Streit um Ostermärsche: Auf der Suche nach Konsens
2.000 Menschen kommen zum Ostermarsch in Hamburg, auch anderswo im Norden wurde demonstriert. Immer wieder strittig: Was hilft im Ukraine-Krieg?
Hinter einem Banner der Marxistisch-Leninistischen Partei steht ein grauhaariger Sänger, „Kein Volk der Welt lässt sich das gefallen“, singt er, „wer hoch hinauf steigt, wird sehr tief fallen“. Hinten rechts auf dem Platz haben sich die Jüngeren versammelt, mit den Fahnen der Sozialistischen Jugend Deutschlands und einem Transparent, auf dem steht: „Wir wollen Frieden. Nein zur Aufrüstung. Deutschland raus aus der Nato“.
Ringsum laufen die Tourist:innen, die vergebens den Halbweltglamour der Reeperbahn suchen, die Sonne scheint und eine Frau verteilt Flyer für ein Straßenfest: diesem Ostermarsch fehlt alles Dramatische, dabei hat er eigentlich alle Voraussetzungen dafür. Denn schon im Vorfeld war Streit darüber ausgebrochen, wie der Krieg in der Ukraine zu deuten sei. Zum Ende des Krieges riefen alle Beteiligten auf – aber die Unterschiede in den Formulierungen waren vielsagend.
Das Hamburger Forum, das alljährlich den Ostermarsch organisiert, hatte „alle an diesem Krieg Beteiligten zu einem sofortigen Waffenstillstand“ aufgefordert. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) hatte dagegen in einem eigenen Aufruf gleich eingangs den „Angriffskrieg Russlands“ angeprangert und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ganz ähnlich Russland einen „völkerrechtswidrigen Angriff“ und „unendliches Leid“ vorgeworfen.
Die neue Friedenswegung
Was ist Konsens auf einer Demo von etwa 2.000 Leuten? Lässt sich hier herausfinden, wie die neue Friedensbewegung, die ein Redner des Hamburger Forum gleich mehrmals fordert, aussehen soll? Geht man nach dem, was die Redner:innen fordern, dann ist man sich einig darin, dass es falsch ist, Waffen an die Ukraine zu liefern, dass man stattdessen auf diplomatische Bemühungen setzen muss und sich nicht in den imperialistischen Machtkampf zwischen Russland einerseits und den USA und der Nato andererseits einspannen lassen dürfe.
Und noch etwas, was bei einigen Redner:innen auftaucht: das Gefühl, eine Wahrheit zu formulieren, die von der Mehrheit nicht gehört oder totgeschwiegen wird. Putin fühle sich zu Recht so, als „setze ihm die Nato das Messer an den Hals“, sagt jemand vom Hamburger Forum. Es folgt weder Beifall noch Protest: ist das Konsens?
Ein Sprecher auf dem Wagen der „Jugend gegen Krieg“ erklärt, dass es „erstaunlich sei, wie viele kühlen Kopf bewahrten“, wenn die großen Zeitungen ständig weitere Maßnahmen im Ukraine-Krieg forderten. Aber auch das: ein anderer Sprecher auf dem Jugend-Wagen verlangt den sofortigen Abzug Russlands aus der Ukraine.
Der Konsens, so scheint es, liegt darin, was nicht zu tun ist: keine Waffenlieferungen, kein Aufrüsten in Europa, keine Zugeständnisse an die Nato. Und was soll passieren, um den Krieg zu stoppen? Diplomatie, so heißt es, denn Waffen hätten noch nie einen Krieg beendet. Und eine Gruppe wird immer wieder genannt: die Arbeiter:innen, aus denen heraus neue Anstöße kommen könnten. Und konkreter: die Hafenarbeiter:innen, die in Genua Waffenexporte blockiert haben.
Putin als „Befreier“
Nicht nur in Hamburg, auch in anderen Städten war die Ausrichtung der Ostermärsche strittig. In Flensburg wurde der Ostermarsch unmittelbar vor Beginn vom evangelischen Kirchenkreis Schleswig-Flensburg wieder abgesagt. Das Demo-Bündnis, dem auch Die Linke, Die Grünen und die DKP angehörten, habe sich im Vorwege darauf geeinigt, auf Parteifahnen zu verzichten, hieß es. Entgegen der Absprachen seien dann jedoch Banner mitgeführt worden, die die Abschaffung der Bundeswehr oder den Austritt aus der Nato forderten. Zudem sei der russische Präsident Putin als „Befreier“ tituliert worden. Pröpstin Rebecca Lenz und Stadtpastor Johannes Ahrens hätten die Betreffenden vergeblich gebeten, auf die entsprechenden Banner zu verzichten und daraufhin gemeinsam entschieden, die Veranstaltung für beendet zu erklären.
In Bremen zählten die Veranstalter:innen gut 1.100 Menschen bei einer Kundgebung unter dem Motto „Krieg und Rüstung lösen keine Probleme!“ Im Zeichen des Krieges dürfe es keine Aufrüstung geben, sagte der Sprecher des Bremer Friedensforums, Ekkehard Lentz. Das Friedensforum lehne Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ab, sagte Lentz. „Wir fordern die Bundesregierung zur Vermittlung auf, statt zur Verschärfung des Krieges.“
In der evangelischen Kirche dagegen finden sich Stimmen, die Waffenlieferungen vertretbar finden. Bremens leitender evangelischer Theologe Bernd Kuschnerus sieht angesichts des Krieges in der Ukraine in Waffengewalt „das äußerste Mittel“, um Menschen zu schützen. „Das ist immer eine Entscheidung des Gewissens und ein Abwägen der Vernunft. Auch die Verweigerung von Waffenlieferungen würde uns nicht vor Schuld bewahren“, schrieb der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche in der Osterausgabe der „Bremer Kirchenzeitung“. Auch der Hildesheimer katholische Bischof Heiner Wilmer hält im Krieg Russlands gegen die Ukraine Waffengewalt zur Gegenwehr als letztes Mittel für gerechtfertigt: „Dass die Ukrainer ihr Land verteidigen, ist völlig legitim.“
In Hannover versammelten sich nach Angaben der Polizei und der Veranstalter:innen rund 750 Teilnehmende. In Oldenburg kamen laut Polizeiangaben rund 300 Demonstrierende zusammen, in Göttingen in der Spitze bis zu 170. In Osnabrück sprachen die Veranstalter:innen von gut 100 Teilnehmenden und später etwa 50 Radfahrer:innen bei einer Friedensfahrt.
Gegen Militarisierung
Zu den Demos hatten zahlreiche Initiativen, Parteien, Gewerkschaften und Vertreter:innen der Kirchen aufgerufen. In den Kundgebungsbeiträgen wurde vor allem gegen die Militarisierung im Ukraine-Konflikt protestiert, hieß es von der Informationsstelle Ostermarsch. Waffenlieferungen würden nur den Krieg verlängern. Nötig sei es, auf beide Seiten Druck auszuüben, um in Verhandlungen eine Einigung zu finden.
In Unterlüß zogen den Angaben der Veranstalter:innen zufolge rund 100 Demonstrierende nach einer Kundgebung vor das Gelände des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Der Direktor des Evangelisch-lutherischen Missionswerkes in Niedersachsen, Michael Thiel, sprach mit Blick auf die Ukraine von einem Dilemma. „Auf der einen Seite müssen wir uns deutlich und klar gegen jede Rüstung und Aufrüstung zu Wort melden“, sagte er. „Auf der anderen Seite können wir nicht einfach zusehen, wie Menschen entrechtet, getötet oder um ihre Heimat gebracht werden durch einen eindeutigen Bruch des Völkerrechtes.“
Der Gewerkschaftsfunktionär Heinz-Dieter Braun sagte, Rheinmetall könne auch erfolgreich zivile Produkte bauen, etwa für das Gesundheitswesen oder für erneuerbare Energien. Aber das Unternehmen wolle offenbar vom 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr profitieren. So müssten die Pflege, ein gesundes Klima und der Kampf gegen die Armut warten, kritisierte er.
Bundesweit wurde in knapp 80 Städten demonstriert, in Niedersachsen fanden nach Angaben des Netzwerkes Friedenskooperative 15 Kundgebungen, Mahnwachen und Demos statt – in Braunschweig oder Wilhelmshaven ebenso wie in Hameln oder Osterholz-Scharmbeck. In Schleswig-Holstein wurde unter anderem in Kiel, Lübeck und Wedel demonstriert. Dabei sei der Zulauf nach Angaben der Initiator:innen größer gewesen als zuletzt.
Mit Material von dpa
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