Das läuft in Berliner Kinos: Einatmen, ausatmen

Dichte Woche: Postsowjetisches Kino aus Georgien, neoliberaler Spätkapitalismus in Frankreich und Helke Sanders feministischer Blick auf die BRD.

Eine Frau mit Jeansjacke und rotem Kapuzenpullover steht an einem Geländer und schaut erschöpft Richtung Boden, im Hintergrund sind alte Gebäude und die Taue der Seilbahnstrecke zu sehen

Läuft in der Reihe „Neues Kino aus Georgien“ im Arsenal: Dito Tsintsadzes „Inhale – Exhale“ Foto: Antidote Sales

Geografisch betrachtet liegt Georgien ziemlich genau an der Grenze zwischen Europa und Asien. Cineastisch scheint Europa allerdings etwas näher zu liegen, besitzt die ehemalige Sowjetrepublik doch eine auch bei uns überaus geschätzte und reiche Filmkultur, deren Anfänge sogar noch in die Zeit vor der Sowjetunion zurückreichen. Der Klassiker Otar Iosseliani hatte kürzlich bereits eine Retrospektive im Kino Arsenal, nun wird mit der im Februar laufenden Reihe „Neues Kino aus Georgien“ nachgelegt. Wie der Reihentitel bereits sagt, geht es um das aktuelle Kino: zehn Spiel- und Dokumentarfilme aus der Zeit seit 2017, die einen aktuellen Blick auf das Land am Schwarzen Meer werfen.

Mit dabei sind der Iosseliani-Schüler Dito Tsintsadze mit seinem Spielfilm „Inhale – Exhale“, einer Geschichte um eine Frau, die sich nach einem unverschuldeten Gefängnisaufenthalt in ihrer Familie fremd fühlt. Oder auch Lana Gogoberidze, die in dem Spielfilm „The Golden Thread“ ausgehend vom heutigen Leben einer alten Schriftstellerin (gespielt von der Filmemacherin Nana Djordjadse) auch die Erinnerung an die sowjetische Zeit des Landes unter die Lupe nimmt („Inhale – Exhale“, 4.2., 21 Uhr; „The Golden Thread“, 4.2., 6.2., 19 Uhr, Arsenal 1).

Immer wieder hat der französische Regisseur Robert Guédiguian über die Jahre mit einem festen Stamm an Dar­stel­le­r:in­nen Filme über die „kleinen“, die sozial benachteiligten Leute in Marseille gemacht; seine Werke könnte man als eine Art Chronik der letzten drei Jahrzehnte betrachten. In „Gloria Mundi“ erzählt er am Beispiel einer Familie, die sich irgendwie durchschlägt, vom neoliberalen Spätkapitalismus unter Präsident Macron: Die gerade Mutter gewordene Mathilda ist Verkäuferin und sieht sich ständig von der Kündigung bedroht, Kindsvater Nicolas chauffiert freiberuflich Tou­ris­t:in­nen herum (und sieht sich von den organisierten Ta­xi­fah­re­r:in­nen bedroht, was weiteres Unheil nach sich zieht), Mathildas Mutter Sylvie arbeitet als Putzfrau, allerdings streiken ihre Kol­le­g:in­nen gerade. Sylvie lieber nicht, denn sie hat Angst, den Job zu verlieren.

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Blick auf eine entsolidarisierte Gesellschaft

Geschafft haben es scheinbar Mathildas Schwester Aurore und ihr Freund Bruno, die einen Secondhand-Laden eröffnet haben. Doch dieses Paar besitzt keinen moralischen Kompass: Sie beuten Angestellte, Kun­d:in­nen und Familienmitglieder gleichermaßen schamlos aus. Es ist ein klarer Blick auf eine entsolidarisierte Gesellschaft, die Utopie einer Besserung ist nicht in Sicht (3. Februar, 17 Uhr, 4.2., 9.2., 16.45 Uhr, Acud Kino).

Zu sehen gibt es bei der Auftaktveranstaltung der Woche der Kritik, die seit einigen Jahren mit ihren Filmprogrammen, Diskussionen und Vorträgen die Berlinale kritisch begleitet, nichts. Denn am Anfang steht die Konferenz „Stillstand verboten? – Welche Fortschritte das Kino braucht“ – das Sprechen über das Kino ist den Ku­ra­to­r:in­nen stets genauso wichtig gewesen wie die Filme selbst.

Das Thema wird unter der Fragestellung erörtert, wie es angesichts des Stillstandes in den Tagen der Covid-Pandemie um eine progressive Filmkultur bestellt ist. Eine Reihe von Gästen diskutieren und tragen vor, darunter mit Eva Sangiorgi die Leiterin der Viennale, der Regisseur Nadav Lapid sowie der Film- und Kulturjournalist Georg Seeßlen (9. Februar, 19 Uhr, Akademie der Künste, Pariser Platz).

Die Filmemacherin Helke Sander warf seit den späten 60er-Jahren einen dezidiert feministischen Blick auf das Zeitgeschehen in der BRD. Das Bundesplatz-Kino ehrt sie dieser Tage mit einem Screening von ihrem Film „Der subjektive Faktor“ von 1981, der in einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarszenen von den Anfängen der Frauenbewegung erzählt. Helke Sander ist zu Gast (6. Februar, 11 Uhr, Bundesplatz Kino).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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