Analyse zu Umbenennungen in Hamburg: Täter auf dem Straßenschild

Darf der Heidi-Kabel-Platz in Hamburg bleiben? Mit solchen Fragen beschäftigt sich der Abschlussbericht einer Kommission zur Umbenennung von Straßen.

Eine Statue von Heidi Kabel auf dem nach ihr benannten Platz

Da steht sie, auf dem nach ihr benannten Platz: Heidi Kabel Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Direkt hinter dem Hamburger Hauptbahnhof liegt er, der Heidi-Kabel-Platz. Hier ist auch das Ohnsorg-Theater, auf dessen Bühne die Schauspielerin berühmt wurde. Aber darf so ein zentraler Platz nach einer Frau benannt sein, die Mitglied der NS-Frauenschaft war? Und gibt es da einen Unterschied etwa zur Theodor-Heynemann-Straße in Langenhorn, benannt nach einem Gynäkologen, der die Frauenklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leitete, als dort in der NS-Zeit rund 2.000 Frauen zwangssterilisiert wurden?

Mit solchen Fragen hat sich die Hamburger Kommission für die Umbenennung von möglicherweise durch die NS-Zeit belasteten Straßennamen beschäftigt und nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Bereits 2017 beauftragte das Hamburger Staatsarchiv den Historiker David Templin damit, eine „Wissenschaftliche Untersuchung zur NS-Belastung von Straßennamen“ anzufertigen. In dieser Studie, die im Januar 2020 erschien, schlug Templin eine Typologie vor, die helfen sollte, problematische Einzelfälle miteinander zu vergleichen.

Im September 2020 berief die Hamburger Behörde für Kultur und Medien dann eine achtköpfige Expert*innen-Kommission ein. Der veröffentlichte Abschlussbericht empfiehlt anhand exemplarischer Beispiele nun drei mögliche Vorgehensweisen: Die Umbenennung, die Wiederbenennung nach einem Namen, den die Nationalsozialisten gestrichen haben, oder die kritische Kontextualisierung.

Tätern muss die Ehrung entzogen werden

Eine Umbenennung empfehlen die His­to­ri­ke­r*in­nen bei elf Straßen oder Plätzen. All die einst geehrten Personen haben sich nach Ansicht der Kommission an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt, die Ideologie des NS-Regimes vertreten oder propagiert und ihre Haltung auch nach 1945 nicht hinterfragt oder geändert.

Hierunter fällt etwa der Gynäkologe Heynemann. Er hat durch die Zwangssterilisationen „bewusst die dauerhafte Schädigung von Menschen herbeigeführt“, war ein Vertreter der Eugenik, also der Lehre von der Verbesserung des biologischen Erbgutes, und setzte sich in „exponierter Stellung“ für „die Umsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts im medizinischen Bereich ein“. So steht es im Bericht der Kommission.

In Hamburg tragen knapp 8.900 Straßen, Wege, Brücken, Plätze und Grünanlagen einen Namen.

2.695 dieser Verkehrsflächen wurden nach Männern und nur 446 nach Frauen benannt (Stand November 2021).

Die übrigen rund 5.920 Straßen heißen beispielsweise nach Pflanzen, Tieren, Orten, Ländern oder Landschaften,.

Im Abschlussbericht der Kommission heißt es: „Neben den in den Benennungsbestimmungen festgelegten Auswahlgrundsätzen für Namen sollten seit 1985 keine Benennungen nach Personen erfolgen, die Mitglied in der NSDAP waren. Diese Regelung wurde jedoch wiederholt nicht beachtet. Hinzu kamen weitere Straßenbenennungen nach Personen, die in NS-Unterorganisationen waren, da eine solche Benennung regelkonform war.

Seit 1985 wurden in Hamburg 15 Straßen wegen NS-Belastung ihrer Namensgeber umbenannt beziehungsweise umgewidmet.

Nach einem Täter benannt ist demnach auch die Julius-Brecht-Straße in Osdorf: Der Namensgeber – seit 1937 Mitglied der NSDAP – war als Leiter von Wohnungsunternehmen an der „Wohnraumarisierung“ beteiligt. Brecht, der nach dem Krieg SPD-Mitglied wurde und seine Karriere ohne Bruch fortsetzen konnte, forcierte in der NS-Zeit die „aktive Vertreibung jüdischer Bewohner aus Genossenschaftswohnungen“. Auch hier empfiehlt die Kommission eine Umbenennung.

Nicht immer soll ein komplett neuer Name her. In einigen Fällen haben die Na­tio­nal­so­zia­lis­t*in­nen jüdische Namen von den Straßenschildern getilgt. Die Kommission empfiehlt in drei Fällen, den Straßen und Plätzen ihre früheren Namen zurückzugeben. Ein Beispiel dafür ist die nach dem völkisch-nationalistischen Autor benannte Walter-Flex-Straße. Diese soll nun wieder nach der Malerin und Pazifistin Käthe Kollwitz benannt werden.

Dies sei auch die Möglichkeit, ein „namentliches Unrecht“ wieder gut zu machen, sagt Kommissionsmitglied Miriam Rürup vom Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam.

Doch nicht alle Menschen, die einst über einen NSDAP-Mitgliedsausweis verfügt haben, sollen automatisch von den Straßenschildern im Hamburger Stadtbild weichen. So heißt es im Abschlussbericht, dass Personen, die nach dem Krieg ihre eigene Tätigkeit im NS-Regime kritisch reflektiert und sich von der faschistischen Ideologie distanziert haben, weiterhin Na­mens­ge­be­r*in­nen sein können. In solchen Fällen müsse die Stadt aber für eine informative Kontextualisierung sorgen. Ein Schild unter dem Schild also – mit ausführlichem Erklärtext.

Heidi Kabel reflektierte ihr Verhalten

Heidi Kabel ist so ein Fall. Die Kommission schreibt über die Schauspielerin: „Kabel hat sich in ihrer 1979 erschienenen Autobiografie ‚Manchmal war es nicht zum Lachen‘ selbstkritisch mit ihrem Handeln in der NS-Zeit auseinandergesetzt.“ Sie habe etwa geschrieben, dass sie ihren Mann überredet habe, dass dieser in die NSDAP eintrete, damit er bessere Chancen bei einer Bewerbung für eine Intendantenstelle in Lüneburg habe. Das soll, wenn es nach den His­to­ri­ke­r*in­nen geht, bald schon auf einer Hinweistafel stehen. In zehn weiteren Fällen soll es so eine Kontextualisierung geben.

Die Diskussion über belastete Straßennamen sei mit dem Kommissionsbericht nicht abgeschlossen, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) bei der Vorstellung des Abschlussberichts. Er versprach, dass es zu Namensänderungen kommen werde. Einen Beschluss gibt es dazu allerdings noch nicht.

Die von den Namensänderungen betroffenen Bezirke müssen Namensvorschläge ausarbeiten. Diese werden vom Staatsarchiv geprüft und letztlich von der Senatskommission zur Benennung von Verkehrsflächen beschlossen. Senator Brosda hofft, dass genau diese breite Auseinandersetzung durch das Einholen von Mehrheiten im Bezirk „zu einer profunderen Auseinandersetzung mit den Verbrechen unserer eigenen Vergangenheit und hoffentlich auch den notwendigen Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft“ führen kann.

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