So geht ein Parteiausschluss: Ene, mene, muh – und raus bist du?
Schröder, Palmer, Sarrazin – sie alle haben Probleme mit ihrer Parteimitgliedschaft. Doch wie geht ein Parteiausschluss vonstatten?
Wann darf eine Partei ein Mitglied ausschließen?
Parteien sollen sich voneinander unterscheiden. Denn bei Wahlen zählen auch Inhalte, nicht nur Personen. Deshalb können Parteien sicherstellen, dass ihre inhaltliche Ausrichtung sichtbar bleibt, indem sie Mitglieder ausschließen, die unpassende Positionen vertreten oder ihre Glaubwürdigkeit stark beeinträchtigen. Allerdings sollen Parteien laut Grundgesetz auch demokratisch aufgebaut sein. Daher muss verhindert werden, dass ein Parteivorstand Mitglieder ausschließen kann, die nicht exakt seiner Linie folgen. Auch innerhalb einer Partei muss eine Opposition möglich sein.
Laut Parteiengesetz kann ein Mitglied deshalb nur dann ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung, erheblich gegen Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstößt und ihr so schweren Schaden zufügt.
Wie läuft ein Parteiausschlussverfahren denn nun genau ab?
Über Parteiausschlüsse entscheiden nicht die Parteivorstände, sondern parteiinterne Schiedsgerichte. Diese werden von den Mitgliedern oder Delegierten gewählt. Die Verfahren sollen ähnlich fair und neutral ablaufen wie auch staatliche Gerichtsverfahren. Meist stehen mehrere Instanzen zur Verfügung, vom Kreisschiedsgericht bis zum Bundesschiedsgericht.
Falls das parteiinterne Verfahren mit einem Ausschluss oder einer anderen Sanktion endet, kann das betroffene Mitglied zusätzlich staatliche Gerichte anrufen. Auch hier stehen wieder drei Instanzen zur Verfügung, vom Landgericht bis zum Bundesgerichtshof. Ein Ausschlussverfahren kann also jahrelang dauern.
Die staatlichen Gerichte müssen die Entscheidungen der Parteigerichte jedoch im Kern akzeptieren. Ob die Grundsätze der Partei erheblich verletzt wurden und ob dabei der Partei schwerer Schaden entstanden ist, das entscheiden die parteiinternen Gerichte nach ihren eigenen Maßstäben. Die staatlichen Gerichte können einen Parteiausschluss nur beanstanden, wenn dieser willkürlich oder „grob unbillig“ (also völlig überzogen) war.
Wie geht es weiter mit Ex-SPD-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder?
In der SPD kann jede Parteigliederung aus dem ganzen Bundesgebiet den Ausschluss eines SPD-Mitglieds beantragen. Im Fall von Ex-Kanzler Gerhard Schröder wurde der erste Ausschlussantrag am 2. März 2022 vom Kreisverband Heidelberg gestellt. Inzwischen gibt es 14 Anträge auf ein Parteiordnungsverfahren gegen Schröder.
Was ihm jeweils vorgeworfen wird, unterliegt laut SPD-Schiedsordnung der Verschwiegenheit. Aber vermutlich wird Schröder vorgehalten, dass er trotz des völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine seine lukrativen Posten bei russischen Staatsfirmen behält.
Da Schröder Mitglied im SPD-Ortsverein Hannover-Oststadt/Zoo ist, wird das Verfahren bei der Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Region Hannover geführt. Diese bereitet derzeit eine mündliche Verhandlung vor. Gerhard Schröder ist zwar selbst Anwalt, kann sich aber auch anwaltlich vertreten lassen. Die Anwält:in müsste dann allerdings SPD-Mitglied sein.
Warum dauerte es zehn Jahre bis zum SPD-Ausschluss von Thilo Sarrazin?
Im Fall von Thilo Sarrazin, der von 2002 bis 2009 Berliner Finanzsenator war, gab es drei Ausschlussverfahren. Im ersten ging es um ein Interview, in dem Sarrazin 2009 sagte, eine große Zahl an Arabern und Türken in Berlin habe „keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel“. Die Berliner Landesschiedskommission der SPD lehnte im März 2010 einen Ausschluss ab. Die Äußerungen seien provokant, aber nicht rassistisch.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nachdem Thilo Sarrazin in seinem 2010 erschienenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ über kulturelle und genetische Intelligenzunterschiede von Migrant:innen schrieb, gab es ein zweites Ausschlussverfahren, beantragt auch vom SPD-Bundesvorstand. Das Verfahren endete im April 2011 mit der Rücknahme der Ausschlussanträge. Sarrazin hatte zuvor versichert, er vertrete keine sozialdarwinistischen Theorien und verlange keine selektive Bevölkerungspolitik.
Acht Jahre später kam es zum dritten Ausschlussverfahren. Diesmal war der Antrag des SPD-Parteivorstands in drei parteiinternen Instanzen erfolgreich. Sarrazin verstoße, so die Bundesschiedskommission im Juli 2020, etwa gegen das Grundsatzprogramm der SPD, wenn er in seinem Buch „Feindliche Übernahme“ fordere, die Einwanderung von Muslimen zu beschränken oder zu unterbinden. Sarrazin verzichtete letztlich darauf, gegen den Parteiausschluss vor staatlichen Gerichten zu klagen.
Wem nutzte der Vergleich im Ausschlussverfahren der Grünen gegen Boris Palmer?
Der baden-württembergische Landesvorstand der Grünen beantragte Ende 2021 einen Parteiausschluss des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer. Ihm wurden 23 Äußerungen der letzten zehn Jahre vorgehalten. Etwa habe er sich für eine bewaffnete Sicherung der EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge ausgesprochen. Der Ausschluss sei erforderlich, „um Bündnis 90/Die Grünen von einem hartnäckigen Störer der innerparteilichen Ordnung und Verletzer der Grundsätze der Partei zu befreien“, schrieb der Parteienrechtler Sebastian Roßner, der die Grünen vertrat. Zumindest sollten die Mitgliedschaftsrechte Palmers zwei Jahre ruhen, so der Hilfsantrag des Landesvorstands.
Das Landesschiedsgericht der Grünen schlug vorige Woche einen Vergleich vor: „Aufgrund verschiedener Verstöße des Antragsgegners gegen Grundsätze und Ordnung der Partei ruht dessen Mitgliedschaft bis zum 31. 12. 2023.“ Beide Seiten nahmen den Vorschlag an. Damit ist Palmer nun gemaßregelt, aber nicht ausgeschlossen.
Für die Partei hat der Vergleich den Vorteil, dass Palmer damit auf Rechtsmittel verzichtet und keine juristische Blamage droht. Auch für Palmer ist das Ruhen der Mitgliedschaft sinnvoll. Denn als Grüner dürfte er bei der OB-Wahl im Oktober nicht gegen die von den Grünen inzwischen aufgestellte OB-Kandidatin Ulrike Baumgärtner antreten. Als vorübergehend Nicht-Grüner kann er es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei