Prozess um NSU 2.0-Drohschreiben: Die Angst bleibt

Drei Jahre lang erhielt die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız rassistische Drohbriefe. Vor Gericht sagte sie aus, wie das ihren Alltag veränderte.

Schnell gereizt von der Aussagen: der Angeklagte im „NSU 2.0“-Verfahren und sein Anwalt Foto: Boris Roessler

FRANKFURT AM MAIN taz | Seda Başay-Yıldız redet ruhig, faltet die Hände vor sich auf dem Zeugentisch. Aber immer wieder stockt sie, überlegt lange, was sie auf Fragen antwortet. Man merkt ihr die Belastung an, die Ängste, bis heute. Sie habe im Sommer 2018 viele Drohschreiben bekommen, weil sie damals einen Islamisten vertreten habe, berichtet die Anwältin am Montag vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Das Fax aber, das sie am Nachmittag des 2. August 2018 erreichte, unterzeichnet mit „NSU 2.0“, war besonders. Sie solle Deutschland verlassen, „solange du hier lebend rauskommst“, stand dort. Dann wurde ihre Meldeadresse benannt und der Name ihrer Tochter, damals 22 Monate alt – mit der Ankündigung, sie zu „schlachten“.

„Das war das erste Mal, dass ich Anzeige erstattet habe“, sagt Başay-Yıldız, im Prozess gegen den Berliner Alexander M., der Verfasser der „NSU 2.0“-Drohserie sein soll. Die privaten Daten, der Name ihrer Tochter, sie habe sich das nicht erklären können und es habe etwas in ihr ausgelöst. Sie habe sofort ihren Mann angerufen, am nächsten Tag die Polizei informiert.

Und die Serie ging weiter, fast drei Jahre lang. Die „NSU 2.0“-Schreiben gingen auch an weitere Personen, immer wieder aber an Başay-Yıldız. Mehr als ein dutzend Schreiben erreichten die NSU-Opferanwältin, fast durchweg mit expliziten Todesdrohungen. Nun auch mit Nennung ihrer Eltern und deren Geburtsdaten, dann mit ihrer neuen, als geheim eingestuften Adresse, die auch offen ins Internet gestellt wurde – samt Aufruf, sie zu töten. Am Ende liefen Unbekannte um ihr Haus, die Fotos machten. Başay-Yıldız weiß bis heute nicht, wer sie waren.

Rückzugsort wird zur Festung

Der ganze Alltag der 46-Jährigen wurde seitdem auf den Kopf gestellt. Sie musste vorübergehend von zu Hause aus arbeiten, sagte Mandate und öffentliche Termine ab, bekam Polizeischutz. Sie lässt ihr Haus für 50.000 Euro absichern, bis heute ist es eine Baustelle – der Rückzugsort wird zur Festung. Die Familie diskutierte, ob sie ihren Anwaltsjob noch weitermachen könne. Sie musste ihre Eltern beruhigen, ihre Tochter abgeschirmt zur Kita bringen, die bis heute nichts von den Drohungen erfahren hat. Und der Schrecken ist nicht vorbei. „Wir lassen unsere Tochter nach wie vor keine Sekunde aus den Augen“, sagt Başay-Yıldız.

Alexander M. verfolgt die Aussage mit verschränkten Armen, weicht den Blicken von Başay-Yıldız aus. Schon zu Prozessbeginn hatte der 54-jährige, erwerbslose Informatiker behauptet, nichts mit der Drohserie zu tun haben. Die Schreiben seien vielmehr von einer Darknetgruppe versendet worden, der auch Polizisten angehört hätten und zeitweilig auch er selbst. Und tatsächlich wurden die Daten von Başay-Yıldız und ihrer gesamten Familie am 2. August 2018 auf dem 1. Revier in Frankfurt am Main abgefragt, mit gleich 17 Abfragen, anderthalb Stunden vor dem ersten Drohfax.

Ungehaltener Angeklagter

Laut Anklage besorgte sich Alexander M. die Daten über Anrufe bei der Polizei, in denen er sich als Behördenmitarbeiter ausgab. Auf seinem PC fanden sich einige der Drohschreiben. Başay-Yıldız aber glaubt, dass zumindest an dem ersten Drohfax Polizisten beteiligt waren. Anders sei die akribische Abfrage nicht zu erklären.

Und sie verweist auch darauf, dass in früheren Verfahren von ihr, zu Abschiebefällen, auch Polizisten des 1. Reviers saßen. Hatte einer von ihnen sie dort ins Visier genommen? Başay-Yıldız jedenfalls beklagt, dass sie von der Polizei lange nicht informiert und allein gelassen wurde. Auch von den Abrufen ihrer Daten im Revier habe sie aus der Presse erfahren.

Am Montag sagt auch noch Mehmet Daimagüler aus, auch er NSU-Opferanwalt und Betroffener der Drohserie. Daimagüler sagt, der Fall habe ihn damals „schon beunruhigt“, als bekannt wurde, dass Polizisten beteiligt gewesen sein könnten. Angst aber habe er nicht gehabt, weil er seit Jahren Drohschreiben erhalte. Aber es mache etwas mit der Psyche, man werde misstrauisch und zynisch.

Der Angeklagte in diesem Prozess sei für ihn bedeutungslos, sagt Daimagüler. Generell aber sehe er solche Drohschreiber als „kleine feige Würstchen“. Hier nun schießt Alexander M. nach vorne. „Der spinnt doch“, ruft er. Er wolle Daimagüler anzeigen. Die Richterin ermahnt ihn, sich zurückzuhalten, die Aussage sei allgemein gemeint gewesen. Alexander M. aber zischt: „Der Zeuge sollte es trotzdem nicht auf die Spitze treiben.“ Es klingt wie eine der Drohungen aus den Schreiben.

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