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Enteignungsdebatte in BerlinVolkswille liegt auf Eis

Auch wenn der Volksentscheid klar erfolgreich war: Wer auf Enteignungen in Berlin hofft, braucht nach wie vor Geduld.

Tanzender Enteignungs-Protest als Erinnerung vor dem Roten Rathaus Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin taz | Ende März ist der neue rot-grün-rote Berliner Senat 100 Tage im Amt. Doch die Bestände der großen privaten Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen sind noch immer nicht vergesellschaftet. Na gut, ganz so schnell hätten das die 57,6 Prozent der Wähler:innen, die bei der Wahl Ende September für den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen gestimmt hatten, wohl auch nicht erwarten können. Ein bisschen mehr Dampf auf dem Weg zur Umsetzung von Volkes Wille aber hätte es schon sein dürfen.

In ihren Koalitionsverhandlungen hatten sich SPD, Grüne und Linke darauf geeinigt, als eine der ersten Amtshandlungen eine Kommission einzusetzen, der die „Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens“ obliegen soll. Das Gremium freilich ist ein Kompromiss zwischen den Parteien, die das Ziel des Entscheids teilen (Linke), ablehnen (SPD) oder überfordert (Grüne) – für einen postulierten eindeutigen Umsetzungswillen hat es also nicht gereicht.

Innerhalb von 100 Tagen sollte das Ex­per­t:in­nen­gre­mi­um die Arbeit aufnehmen, doch zwei Wochen vorher sind die Parteien im Clinch und die Initiative ungeduldig. Offen ist sowohl der konkrete politische Auftrag an die Kommission als auch, wer dem Gremium letztlich angehören wird – und wie viel Mitspracherecht jenen gebührt, die die Forderung gegen alle Widerstände durchgekämpft haben. Um so saurer stößt den Volks­ent­scheid­le­r:in­nen auf, dass sie noch auf eine Einladung ins Rote Rathaus warten, während die Immobilienlobby bereits zwei Mal zu Gast sein durfte.

Das Lieblingsprojekt von Giffey

Das Lieblingsprojekt der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey und ihres Stadtenwicklungssenators Andreas Geisel (beide SPD) – ein Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen – hat nämlich umgehend seine Arbeit aufgenommen. Statt über die Enteignung spricht man hier über freiwillige Selbstverpflichtungen beim Auspressen der Mie­te­r:in­nen – wohlgemerkt, mit Aktienunternehmen, deren Daseinszweck die Profitmaximierung, nicht die Mie­te­r:in­nen­zu­frie­den­heit ist. Die Hoffnung der SPD dabei: Mehr Neubau – 25 Prozent davon laut Giffey „bezahlbar“, 75 Prozent dann wohl eher nicht – und ein bisschen Zurückhaltung bei den Mieterhöhungen würden das Problem des leergefegten und überteuerten Marktes lösen.

Daran aber glaubt weder die Initiative, noch dürfte es die Berliner Mie­te­r:in­nen überzeugen. Die Frage allerdings ist: Kommt es stattdessen schlussendlich zur Enteignung? Der Weg dahin jedenfalls ist lang und die Hürden zahlreich. Die Kommission, so viel gilt trotz der derzeitigen Verspätung ihrer Vorbereitung als sicher, wird kommen. Die Linke sich hat am vergangenen Wochenende auf ihrer Fraktionsklausur für eine viertelparitätische Besetzung ausgesprochen, also das Vorschlagsrecht für ihre Mitglieder durch SPD, Grüne, Linke und DW enteignen. Eine Mehrheit an progressiven Stimmen sollte damit – aber auch bei einem möglichen anderen Besetzungsverfahren – zumindest stehen. Tagen soll sie so weit wie möglich öffentlich.

Der Initiative und der Linken ist es wichtig, dass die Debatte über die konkrete Umsetzung einer Vergesellschaftung – die Bestimmung der Wohnungsbestände, der Höhe der Entschädigung, die Form, in der die sozialisierten Bestände verwaltet werden – möglichst öffentlich geführt wird. Beide wollen über Aktionen und Konferenzen, parlamentarische Anträge und Debatten oder über Gutachten und Fachbeiträge versuchen, das Ziel mehrheitsfähig zu halten. Erst nach Abschluss der Kommissionsarbeit, die im besten Falle Leitlinien für die Vergesellschaftung hervorbringt, könnte das Parlament gesetzgeberisch tätig werden. Sollten sich die Parla­men­ta­rie­r:in­nen tatsächlich dem Willen des Volksentscheids fügen, stünde danach die gerichtliche Anfechtung.

Selbst im besten Fall werden also noch viele, viele Jahre vergehen, bis der Grundgesetzartikel 15 über die Vergesellschaftung erstmals zur Anwendung kommt und sich die Eigentümerstruktur des Wohnungsmarktes fundamental in Richtung Gemeinnützigkeit verschiebt. Im Schlechten versandet das Ganze, was einen neuen Anlauf der Initiative nach sich ziehen würde – oder es endet damit, dass Richter:innen, den Artikel zu einem historischen Artefakt hinunterstufen.

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22 Kommentare

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  • "Wer auf Enteignungen in Berlin hofft, braucht nach wie vor Geduld."

    Nein. Wer auf Enteignungen hofft, ist schlicht naiv.

  • @BONNIE

    Ach, das sind nur die Ewiggestrigen, die statt selber zu denken immer noch das Pawlowsche Reflex aus der McCarthy-Ära (AAAAH! KOMMUNISMUS!) pflegen :-)

  • Was soll das gerede von "keiner erinnert sich mehr an die DDR"?



    Die Wohnungen sollen in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Die Mieter sollen mitreden wie die Häuser geführt und instand gehalten werden.



    Bitte informieren sie sich erstmal bevor sie hier so einen quatsch reden und absurde Bilder aus der DDR beschwören. Wir leben heute in eiener Demokratie und die Volksentscheid Initiative ist ein zutiefst demokratisches Projekt und zudem gut durchdacht.

  • @BARTHELMES PETER

    Hören Sie doch auf mit diesen ollen Kamellen. Die kommen direkt aus dem Argumentarium von "Haus und Grund".

    Irgendwelchen Lobbies nachzuplappern bringt die Debatte nicht voran.

    • @tomás zerolo:

      Man kann ggü. der Geschichte natürlich auch den Kopf in den Sand stecken. Fragen Sie doch mal Leute, die den Osten tatsächlich erlebt haben, oder die bis 2000 in Häusern der GSW wohnten.

  • Hallo, das Endergebnis war 59,1 % für DWEnteignen,



    nicht 57,6 % .

    In einer Demokratie sollte jede Stimme zählen, oder? Bitte Frau Giffey daran erinnern...

  • Kann sich niemand an den West-Berliner Wohnungsmarkt erinnern ?



    Meistens billig, da der Wohnungsmarkt stark reguliert war. Überall Knappheit, Verfall,Sanierungsstau, große Abstände, dem Vormieter zu zahlen !



    In der DDR war der Wohnungsmarkt vergesellschaftet, Verfall, Wohnungsknappheit, verfallene Städte und gigantische Plattenbauten mit Winzwohnungen- und zimmern.



    DDR 2.0 in Berlin, wirklich erstrebenswert ???

    • @Barthelmes Peter:

      .... Plattenbauten mit Winzwohnungen- und zimmern. ...



      Nicht ganz.



      Damals sehr gefragt!



      5-Raum-Wohnung. Nur mit Vitamin B.



      www.ddr-museum.de/de/objects/1006681



      Mit Miete fang ich gar nicht an.



      So eine moderne, heutige Art WBS 70,



      warum nicht.



      Die Platten in der Leipziger auch nicht schlecht.

      • @Ringelnatz1:

        Es geht nicht darum, ob es heute in der Leipziger ordentliche PlattenbauWEs mit Ausblick gibt, sondern darum, wie landeseigene Wohnungen in Ost und West in den 80ern, teilweise, auch in Westberlin bis in die 2000er instandhaltungstechnisch aussahen.



        Ihr Link sagt darüber nichts. Die Wohnungen in Marzahn sahen Ende der 80er in den Versorgungskellern tw. verheerend aus, um den Rest kümmerten sich die Mieter, fast ausschließlich auf eigene Kosten, und auch das funktionierte oft nur mit Vitamin B.



        Wenn Sie also was dazu verlinken möchten, dann z.B. vllt. so etwas:



        www.turus.net/foto...berlin-142609.html



        In solchen Häusern haben zu Ostzeiten tatsächlich Menschen gewohnt.

        • @AusBerlin:

          Auch in solchen Häusern haben (tatsächlich) Menschen gewohnt:



          www.deutschefototh...bildarchiv_0001916

          • @Ringelnatz1:

            Das Sie nun als Antwort eine Wohnhaus aus dem ddr-Sanierungsgebiet Husemannviertel, Husemannstr. 15, zum 750. Berlingeburtstag, präsentieren, disqualifiziert Sie eigentlich schon für dieses Thema.



            Davon abgesehen, dass der Spruch, "Außen hui, innen pfui" nirgends besser passte, als in diese Fassaden-, Dach- und Hofsanierungsaktion. Nur vereinzelt wurden Treppenhäuser saniert, Wohnungen nur bei Parteigetreuen.



            Honnecker selbst war zur großen Bauabnahme dabei, er versuchte, in der Sredzkistraße einen Wasserhahn im Hof zu benutzen, leider war kein Wasserrohr angeschlossen, er wurde lediglich in die Fassade eingemauert.

            • @AusBerlin:

              Ich bin so was von Qualifiziert!



              Ach was, überqualifiziert.



              Was unser kleines Ostsparring anbelangt kann ich als ehemaliger Bewohner(ab 80'er) der Gleimstr., dritter Hof, Klo halbe Treppe(alleine!) als Punktsieger hervorgehen.



              Es wahren weder die gigantischen Platten m. Winzwohnungen, Schliemannstr. oder Husemann von Köpenick, Treptow ganz zu schweigen.



              Es lag dazwischen!



              Wenn wir damals die Stargarder(Gethsemane) hoch sind war trotz der Einschußlöcher Atmosphäre da.



              Das was Lakomy sang, meine ich mit dazwischen.



              City brachte das auch janz jut.



              www.youtube.com/watch?v=741Xe13TD9w



              (Gleim 4:25)



              Wie gesagt Punktsieger.

              • @Ringelnatz1:

                Atmosphäre, alles klar.

  • Ich halte die Befürworter der Enteignung für genauso schlecht informiert wie die Befürworter des Tempelhofer-Feld-Bebauungs-Verbots 2014.



    Damals wusste kaum jemand, was tatsächlich bebaut werden sollte, heute niemand, welche Kosten das nach sich zieht.



    Die Initiative "DW&Co. enteignen rechnet zwar vor, wie in den nächsten Jahrzehnten aus den Mieten die Entschädigungen bedient werden sollen, nicht jedoch, wie dann die Instandhaltungen finanziert werden. Wem da nicht Vergleiche zur ddr-Wohnungspolitik in den Sinn kommen, hat diese nicht selbst erlebt.

    • @AusBerlin:

      Wer finanziert die Instandhaltung denn jetzt? Sorry, aber dass die Instandhaltungen aus den laufenden Einnahmen nicht finanziert werden könnten, ist ein Märchen. Ich vermiete selbst Wohnungen in Berlin und kann bestätigen, dass die Instandhaltung - auch bei moderaten Mieten - nicht das eigentliche Problem ist.

      • @Aurego:

        In den Berechnungen der Initiative "DW&Co. ennteignen" werden die Instandhaltungskosten nicht erwähnt, im Gegensatz zu den Entschädigungen, die selbst bei der niedrigsten Summe ausschließlich aus den Mieten bedient werden sollen. Dass das nicht funktionieren kann, sollte jemand wissen, der "selbst Wohnungen in Berlin" vermietet. Die entsprechende Rechnung der "DW&Co. ennteignen" geht 1:1 auf, da bleibt kein Potential für Inst.maßnahmen.

        • @AusBerlin:

          @AUSBERLIN Ich kenne die Zahlen sehr genau und weiß auch, dass DW die meisten Wohnungen nicht gestern, sondern schon vor einigen Jahren gekauft hat - man darf da nicht mit aktuellen Kaufpreisen rechnen. Da bleibt sehr wohl Potential für Instandhaltung. Meine Eigenkapitalrendite liegt über 10% - trotz Instandhaltung.

    • @AusBerlin:

      Problem ist das nur sehr wenige "Berliner" unter den AktivistInnen sind die sich noch an die Zustände in Ostberlin erinnern können. Wenn ich mir überlege wie unsere Wohnung in Prenzlauer Berg in den 70/80 ern aussah mit Außenklo und allem was dazugehört. Die echte Ostberliner Bevölkerung wurde ja jetzt 30 Jahre lang effektiv verdrängt und nun rufen die zugezogenen Schwaben ihre eigenen Milieuschutzgebiete aus um nicht selbst verdrängt zu werden.

      • @Šarru-kīnu:

        @ŠARRU-KĪNU In den 70/80 ern gab es auch in Frankfurt am Main in bestimmten Stadtteilen noch Wohnungen mit Außenklo. Das ist jetzt nicht so das ultimative Argument ;)

  • "... dass sie noch auf eine Einladung ins Rote Rathaus warten, während die Immobilienlobby bereits zwei Mal zu Gast sein durfte."

    Eigentlich spricht das Bände. Wenn das Recht auf Eigentum das Recht auf Leben toppt.

    • @tomás zerolo:

      Was haben sie erwartet? Nur ein Partei hat das Volksbegehren unterstützt. Und die hat es zwar in die Regierung geschafft, aber nur als Juniorpartner.

      Da hätten mehr "richtig" Wählen müssen, dann würde auch mehr passieren. So wird es im Sand verlaufen.