich ist alles ganz einfach: Wer über stereotypische Rollenbilder (Chef/Turnschuh) hinaus denkt, kann viel von anderen lernen und andere bereichern. Er/sie/es muss das aber a) wollen und b) können. Dürfen allein genügt einfach nicht.

  • Vielleicht liegt es daran, dass Jugendliche in ihren Familien sehen, dass es funktioniert?

  • Kaum jemand glaubt das Frauen kategorisch nicht in der Lage sind zu programmieren oder Männer kategorisch nicht erziehen können. Stereotypen bilden sich bei fast allen Menschen erheblich differenzierter ab als die holzschlagartige Darstellung in weiten Teilen der Presse vermuten lässt. Der Mensch muss die Welt in seiner Wahrnehmung zwar simplifizieren, damit sie für ihn handhabbar bleibt aber das heißt eben nicht das er dadurch mit abweichenden Fällen nicht umgehen kann.

    Ich sehe in der tendenziösen Berufswahl nicht unbedingt eine Problematik. Wenn Männern und Frauen ihre Entscheidungen aus freien Stücken treffen und sich in dieser Freiheit mehrheitlich für stereotypische Berufe entscheiden dann ist das nicht zu beanstanden. Das diese Entscheidungen tatsächlich aus freien Stücken passiert ist empirisch erwiesen. Je emanzipierter ein Land ist desto stärker tendieren Männer und Frauen zu stereotypischen Berufen. Entsprechend gibt es kaum ein Land mit weniger weiblichen Ingenieuren und weniger männliche Krankenpflegern als Schweden oder Norwegen. Nennt sich Gender Equality Paradox.

    „ Kreativität, Neugier und soziale Kompetenzen,…“

    Grade mit der Neugier hat die Autorin recht und das ist für viele Bewerber in technischen Berufen ein Problem. Viele ihrer Mitbewerber sind bereits vor Ausbildung oder Studium passionierte Programmierer, Netzwerker,... und haben sich schon im Alter von 12/13/14 Jahren selber die erste Programmiersprache beigebracht und etwas über Protokolle gelernt. Dagegen kann man nur mit guten Noten nicht ankommen und das ist völlig gerechtfertigt. Das trifft übringends für männliche, wie weibliche Bewerber zu.



    Relevant ist das an dieser Stelle, weil man ja glaubt sich die Welt durch Förderung so hinbiegen zu können wie sie einem passt. Das wird aber nicht passieren.

    • @Januß:

      Zitat: „Wenn Männern und Frauen ihre Entscheidungen aus freien Stücken treffen und sich in dieser Freiheit mehrheitlich für stereotypische Berufe entscheiden dann ist das nicht zu beanstanden.“

      Genau diese Entscheidungsfreiheit kann ich – von hier aus jedenfalls – nicht erkennen.

      Ich weiß ja nicht, ob Sie Deutschland (neben Schweden und Norwegen) zu den „emanzipierter[en]“ Ländern zählen, werte*r JANUS. Fakt ist aber: Gesetze allein machen noch lange keinen Wertewandel. „Die Wirtschaft“ regiert im „Westen“ mit. Das sieht man schon daran, dass seine Gesellschaftsform als Markt-Wirtschaft bezeichnet wird. (Kapitalismus wäre zwar ehrlicher, ist dank Manchester und Co. aber immer noch negativ besetzt.)

      „Die Wirtschaft“ befindet sich permanent im Krieg. Unternehmen müssen Profite machen, und zwar auf Kosten anderer Unternehmen. Der Stärkste überlebt. Deswegen geht es in „der Wirtschaft“ auch zu wie beim Militär. Es gibt eine steile Hierarchie, die sich nicht nur in Entscheidungskompetenzen ausdrückt, sondern auch in Geld. Wer „oben“ arbeitet, darf entscheiden und wird dafür auch noch viel besser bezahlt als der, der „unten“ arbeitet und machen muss, was ihm befohlen wird. Auch, wenn der Geist allein unmöglich siegen kann.

      Nein, die Entscheidung, ob man „Kopf“ oder „Hand“ bzw. „Fuß“ werden will, passiert nicht „aus freien Stücken“. Auch hierzulande nicht. Sie übersehen die Ideologie dahinter, werte*r JANU . Ihre „Empirie“, jedenfalls, ist nicht meine. Ich halte es für erwiesen, dass Menschen ihre Entscheidungen immer auch an Erwartungen ausrichten. An eigenen und an fremden. Und arm zu sein ist eine Erwartung, die kaum ein Mensch freiwillig hat. Wenn also bestimmte Berufe besser bezahlt und mehr geachtet werden als andere, hat man als „Sieger der Geschichte“ (Wessi) also nicht wirklich eine freie Wahl.

      Sagen Sie, was Sie wollen: Ich sehe im Gender Equality „Paradox“ ein recht großes Problem.

      • @mowgli:

        Gesetze alleine machen keine Wertewandel, da sagen Sie was. Doch da frage ich mich gleich: Warum sollte die Politik in einer Demokratie bitte auf einen Wertewandel hin drängen? Für mich klingt das ziemlich demokratiefeindlich. Und tatsächlich glaube ich das viele hier sich eher von der Demokratie, als von ihrem Gleichheitswahn verabschieden würden.

        Die Wirtschaft regiert überall mit, wenn sie mit Regieren (und das vermute ich) meinen das sie Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt und durch ihre Entwicklung den Handlungsrahmen der Regierung feststeckt. Das geht aber auch garnicht anders, weil der Staat (grade ein Rechtsstaat) von der Wirtschaft völlig abhängig ist. Die Steuergelder fallen ja nicht vom Himmel.

        Und klar ist Geld in einer kapitalistischen Gesellschaft entscheidend, doch Sie schauen nicht genau genug hin, wenn Sie nur auf die Einkünfte sehen. Nicht derjenige der das Geld ran schafft hat die Macht am Markt, sondern derjenige der es dann wieder ausgibt. Und obwohl Männer im Schnitt mehr verdienen geben Frauen im Schnitt immer mehr aus. 80% aller Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen. Ergo ist der Kapitalismus bereits ein maßgeblich von Frauen gesteuertes System. Wie gefällt ihnen ihr Matriarchat nun? Der Himmel auf Erden, nicht wahr?! :D

  • 9G
    93649 (Profil gelöscht)

    Ich bin immer erstaunt darüber, dss es in Kuba so viele Frauen in MINT-Berufen, insbesondere Informatikerinnen, gibt, obwohl die Rollenklischees dort im Allgemeinen noch viel ausgeprägter sind, als hier in Deutschland.

    • @93649 (Profil gelöscht):

      Ich nicht. Ich bin alt genug (und außerdem auf der "anderen Seite" geboren). Ich kann mich daran erinnern, dass der Unterschied zwischen dem Gehalt eines Ingenieurs und dem Gehalt einer Kindergärtnerin in Ländern wie Kuba (zentral gelenkte Planwirtschaft) nicht all zu groß war. Es hat also keinen all zu großen Unterschied gemacht, wie man sich entschieden hat. Und Vorbilder gab es auch genug. Außerdem waren auch damals schon solche Berufe besonders begehr (und zwar bei sämtlichen Geschlechtern), die irgendwie mit der großen weiten Welt zu tun hatten. Informatiker werden gebraucht in Kuba. Und zwar nicht nur von "der Wirtschaft", sondern auch von den "ganz normalen Leuten auf der Straße". Sie können einem nämlich sagen, wie man ins Internet kommt. Und zwar auch ohne dass die Regierung es merkt.