Straßen umbenennen: Tote Männer haben es gut in Hamburg

Es gibt einen massiven Überhang männlicher Repräsentanz im Hamburger Stadtbild. Überraschend ist das nicht, dass sich das nicht ändert, aber schon.

Anna Augstein, Vorstandsvorsitzende der Rudolf Augstein Stiftung, Carsten Brosda (M, SPD), Senator für Kultur und Medien in Hamburg, und Ralf Neubauer (SPD), Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, enthüllen das Straßenschild «Rudolf-Augstein-Promenade» am «Spiegel»-Hochhaus in der Hafencity.

Es ist ein Rudolf! Foto: Marcus Brandt / dpa

Tote Männer haben es gut in Hamburg. Stand Oktober 2023 zieren ihre Namen 85,9 Prozent der nach Personen benannten Straßen. Mit etwas Glück bekommen sie nach dem Ableben sogar eine eigene Promenade.

Der letzte Glückliche war in diesem Jahr „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein. Pünktlich zum hypothetischen 100. Geburtstag am 5. November benannte die Stadt die Ericuspromenade am Verlagshaus des Spiegel nach dem alten Augstein. Dass der schon 20 Jahre vor Faschist Björn Höcke das Denkmal für die ermordeten Juden Europas als „Schandmahl“ bezeichnet hatte, das „gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist“ (Der Spiegel 49/1998) – geschenkt!

Für Diskussionen ist keine Zeit, es gibt ja noch mehr Promenaden zu benennen. Was ist etwa mit diesem 155 Meter langen Abschnitt zwischen Adolphsbrücke und dem Neuen Wall 75 in bester Innenstadtlage, der könnte auch mal einen anständigen Namen gebrauchen.

Wer könnte sich da besser eignen als der 2019 verstorbene Designer und gebürtige Hamburger Karl Lagerfeld. Schließlich ging der direkt um die Ecke immer so gerne einkaufen. Das dachte sich offenbar die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte, als sie einem Antrag von SPD, CDU und FDP für die Benennung zustimmte. Im Februar 2024 soll es soweit sein. Dann hat auch Karl eine eigene Promenade, „das hätte ihn bestimmt gefreut“, ist sich der NDR sicher.

Dass Lagerfeld 2018 im Zuge von #MeToo in der Modebranche am meisten schockierte, dass betroffene Frauen „20 Jahre gebraucht haben, um sich zu erinnern, was passiert ist“ … sei's drum. Dass Hamburg überhaupt Orte nach Männern benennt, mal unabhängig von der Frage, ob es sich bei diesen um Antisemiten oder Sexisten handelt – ist das nicht alleine schon die Aufregung wert? Verstößt die Stadt damit doch gegen das, was ihr Senat sich 2013 selber vorgenommen hat: mehr Geschlechtergerechtigkeit im Stadtplan verwirklichen und darin vor allem nicht-männliche Personen sichtbar machen.

Aber hey, Promenaden brauchen Namen und immerhin waren Karl und Augstein richtige Menschen und keine Märchengestalten. Hä, Märchen?

Fabelwesen und Märchenfiguren

Sie erinnern sich an die eingangs erwähnten 85,9 Prozent der nach Männern benannten Hamburger Straßen. Vermuten könnte man, dass die übrigen Prozent der Straßen Namen von Frauen tragen. Stimmt aber nur fast, da mit hinein zählen nämlich auch weiblich gelesene Fabelwesen, Märchenfiguren und literarische Gestalten. Das wären dann – No Joke – die Hexentwiete oder der Hexenberg.

Der Fairness halber muss man sagen, dass auch einige männliche Märchengestalten eine Straße haben. Aber die paar Hänslstiege fallen gegenüber Tausenden Bürgermeisterstraßen, Kolonialakteurealleen, Kapitalistenplätzen und nach mehr oder weniger berühmten Was-Männer-sonst-so-alles-werden-konnten benannten Wegen, viel weniger ins Gewicht.

Es gibt einen massiven Überhang männlicher Repräsentanz im Hamburger Stadtbild. Überraschend ist das nicht, Jahrhunderte Patriarchat haben eben Spuren hinterlassen. Trotzdem muss man doch heute nicht am laufenden Band Promenaden an sehr prominenten Orten nach irgendwelchen Karls und Rudolfs benennen.

Geschlechtergerechtere Namenspolitik gewollt

Dem Vorhaben geschlechtergerechterer Namenspolitik von Senat und Bezirken widerspricht es streng genommen trotzdem nicht. Da ging es nämlich nur um neu entstehende Straßen und die Promenaden, die waren schon da. Wahrscheinlich könnte man so viele neue Wege gar nicht bauen, dass das Geschlechterverhältnis in der Repräsentanz des Stadtplans der realen Geschlechterverhältnisse der Hambur­ge­r*in­nen entspricht.

Am Ende ist das ja aber gar nicht der Zweck der Sache. Straßen, Wege und Plätze spiegeln nicht alle wider, sondern sie tragen Namen von jenen, an die eine Gesellschaft kollektiv erinnern möchte. Feministische und antirassistische Ak­ti­vis­t*in­nen weisen darauf mit subversiven Straßenumbenennungen seit Jahren hin. An offiziellen Straßennamen kann man hervorragend gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse und deren Selbstverständnis ablesen. Wer ’ne Promenade bekommt, ist am Ende bezeichnend für Be­zeich­ne­r*in­nen – und für die herrschenden Verhältnisse. Amira Klute

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