Neues Wahlgesetz in Baden-Württemberg: Zwei Stimmen für Südwest
Baden-Württembergs Landtag beschließt ein neues Wahlgesetz, das zwei Stimmen und Wählen ab 16 vorsieht. Experten halten davon wenig.
Kern des neuen Wahlgesetzes ist die Absenkung des Wahlalters auf 16. Zudem können die Wählerinnen und Wähler analog zur Bundestagswahl künftig mit der Erststimme eine Direktkandidatin wählen und mit der Zweistimme einer Partei die Stimme geben.
Die Wahlrechtsreform war ein alter Wunsch der Grünen, bereits bevor sie mit Winfried Kretschmann den Regierungschef stellten. Sie erhoffen sich von dem Zwei-Stimmen-Wahlrecht vor allem mehr Frauen im Parlament, aber auch insgesamt mehr Vielfalt. Eine verbindliche Geschlechterparität auf den künftigen Wahllisten der Parteien hat es nicht ins Gesetz geschafft. Nicht nur wegen der entmutigenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht zu Paritätsinitiativen aus Bayern, sondern auch wegen des Koalitionspartners CDU, der insgesamt nicht als Fan der Wahlrechtsänderung gilt.
In der Vergangen Regierungsperiode hatte es wegen der Wahlrechtsreform einen Aufstand der CDU-Fraktion gegeben, der auch den CDU-Vorsitzenden Thomas Strobl beschädigt hatte. Deshalb war aus Sicht der Grünen nun Eile geboten.
Vergrößerung des Landtags als größte Gefahr
Experten stellten dem Gesetz, abgesehen vom Wahlrecht ab 16, in einer Anhörung ein schlechtes Zeugnis aus. Die größte Gefahr in der Reform sehen die Experten in der Vergrößerung des Parlaments. Die Zahl der Abgeordneten könnte auf bis zu 220 anschwellen. Der Grund sind Überhangmandate, die entstehen, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten ins Parlament schickt, als ihr Sitze durch die Zweistimmen zustehen. Der Bundestag ist so in den letzten Jahren auf aktuell 746 Abgeordnete angewachsen, 138 davon sind Überhangmandate. Alle Reformen sind bisher gescheitert.
Damit es dem Landtag in Stuttgart nicht genauso ergeht, hatten die Experten zu einer drastischen Verringerung der Wahlkreise angeraten, was auch die FDP gefordert hatte. Doch der Zuschnitt von Wahlkreisen ist zwischen den Parteien hochumstritten und wurde um des Koalitionsfriedens willen ausgeklammert.
Auch aus der Reihe der SPD, die dem Gesetz nun mehrheitlich zugestimmt hat, kam Kritik. Der Landtagsabgeordnete Gernot Gruber wandte sich in einer persönlichen Stellungnahme speziell gegen das System der Landeslisten. Es gebe den Parteien zu viel Einfluss auf die Kandidatenauswahl. Gruber beklagte, das Gesetz fördere „Karrieretrends vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal“, wie man sie im Bundestag beobachtet.
Das neue Wahlrecht muss voraussichtlich 2026 den ersten Praxistest bestehen. Diese Wahl würde wohl auch ohne neues Wahlrecht spannend. Nachdem Kretschmann angekündigt hat, kein weiteres Mal zu kandidieren, gilt das Rennen als offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei