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Ostermärsche in DeutschlandAuf die Straße für den fernen Traum

In zahlreichen deutschen Städten demonstrierten am Samstag Menschen für den Frieden. In Berlin kam es sogar zu einer Ostermarsch-Konkurrenz.

Ostermarsch am 16. April in München Foto: dpa

Bonn/Duisburg/Berlin epd | In knapp 80 Städten in Deutschland sind am Samstag Menschen für Frieden auf die Straße gegangen. Hauptthemen der Ostermärsche waren die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und Kritik an der geplanten massiven Aufrüstung der Bundeswehr. „Unsere Forderungen nach Frieden und Abrüstung sind aktueller denn je, auch mit Blick auf die Gefahr einer möglichen nuklearen Eskalation“, erklärte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn, das die regional verantworteten bundesweiten Aktionen koordiniert.

Golla zeigte sich zufrieden mit den bisherigen Ostermarsch-Veranstaltungen, die am Donnerstag begonnen hatten. Am Freitag hätten die Teilnehmerzahlen etwa auf dem Niveau der Vorjahre gelegen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Der Karsamstag sei einer der Hauptaktionstage mit Kundgebungen unter anderem in München, Hannover, Stuttgart, Berlin, Saarbrücken, Leipzig und Bonn.

In Duisburg begann am Vormittag der Ostermarsch Rhein-Ruhr, der bis Ostermontag über Köln, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen und Bochum nach Dortmund führt. Er steht unter dem Motto „Eskalationsspirale durchbrechen – Atom- und Hochrüstung stoppen – Klima schützen!“

Eberhard Przyrembel vom Ostermarsch Rhein-Ruhr sagte in Duisburg mit Blick auf die Ukraine, der „skandalöse und einmalig grausame Krieg“ Russlands offenbare auch politisches Versagen in Deutschland, „denn 18 Jahre lang haben alle Bundesregierungen dieselbe ‚wehrhafte‘ Friedenspolitik mit der Rüstungsindustrie betrieben“. Die jetzt angekündigte massive Erhöhung der Rüstungsausgaben sei „keine Zeitenwende, sondern die hoffnungslose Fortsetzung immer desselben“.

Waltraud Andruet vom Friedensnetz Saar verurteilte in Saarbrücken den „völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“ und zeigte sich besorgt über die Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen. Sie wies darauf hin, dass jede Friedensbewegung nicht nur aktuelle Kriege im Blick habe. Sondern ihr Ziel sei „die dauerhafte Ächtung von Krieg und Gewalt, von Waffen und permanenter Aufrüstung weltweit“.

Friedenskoordination versus Allianz Ukrainischer Organisationen

In Berlin gab es am Karsamstag gleich zwei konkurrierende Ostermärsche für den Frieden. Zum traditionellen Ostermarsch der Friedenskoordination für eine „neue Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok“ versammelten sich nach Polizeiangaben rund 1.300 Teilnehmer. Kritiker hatten vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine zu einem alternativen Ostermarsch aufgerufen, der sich explizit gegen russische Angriffskriege richtete und das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine betonte. Dazu kamen laut Polizei rund 500 Menschen zusammen.

Der Krieg in der Ukraine müsse beendet werden, hieß es im Ostermarsch-Aufruf der Friedenskoordination. Dazu müssten Russland und die Ukraine Verhandlungen mit Kompromissbereitschaft von beiden Seiten führen. Diese Position erwähne die russische Aggression und das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung mit keinem Wort, hieß es dazu im Aufruf der Allianz Ukrainischer Organisationen und der Initiative „Adopt a Revolution“ zum alternativen Ostermarsch. Die größte Gefahr für den Frieden gehe von Diktatoren und Autokraten aus.

„Konsequente Sanktionen sind effektive Friedenspolitik“, hieß es weiter beim alternativen Ostermarsch. Auch russische Bombardierungen in Nordsyrien müssten gestoppt werden. Die Friedenskoordination betonte bei ihrem Ostermarsch hingegen, Deutschland werde durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei. Zusätzliche Militärausgaben der Bundesrepublik dürften nicht zugelassen werden. Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland seien keine Lösung.

Habeck: „Zuschauen ist die größere Schuld“

Unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine wurden die traditionellen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung diesmal von besonders heftigen Debatten begleitet. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) rief die Beteiligten zu einer klaren Botschaft an Russland auf. „Frieden kann und wird es nur geben, wenn Putin seinen Angriffskrieg stoppt“, sagte der Wirtschaftsminister der Funke Mediengruppe.

„Es sollte also bei den Ostermärschen deutlich werden, dass sie sich gegen Putins Krieg richten“, verlangte Habeck. „Pazifismus ist im Moment ein ferner Traum“, gab er zu bedenken. Kriegsverbrechen seien „offenkundig Teil“ der russischen Kriegsführung. Daher gelte für ihn derzeit, „dass Zuschauen die größere Schuld ist“, mahnte der Vizekanzler Unterstützung für die Ukraine an. Es sei „eindeutig, wer in diesem Krieg Angreifer ist und wer sich in schwerer Not verteidigt und wen wir unterstützen müssen – auch mit Waffen“.

Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff hatte die Ostermarschierenden, denen er eine Relativierung des russischen Vorgehens und der damit verbundenen Kriegsverbrechen vorwarf, als „fünfte Kolonne“ des russischen Machthabers Wladimir Putin kritisiert.

Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann verteidigte dagegen die Aktionen. Es sei nicht gerecht, Menschen, die sich seit Jahrzehnten für Frieden einsetzten vorzuwerfen, sie stünden auf der Seite Russlands, sagte sie am Samstag im NDR. Käßmann warnte vor einer Eskalation des Krieges, auch durch westliche Waffenlieferungen an die Ukraine.

In Berlin begannen drei russische Anti-Kriegs-Aktivistinnen nach eigenen Angaben am Karfreitag einen unbefristeten Hungerstreik aus Protest gegen den Angriffskrieg vor der russischen Botschaft. „Wir bleiben Tag und Nacht vor der russischen Botschaft, um den Rückzug aller russischen Truppen aus der Ukraine und einen Prozess für alle Kriegsverbrecher, inklusive des illegitimen Präsidenten Putin, zu fordern“, erklärte eine der Teilnehmerinnen, Polina Kwiatkowska, die demnach kürzlich aus Russland geflohen ist.

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10 Kommentare

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  • „Trommelfeuer, Sperrfeuer, Gardinenfeuer, Minen, Gas, Tanks, Maschinengewehre, Handgranaten - Worte, Worte aber sie umfassen das Grauen der Welt.“

    E.M. Remarque "Im Westen nichts Neues"

  • "Pazifismus ist im Moment ein ferner Traum"



    Ach, das ist doch nichts Neues. Solche Sprüche sind Pazifisten gewöhnt. Wir waren schon immer wahlweise realitätsblinde Träumer ("Kriege wird es immer geben"), Vaterlandsverräter, fünfte Kolonne von irgendwem, oder sonstwas Unappetitliches.



    Erinnert sich noch jemand an "Kampf dem Atomtod"? War 2. Hälfte der 1950-er.

  • was ich krass finde ist, das es an der friedensbewegung offenbar vorbeigegangen ist, das der auswahlgrund für die beschaffung der f-35 jagdbomber die fähigkeit zum führen der für den offensivem einsatz in asymetrischen konflikten gegen nuklear unbewaffnete gegner entwickelten b61-12 atombombe ist.



    die bewaffunung mit diesen bomben sprengt die alte nukleare teilhabe bei weitem, deren waffen waren ja zumindest in der offiziellen lesart ausschließlich defensiv.



    die bewaffnung mit der für den erstschlag entwickelten b61-12 bombe hätte einen aufschrei auslösen müssen - allerdings wurde die natur dieser waffen tatsächlich nirgendwo diskutiert. für mein empfinden ein beispielloses versagen der linken medien, parteien und der friedensbewegung.

  • Das unfassbar Böse, heute in Gestalt der russischen Führung, ihrer Armee, ihrer Propagandamaschine, hat sich entschloßen und ist dabei ein ganzes Land und seine Bevölkerung auszuschlöschen. Die Medizin gegen das Böse ist Demokratie, und deshalb versucht das Böse die Ukraine zu eliminieren. Demokratie kann nur gegen das Böse bestehen, wenn sie wehrhaft und wahrhaftig ist. Die ukrainischen Soldaten sind Soldaten der Demokratie und sie kämpfen für alle freie Menschen und solche die frei sein wollen, sie kämpfen für uns. Wir müssen sie unterstützen, ohne Wenn und Aber. Auch mit Waffen, auch mit schweren Waffen. So wie die Aliierten Hitler in die Knie gezwungen haben, muß die freie Welt heute das Böse in die Knie zwingen, sonst werden wir alle verlieren. Die Angst vor Atomwaffen darf keine Ausrede sein.

  • In unserer Stadt sind bei den montäglichen Spaziergängern jedes Mal die Fahnen der sogenannten Friedensbewegung in der ersten Reihe. Da wird inzwischen ganz offen mit Nazis und Spinnern demonstriert.

  • Das ist kein ferner Traum.

    Das ist eine falsche, muffige, selbstbezogene Sicht auf die Welt,

    Den Frieden, den sich diese Leute wünschen gleicht einer Friedhofsruhe.

    Sie sind nicht links, haben keinen Begriff von Solidarität und stammeln seit 40 Jahren dieselben Parolen, ohne auch nur ein einziges Mal ihre Positionen auf den Prüfstand zu stellen.

    • @Jim Hawkins:

      Der größte Teil der OstermarschiererInnen ist der Volkssturm des untergehenden 20. Jahrhunderts. Jede x-beliebige antikapitalistische Demo tut mehr für den Weltfrieden als dieses Boomergesocks mit seinem steckengebliebenen moralischen Kompass und seiner stehengebliebenen Uhr im Kopf.

      • @Ajuga:

        Word Up!

        • @Jim Hawkins:

          Ach ja, ich bin übrigens auch ein Boomer :-p

          • @Jim Hawkins:

            Ach, "Boomer" is a state of mind. Die Existenz von so Figuren wie Amthor, Brechtken oder Kuban beweist das.

            Und rein vom Geburtsjahr her war Rio Reiser und ist F.M. Einheit Boomer. Oder du halt. Aber eben nur vom Geburtsjahr her...