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Erst mal kein zweiter Anlauf für die Impfpflicht

Eine Corona-Impfpflicht bekam keine Mehrheit im Bundestag. Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen und Sozialverbände sind enttäuscht. Nun hängt es wieder an der Bundesregierung

Von David Muschenich

Den Blick starr nach unten gerichtet, wechselte Karl Lauterbach (SPD) das Thema zu den „nicht so guten Nachrichten dieser Woche“. Obwohl die Zahl der täglichen Corona-Infektionen zurzeit sinkt und die Intensivstationen nicht zu überlasten drohen, ist der Bundesgesundheitsminister alles andere als enthusiastisch. Bei der wöchentlichen Pressekonferenz zur Lage der Coronapandemie ging es am Freitagmorgen nicht nur um die Zahlen: Mit den nicht so guten Nachrichten meinte Lauterbach „die Niederlage bei dem Versuch der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht“.

Kein Antrag hatte dazu am Donnerstag eine Mehrheit im Bundestag bekommen. Dabei hatten sich die meisten Abgeordneten generell für eine Impfpflicht ausgesprochen. Über die genauen Konditionen wurden sie sich allerdings nicht einig.

Eine fraktionsübergreifende Gruppe hatte eine Impfpflicht ab einem Alter von 60 Jahren gefordert. Das unterstützen neben Lauterbach auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Fraktionsmitglieder der Grünen, FDP und Linken. Trotzdem fehlten ihnen einige Stimmen, denn die Parteien waren sich intern nicht einig. Während große Teile der SPD und der Grünen für die Impfpflicht stimmten, lehnten 79 von 84 FDP-Abgeordneten den Gesetzentwurf ab. Das Ergebnis war letztlich eindeutig: 296 Abgeordnete votierten dafür und 378 dagegen. Dem Antrag der Union fehlten sogar noch mehr Stimmen. Ihr Vorschlag, eine Impfpflicht vorzubereiten, die aktiviert werden soll, wenn sich die Pandemie wieder zuspitzt, erhielt 172 Ja- und 496 Neinstimmen.

Sozialverbände zeigten sich enttäuscht. „Politikversagen“ nannte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie die Abstimmung. Laut Lilie werden vor allem vorerkrankte und ältere Menschen leiden. Auch die Vorsitzende der Ärz­t*in­nen­ge­werk­schaft Marburger Bund, Susanne Johna, äußerte scharfe Kritik. Das Gesundheitssystem sei sehr wohl belastet, und die Todeszahlen zeigten, dass es sich um „keine leichte Erkrankung“ handle, sagte sie im „ZDF-Morgenmagazin“: „Deutschland hat das Pro­blem, dass weiterhin viele ältere Menschen nicht geimpft sind.“ Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind zurzeit mehr als zwei Millionen über 60-Jährige nicht geimpft.

Mehrere Studienergebnisse legen nahe, dass auch die meisten Menschen in Deutschland sich eine Impfpflicht wünschen. Laut dem ARD-Meinungsbarometer war eine Minderheit von 37 Prozent generell dagegen.

Geht der Bundestag die Impfpflicht ein zweites Mal an? Sepp Müller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, sagte nach der Abstimmung, die Union stehe für Gespräche bereit. Auch Karl Lauterbach gab nach der Abstimmung zunächst an, einen neuen Anlauf nehmen zu wollen. Doch Bundeskanzler Scholz sieht das offenbar anders. Er plane keinen zweiten Versuch: „Ich finde die Entscheidung des Bundestages sehr eindeutig.“ Daraufhin änderte auch Lauterbach seine Position. Bei einer Niederlage in der Größenordnung sei es unwahrscheinlich, „dass sich hier noch viel im Deutschen Bundestag bewegen wird“, sagte er am Freitag – und kritisierte erneut die Union. Sie habe die Impfpflicht zu einer parteipolitischen Frage gemacht.

Lauterbach hatte bis zuletzt um Stimmen aus der Union geworben, ebenso wie Paula ­Piechotta (Grüne), die noch im Bundestag Richtung CDU und CSU erklärte: „Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Ihrem und unserem Antrag, die sind so klein, die erlauben keine Nichtzustimmung.“ Aber umgekehrt galt das offenbar nicht, denn ­Piechotta enthielt sich beim Antrag der Union. Die gesamte SPD, auch Gesundheitsminister Lauterbach, stimmte dagegen.

„Deutschland hat das Problem, dass weiterhin viele ältere Menschen nicht geimpft sind“

Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bunds

Das Scheitern der Impfpflicht „ist das bedauerliche Ergebnis einer langen Taktiererei, die nicht sinnvoll war“, bemängelt Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, im Interview mit der taz (Seite 13). Gemeinsam mit den anderen Mi­nis­ter­prä­si­den­t*in­nen hatte er dem Bundestag empfohlen, für eine Impfpflicht zu stimmen. Er hoffe weiter darauf: „Wir brauchen die Impfpflicht, um im Herbst gut vorbereitet zu sein.“ Er sehe allerdings die Verantwortung bei der Ampelregierung.

Doch die FDP-Bundesminister haben nach der Abstimmung öffentlich erklärt: „Im Moment lässt sich unserer persönlichen Überzeugung nach eine Impfpflicht nicht ausreichend begründen.“ Eine schnelle Lösung bleibt also auf längere Sicht unwahrscheinlich.

Im Lagebriefing mit RKI-Chef Lothar Wieler zeigte sich ­Gesundheitsminister Lauterbach schließlich wenig optimistisch. Aufgrund der aktuellen Studienlage geht er von einer weiteren Infektionswelle im Herbst aus. Angesichts der bisherigen Impflücken seien dann auch wieder Maßnahmen nötig, so der SPD-Politiker. „Ich glaube, dass wir dann auch zu einer Maskenpflicht zurückkommen müssen.“

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