Aus dem Leben einer Angestellten: Raus aus dem Hamsterrad

Sollte man den 1. Mai nachholen, weil er auf einen Sonntag fällt? Unbedingt! Aber dabei auch an die denken, für die Feiertage Vollstresstage sind.

Illustration von einem Geschäftsmann, der im Hamsterrad gefangen ist

Viele Arbeitnehmer/innen fühlen sich im Hamsterrad gefangen Foto: John Holcroft/imago-images

Hieß er Fiepsi oder Fred? Ich weiß nur noch, dass wir ihn belächelten, den pelzigen kleinen Streber, der wie irre vor sich hin strampelte: im berühmten Hamsterrad. Meine Schulfreundin hatte das Tier zum achten Geburtstag geschenkt bekommen, wir fanden es süß und hielten es für ganz schön bekloppt. „Warum rennt er denn die ganze Zeit?“, fragte ich die große Schwester meiner Freundin, sie war schon 15, praktisch erwachsen. „Das ist wie Turnen für ihn, das macht ihm Spaß“, erklärte sie.

Nur ein Dutzend Jahre darauf wurde ich selbst zum Hamster. Es war die erste Schockerfahrung des Erwachsenseins: Geld musste her, und damit es zu mir kam, hatte ich meine Arbeitskraft zu verkaufen. Ich erinnere mich noch genau, wie unwürdig, wie erniedrigend es mir in den ersten Berufsjahren vorkam, dass ich meine „freien Tage“ fortan zu „beantragen“ hatte, auf einem Formular, unter das ein Vorgesetzter seine Unterschrift zu setzen hatte, „seinen Otto“, wie es dereinst hieß.

Bald lernte ich auch, was „Brückentage“ waren und mit welchen Tricks die Älteren in der Belegschaft darum kämpften. Die besonders Ausgekochten reichten ihre Urlaubsanträge für das gesamte Jahr schon Anfang Januar ein. Zügig wurde mir klar, dass sogenannte Feiertage oft bedeuteten, dass, erstens, Leute mit Kindern dabei Vorrang hatten, und dass, zweitens, die liegengebliebene Arbeit anschließend im Eiltempo nachgeholt werden musste. Sofort schlug das Durchschnaufen also wieder in hektisches Hecheln um.

Alle stierten auf den Kalender und waren enttäuscht, wenn der 1. Mai, der „Tag der Arbeit“, auf einen dienstfreien Sonntag fiel – wie auch in diesem Jahr wieder. Profis wissen: Ist der 1. Mai ein Sonntag, werden auch der erste Weihnachts- und der Neujahrstag Sonntage sein. Es fühlt sich stets aufs Neue an wie ein Betrug am kostbarsten, das ich besitze: meiner Lebenszeit.

In Spanien, Irland, Großbritannien, Belgien und Luxemburg müssen die Arbeitgeber in einem solchen Fall einen Ausgleichstag anbieten. Nun machen sich auch hierzulande die Grünen und die Linke für ein gesetzlich verankertes „Nachholen“ der kalendarisch weggeflutschten freien Tage stark. Denn: „Jeder verlorene Feiertag bedeutet mehr Stress und weniger dringend benötigte Erholung“, wie diese Woche der Linkenpolitiker Jan Korte verlauten ließ.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ich bin ganz unbedingt fürs Nachholen! Gleichwohl weiß ich, dass die Erholung letztlich doch bloß einen Zweck hat: Ich soll meine Arbeitskraft gefälligst regenerieren, damit ich in den feiertagsfreien Wochen volle Leistung bringe. Und während ich hier am Laptop handzahm herummaule, geht mir noch Folgendes durch den Kopf: Für Millionen Menschen in der Gastronomie, der Hotellerie, im Nah- und Fernverkehr, bei den Sicherheitsdiensten, im prekären Freelancerbusiness, im Gesundheitswesen und – huch! – in den Medien sind die sogenannten Feiertage sowieso eher Vollstresstage.

Wenn ich dann noch an den nächsten Sonntag denke, den 8. Mai, an dem dieses Jahr der Muttertag stattfinden soll, verfalle ich erst recht in ein garstiges Keckern. Beim Putzen, Kochen, Staub- und Kinderpopoabwischen gibt es bekanntlich niemals eine Pause, wirklich: never.

Ein „Recht auf Faulheit“ forderte der Franzose Paul Lafargue 1880. Möge irgendwer nun bitte endlich irgendetwas erfinden, das uns jenem Ziel näher bringt. Der Computer, so scheint mir, war es wohl nicht.

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