Reden über Krieg: Wie viel Realität vertragen Kinder?

Antisemitismus, Rassismus oder Krieg: Es ist ein Privileg, wenn sich Kinder nicht mit schwierigen Themen befassen müssen, die für andere Alltag sind.

Auf einem Teller ist aus Brot, Käse, Möhren und Äpfeln ein Männchen gelegt

Ich sehe ihn an, wie er über die Apfelstücke meckert und dann denke ich an zerbombte Kindergärten Foto: Reiner Ohms/plainpicture

Die Gespräche beim Abendessen sind in letzter Zeit ein Eiertanz. Ich bin fast froh, wenn der Vierjährige ohne Punkt und Komma über seinen Tag berichtet, bis er fast blau anläuft. „Und dann hab ich und dann hat sie, aber er hat auch und dann haben wir gegessen und dann, dann, dann, dann …“ hängt die Platte.

So reden wir zumindest nicht über Politik. Und wenn wir nicht über Politik reden, reden wir nicht über Krieg. Ein Wort, dass er nicht hören soll, denn dann müssten wir ihm erklären, was in der Ukraine los ist. Ich begreife es selbst kaum, wie soll ich es dem Kind erklären. Wir haben beschlossen, mit ihm nicht darüber zu reden, solange er nicht fragt. Davon abgesehen erklären wir ihm alles recht offen. Er weiß, wie Babys entstehen, er sagt Penis und Vulva, er weiß, dass es Menschen gibt, die nicht (nur) Mann oder (nur) Frau sind, er weiß, dass Kolumbus nichts „entdeckt“ hat, sondern, dass das Völkermord war.

Nicht über Politik zu reden, ist schwierig in einem Journalist*innen-Haushalt. Die Kinder wachsen mit Nachrichten und Zeitungen auf. Als der Vierjährige zwei war, hat er gern auf Köpfe in Zeitungen gezeigt und wir haben dann gesagt, wer das ist. Irgendwann hat er schon freudig „Obama!“ gerufen, sobald er den Ex-US-Präsidenten irgendwo gesehen hat. Jetzt läuft nicht mal mehr das Radio morgens.

Theoretisch weiß er, was Krieg ist

Zur Zeit ärgere ich mich schneller, wenn ich das Gefühl habe, er ist nicht dankbar – was totaler Quatsch ist, denn Dankbarkeit ist keine Kategorie, in der Vierjährige denken. Doch ich bin nur ein Mensch. Ich sehe ihn an, wie er meckert, dass die Apfelstücke auf seinem Müsli nicht so geschnitten sind, wie er das gern hätte und dann denke ich an zerbombte Kindergärten und Krankenhäuser. An Kinder in Kellern und all die Menschen, die ihre Lieben und Leben lassen in all den Kriegen und dann werde ich sauer. Aber gar nicht auf ihn. Viel mehr auf mich, weil ich es nicht ändern kann und weil alles, was ich dazu sage, in seiner Belanglosigkeit lächerlich wirkt.

Was Krieg ist, weiß er theoretisch. Wir haben ein Buch, in dem steht, dass sich Menschen manchmal bekämpfen. Das hat ihn schon in der Theorie nachvollziehbar lange beschäftigt. Wir haben auch über Flucht gesprochen, wieso Menschen ihr Zuhause verlassen. Das konnte er verstehen. Doch zwischen der Theorie und allem, was aktuell stattfindet, liegen Welten und so viele Fragen, vor denen mir graut.

Dabei denke ich, dass man Kindern mehr zumuten kann, als viele meinen. Und vielleicht wäre es sogar gut, manches früher zu besprechen. Für ein Kinderbuch habe ich letztens recherchiert, dass in Israel mit Kindern schon im Grundschulalter oder früher über die Shoah gesprochen wird. In einem kindgerechten Rahmen versteht sich. Es ist ein Privileg, sich als Kind nicht damit befassen zu müssen. Nicht zu wissen, was Antisemitismus, Rassismus, Genozid oder Krieg ist. Für viele Familien ist das Teil ihres Lebens und das geht uns alle an.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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