Läuterungsvideo von Xavier Naidoo: Der bröckelnde Beton

Naidoos Entschwörungsvideo reicht nicht aus, um seine rechte Hetze wiedergutzumachen. Aber es könnte ein guter Anfang sein für einen Ausstieg.

Der Sänger Xavier Naidoo ohne Sonnenbrille

Xavier Naidoo in seinem Entschuldigungsvideo Foto: Youtube/Screenshot:taz

Es gibt diese erschütternden Begegnungen: Leute, die man aus einem früheren Leben kennt, aus der Schulzeit vielleicht, oder Bekannte, die man mit den Jahren aus den Augen verloren hat. Man trifft sie nach langer Zeit wieder, und nach einem höflichen ersten „Wie geht’s?“ findet man sich plötzlich in einem wilden Strudel aus Verschwörungstheorien, antisemitischen Narrativen, einem rassistischen und queerfeindlichen Weltbild wieder.

Erschüttert bin ich in diesen Situationen gar nicht so sehr darüber, dass es sich auch um Personen handelt, die selbst Teil verschiedener Minderheiten sind. Die eigene Betroffenheit schützt eben nicht vor rechter Ideologie. Antifaschismus ist Arbeit, er wird einem nicht in die Wiege gelegt.

Schockiert bin ich vielmehr davon, dass die Person, die vor mir steht, kaum mehr etwas mit jener zu tun hat, die in meinen Erinnerungen existiert. Das kann mit einem nostalgischen Filter zu tun haben, den mein Gedächtnis über Vergangenes legt, oder damit, dass ich früher weniger sensibel für bestimmte Rhetoriken war.

Es kann aber auch einfach sein, dass sich mein Gegenüber verändert, radikalisiert hat. Und das in Zeiten, in denen sich auch unser Zusammenleben aufgrund der anhaltenden Pandemie radikal verändert, Menschen schneller in extremistische Kreise abrutschen. Jedenfalls scheinen solche Ansichten viel schneller in beiläufigen Small Talks zutage zu treten als noch vor der Pandemie.

Antifaschismus ist Arbeit, sie wird einem nicht in die Wiege gelegt

Wir landen also in einem Streit, den wir vor zehn Jahren so nicht geführt hätten. Und häufig läuft dieser Streit ins Leere, weil ich erstens sowieso nicht daran glaube, dass es etwas bringt, mit Rechten zu reden, und sich jede Auseinandersetzung wie ein Tritt gegen eine Betonwand anfühlt.

Und zweitens wird schnell klar, dass es in diesem Streit gar nicht um Argumente geht, sondern um ein grundverschiedenes Verständnis davon, was vertrauenswürdige Nachrichtenquellen sind. Hier die als „Lügenpresse“ diffamierten klassischen Medien und Jour­na­list_in­nen, dort die von Nazis und Verschwörungstheoretiker_innen gefütterten Youtube-Channels und Telegram-Chatgruppen.

Etwas Entscheidendes dringt durch

Dass Letztere nun mit Xavier Naidoo eines ihrer bekanntesten Gesichter verloren haben, ist mehr als erfreulich. In einem Video entschuldigte Naidoo sich am Mittwoch für den „Irrweg“, den er in den letzten Jahren eingeschlagen habe: „Ich habe mich Theorien, Sichtweisen und (…) Gruppierungen geöffnet, von denen ich mich ohne Wenn und Aber distanziere und lossage. Ich war von Verschwörungserzählungen geblendet und habe sie nicht genug hinterfragt (…). Bei der Wahrheitssuche war ich wie in einer Blase und habe mich manchmal vom Bezug zur Realität entfernt. Ich habe Dinge gesagt und getan, die ich heute bereue.“

Viel ist kritisiert worden an diesem Statement des Popsängers, der aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Sinneswandel durchzumachen vorgibt. PR-Stunt, sagen die einen. Nazis bleiben Nazis, sagen die anderen. Und es stimmt, ein dreiminütiges Video reicht bei Weitem nicht aus, um zehn Jahre rechter Hetze und Reichsbürger-Propaganda wiedergutzumachen – welche Naidoos Karriere viel zu spät, aber letztlich eben doch zersetzt haben.

Aber das Statement könnte ein Anfang sein für einen ernst gemeinten Ausstieg. Vor allem ist es ein Zeichen an all jene, die diese ­Verschwörungserzählungen, die auch Naidoo selbst mit in Umlauf brachte, Tag für Tag in der Gewissheit konsumieren, ­verborgenen Wahrheiten auf der Spur zu sein. So vage Naidoos Distanzierung bislang auch sein mag, so dringt doch etwas sehr Entscheidendes im Statement durch, das sich hoffentlich auch seinen Weg in die Abgründe der noch ungefestigten Chatgruppen-Mitglieder bahnen kann: der Zweifel, der die Betonwand zum Bröckeln bringt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.