Die Kräne der Baustelle des Westfield Hamburg-Überseequartiers bestimmen die Skyline der Hafencity in Hamburg

Platz für neue Wohnungen in schicker Wasserlage: Hamburgs Großbaustelle Hafencity Foto: Markus Scholz/dpa

Bündnis für Wohnen in Hamburg:Bauen, bauen, bauen

In Hamburg brachte Olaf Scholz als Bürgermeister den Wohnungsbau im Bündnis mit der Wirtschaft auf Trab. Jetzt soll das bundesweit Vorbild werden.

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15.3.2022, 15:26  Uhr

Es war ein Schlüsselmoment in der Hamburger Politik: Nach einer einstündigen, von der Linken angemeldeten Debatte zum Thema Mietpreisexplosion trat der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ans Rednerpult – und machte deutlich, dass der Wohnungsmangel in Hamburg Chefsache ist. „Es fehlen 30.000 bis 40.000 Wohnungen“, stellte er 2011 fest, „und die wollen wir mit größter Anstrengung bauen.“ Jedes Jahr müssten 6.000 preiswerte Wohnungen fertiggestellt werden. „Wir müssen das Wachstum der Bevölkerung als Chance begreifen“, mahnte Scholz, „nicht als Bedrohung“.

Das Problem der stark steigenden Mieten will Scholz auch als Bundeskanzler angehen, schließlich hat er versprochen, dass einfache Menschen anständig leben können sollen. Dafür hat die Ampelkoalition den Bau von 400.000 neuen Wohungen angekündigt, 100.000 davon Sozialwohnungen. Fragt sich, ob das Hamburger Rezept „Bauen, bauen, bauen“ tatsächlich als Blaupause für andere Großstädte und Regionen taugt, also letztlich für günstigere Mieten sorgt.

Nacheifern will etwa das doppelt so große Berlin. Dort hat die jetzige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im Wahlkampf den Bau von 20.000 Wohnungen pro Jahr angekündigt – nicht zuletzt, um der Initia­tive für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen die Luft zu nehmen.

Bezahlbare Mieten als Ziel

Olaf Scholz (SPD) hat das Thema der immer weniger bezahlbaren Mieten 2010 identifiziert, als er sich anschickte, der CDU nach zehn Jahren die Macht in Hamburg wieder abzunehmen. Ein forcierter Wohnungsneubau hatte zwar auch schon auf der Tagesordnung der schwarz-grünen Vorgängerregierung unter Ole von Beust gestanden. Die grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk startete zwei Wohnungsbauoffensiven, die jedoch mit dem Zuzug nicht Schritt halten konnten.

Die neue Regierung übernahm den noch von Hajduk eingesetzten Wohnungsbaukoordinator – ohnehin ein SPD-Mitglied –, und sie ging noch einen Schritt weiter: Sie schuf ein Bündnis für das Wohnen, das zum einen wechselseitige Vereinbarungen mit der Wohnungswirtschaft umfasst und zum anderen Zielvereinbarungen mit den sieben Hamburger Bezirken. Im vergangenen Jahr ist das „Bündnis für das Wohnen“ zum dritten Mal verlängert worden.

Dabei wurden die Ziele von Mal zu Mal ehrgeiziger. Seit 2016 gilt als Ziel, 10.000 Wohnungen pro Jahr neu zu genehmigen. Seit 2021 sollen 35 statt 30 Prozent davon Sozialwohnungen sein mit einer Preisbindungsfrist von 30 Jahren.

Demografische Entwicklung

Das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt wird eine Zuwanderung nach Deutschland nötig machen, die zusätzlichen Wohnraum erfordert. Besonders auf Zuzug gefasst machen müssen sich die „Schwarmstädte“, die junge Leute anziehen. Die wachsende Zahl von Einpersonenhaushalten vergrößert den Bedarf an Wohnfläche.

Ökonomische Faktoren

Die steigenden Löhne der abhängig Beschäftigten machten es möglich, höhere Mietforderungen durchzusetzen. Niedrige Zinsen machen den Wohnungsbau für institutionelle, auch börsennotierte Investoren attraktiv, die deutlich konsequenter auf Rendite achten als Privatinvestoren.

Baukosten

In vielen Städten sind die Grundstückspreise stark gestiegen. Baumaterial ist derzeit ebenso knapp wie Fachkräfte und entsprechend teuer. Überdies treiben die gesetzlich vorgeschriebenen Standards wie etwa für den Klimaschutz die Baukosten in die Höhe.

Der Senat verpflichtet sich zu einer „gemeinwohlorientierten Boden- und Liegenschaftspolitik“. Er will gezielt Grundstücke kaufen und entwickeln, sein Vorkaufsrecht „konsequent ausüben“ und Veränderungssperren erlassen, um Bodenspekulation zu verhindern. Eigene Grundstücke will er in Zukunft vermehrt im Wege des Erbbaurechts vergeben, statt sie zu verkaufen.

Olaf Scholz mit Helm auf

Hatte in seiner Hamburger Bürgermeisterzeit immer den Bauhelm parat: Olaf Scholz packt's an Foto: Christian Charisius/dpa

Mit dem Erbbaurecht erhält die Stadt das Grundstück nach einer festgelegten Zahl von Jahren zurück, sodass sie langfristig ihre städtebaulichen Gestaltungsmöglichkeiten behält. Bei den Baugenossenschaften, die ebenso wie die öffentlichen Wohnungsunternehmen am ehesten für eine solche Vereinbarung in Frage kommen, ist das Modell nicht gerade beliebt, weil sich die Grundstücke dann nicht beleihen lassen. Insofern darf es als Zugeständnis gelten, dass sie ihre Unterschrift unter die entsprechende Formulierung gesetzt haben.

Allerdings hat der Senat ja die Grundstücke in den Hand und kann die Regeln setzen, auch ohne dass er eine umfassende Vereinbarung mit der Wohnungswirtschaft schließt. Das gilt auch für die Vorschrift, öffentlich geförderte Wohnungen, also Sozialwohnungen zu bauen. Sie greift, wenn ein Bauherr Befreiungen vom Planrecht oder gar einen neuen Bebauungsplan braucht oder das Grundstück der Stadt gehört. Hier hat der Senat also ohnehin den Daumen drauf. Der Rest sind Bekenntnisse.

Ein Bündnis schafft Konsens

Was also bringt so ein Bündnis? „Die vertragliche Verpflichtung zum Dialog“, antwortet Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Die Probleme, angefangen von den Baukosten über Baustandards, Grundstückspreise bis hin zu Anforderungen an Grundstückskäufe, blieben natürlich die gleichen. Beginnend mit der Wohnungsbaukoordinatorin gebe es jetzt aber eine fest etablierte Kommunikationsstruktur, mit der sich Probleme lösen ließen.

Mit dem Bündnis werde ein Konsens zwischen dem Senat und den übrigen Akteuren erzielt, der sofort umgesetzt werden könne, sagt Rolf Bosse, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, der das Bündnis beratend begleitet. „Wir sind da im besten Sinne in der Demokratie.“ Auch Syliva Sonnemann vom alternativen Verein Mieter helfen Mietern MHM hält das Bündnis im Grundsatz für verdienstvoll. „Es geht darum, das Bauen schneller und attraktiver zu machen“, sagt sie.

Im Gegenzug dafür, dass die Wohnungswirtschaft sich auf die Vorgaben des Senats einlässt, verschafft dieser ihr die Möglichkeit zu bauen. Hier kommen die Bezirke ins Spiel. Mit einem „Vertrag für Hamburg“ verpflichtet er sie, auf ihrem Gebiet eine bestimmte Anzahl von Baugenehmigungen zu erteilen. Sie sollen Grundstücke suchen und Planrecht schaffen, sich dabei mit Blick auf den Bedarf mit den Wohnungsunternehmen abstimmen und prüfen, wo sich sich am besten geförderter Wohnungsbau realisieren ließe.

Die Bezirke in Hamburg sind zwar keine eigenständigen Kommunen. Sie sind regionale Behörden mit Gemeinderäten – Bezirksversammlungen –, die vom Volk gewählt werden und zur deren wesentlichen Aufgaben es gehört, Bebauungspläne aufzustellen. Handeln die Bezirke gegen das, was der Senat unter dem gesamtstädtischen Interesse versteht, kann er deren Entscheidungen kassieren.

Dennoch: Die Vor-Ort-Kompetenz liegt bei den Bezirksversammlungen und der bezirklichen Verwaltung. Der Senat verpflichtet sie deshalb zu beschleunigten Planungs- und Genehmungsverfahren. Ihnen obliegt es auch, den Widerstand gegen die Vorhaben auszuräumen, indem sie die Bürger frühzeitig mit Präsentationsveranstaltungen und Workshops einbinden – über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus.

Prachtvoll ausgeleuchtet: Bei der Unterzeichnung vom ersten „Bündnis für das Wohnen“ 2011 Foto: Foto: Christian Charisius/dpa

Grundstücke mitten in der Stadt zu finden und das Bauen auf der grünen Wiese zu vermeiden, ist dabei nicht trivial. „Die reifen Früchte wurden in den vergangenen Bündnissen für das Wohnen gepflückt“, brachte es VNW-Direktor Breitner in einem Gespräch mit der taz auf den Punkt. „Jetzt kommen komplizierte Grundstücke mit hohen Erschließungskosten, mit schwierigen Gründungen und Nachbarschaften, die sich an der Verdichtung stören.“

Dass es Hamburg geschafft hat, auf 10.000 neue Wohnungen im Jahr zu kommen, gilt vielen als Erfolg

Damit sich die Bezirke recht ins Zeug legen, sagt ihnen der Senat zusätzliches Personal zu und als Zuckerbrot für die Bezirksversammlungen 350 Euro je genehmigter Wohnung für deren Verfügungsfonds – in Summe also sechsstellige Eurobeträge. Angesichts der geringen Summen, über die die Bezirksparlamentarier verfügen können, ist das ein beträchtlicher Anreiz.

Durchaus ein Erfolgsmodell

Dass es Hamburg geschafft hat, auf 10.000 neue Wohnungen im Jahr zu kommen, gilt vielen als Erfolg. „Das, was in Hamburg passiert, ist vorbildlich für Deutschland“, sagt Günter Vornholtz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum. „Das Hamburger Modell ist durchaus ein Erfolg“, sagt auch Michael Voigtländer, zuständig für Finanz- und Immobilienwirtschaft beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Es zeigt, wie wichtig es ist, den Wohnungsbau zu priorisieren.“

Voigtländer hat im November 2021 eine Studie zum Wohnungsbedarf vor allem in den deutschen Großstädten veröffentlicht. Zusammen mit seinem Co-Autor Ralph Henger kommt er zu dem Befund, dass Hamburg im Vergleich der sieben größten Städte 2016 bis 2021 keineswegs die meisten Wohnungen gebaut hat. Mit 5,1 pro 1.000 Einwohner waren es zwar mehr als in Berlin (4,1), aber weniger als in Frankfurt (5,9) oder München (5,5).

Am besten schneidet Hamburg unter den sieben Metropolen ab, wenn die Autoren den Wohnungsbedarf mit den errichteten Neubauten vergleichen. Hier kommt die Hansestadt auf einen Wert von 93 Prozent, während Berlin nur 78 Prozent des Bedarfs deckte und Köln 40 Prozent.

Voigtländer zufolge hat die rege Bautätigkeit in Hamburg durchaus auf die Mietpreisentwicklung durchgeschlagen: „Legt man die bereinigten Angebotsdaten zu Grunde, stellt man fest, dass es in Hamburg einen geringeren Anstieg gab als anderswo.“ Der Professor stützt sich dabei auf den Median der Neuvermietungsmieten, die in Hamburg von 2012 bis 2021 um 25 Prozent stiegen. Die Hälfte der Mieten liegt über dem Median, die Hälfte darunter. In Berlin stieg der Median um 57 Prozent, in Frankfurt bei starker Bautätigkeit um 34 Prozent.

Der Verbraucherpreisindex für die Nettokaltmiete des Statistischen Bundesamtes, der die Bestandsmieten abbildet und daher von Hause aus weniger dynamisch ist, zeigt eine ähnliche Tendenz: Von 2015 bis 2021 ist er in Hamburg um 7 Prozent gestiegen, in Berlin um 8, in Bremen um 12.

Kritik am Mietenspiegel

Vielen Hamburgern fällt es schwer, das zu glauben. Wellen schlug, dass der Durchschnittswert des Mietenspiegels in den vergangenen zwei Jahren um 7 Prozent auf 9,29 Euro für den Quadratmeter gestiegen ist, nach nur 3 Prozent im Zweijahreszeitraum davor. Die Stadtentwicklungsbehörde erklärt einen Teil der Entwicklung damit, dass viele neue Verträge abgeschlossen und besonders viele Wohnungen modernisiert worden seien. In Berlin stieg der Wert von 2019 bis 2021 nur um 1 Prozent auf 6,79 Euro, nicht zuletzt wohl wegen des Mietendeckels, der dann allerdings im März 2021 vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde.

Die Mietervereine kritisieren den Mietenspiegel, weil er nur die Mieten berücksichtigt, die in den vergangenen sechs Jahren gestiegen oder neu vereinbart worden sind. Damit werde das Bild des Marktes verzerrt – zuungunsten der Mieter, weil mit dem Mietenspiegel Miet­erhöhungen begründet werden.

Die beiden Hamburger Mietervereine beobachten, dass das Bündnis für das Wohnen das Problem der steigenden Mieten abmildert. „Jeder Schritt, der Wohnraum schafft, dort wo er gebraucht wird, ist erst mal richtig“, sagt Mietervereinsgeschäftsführer Bosse.

Allerdings sind Neubauten teuer. Bosse würde sich deshalb wünschen, dass der Senat zwei Drittel statt 35 Prozent der Wohnungen subventioniert – auch mit dem Ziel, mehr Wohnungen für Geringverdiener im Preissegment von 8 bis 9 Euro zu bauen.

Sylvia Sonnemann von MHM würde sich wie Bosse eine stärkere Regulierung des Marktes wünschen, etwa einen verfassungskonformen Mietendeckel, eine bessere Mietpreisbremse oder einen besseren Kündigungsschutz. Mit Bauen allein sei es nicht getan.

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