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Abschied von TwitterTschüss, Twitter!

Ulf Schleth
Kommentar von Ulf Schleth

Nach Facebook und Google verabschiede ich mich jetzt auch von der Datenkrake Twitter. Auch wenn mir manche Diskussion fehlen wird.

Zum Wackeln bringen und gelöscht: Twitter App Foto: Dado Ruvic/reuters

M ein Twitter-Account macht es sich nach der überstandenen Jahresendfeierei gemütlich und wärmt seine Füße an den Hassposts rechter Trollarmeen. Was er nicht weiß: Nicht nur das Jahr neigt sich seinem Ende zu. Dies ist der dritte und letzte Teil des „Tschüss“-Artikeltriptychons, erst Facebook, dann Google, jetzt Twitter – gekrönt von der Löschung meines jeweiligen Social-Media-Accounts.

Was ist seitdem passiert? Nichts. Mir geht’s gut. Wie jemandem, der erfolgreich mit Rauchen oder Fleischessen aufgehört hat: Man vergisst irgendwann, warum es einmal so schwierig erschien. Ich bin nicht einsamer als vorher. Nicht mal „aufgehört“ habe ich, ich benutze soziale Medien nach wie vor, nur welche, die keiner meiner Freunde oder Bekannten nutzt.

Auch die sind geblieben – bei Facebook, Twitter oder Insta. Ein paar von ihnen haben mit mir gemeinsam Alternativen ausprobiert, aber als nicht sofort alle mitgezogen sind, waren sie in 24 Stunden wieder zurück in ihren Datenkraken. Vielleicht fühlen sie sich nicht existent, wenn die Dosis erhaltener Likes sinkt, oder für sie steht schlicht Bequemlichkeit über Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung.

Dasselbe gilt für viele Institutionen wie die taz. Klar, für Reichweite tut man alles – aber deshalb Inhalte nur dort teilen, wo mit Benutzerdaten Schindluder getrieben wird? Ist es denn so aufwendig, parallel alternative Plattformen zu bespielen?

Die jedes Mal wiederkehrende Frage: „Warum empfiehlst du nicht Ello/MeWe/irgendein anderes soziales Medium?“, beruht auf einem Missverständnis. Nur weil etwas neu ist, ist es keine Alternative. Man sollte sich und seine Daten nicht Firmen mit unseriösen Geschäftsmodellen anvertrauen. Am Ende ist der vermeintliche Kunde selbst das Produkt und die Privatsphäre im Eimer. Richtige Alternativen sind Open Source, sie sind dezentral und erlauben der Benutzerin zu entscheiden, was sie mit ihren Daten machen möchte.

Dabei kann gerade Twitter Sinn und Spaß machen: Überfällige Diskussionen wie #MeToo, geistreiche Memes und rhetorische Perlen, manchen ersetzt Twitter die Dating-App, andere finden hier Jobs. Intellektuell privilegierte Journalistinnen streiten sich hier mit finanziell privilegierten Rechtskonservativen, mit Politikern und Lobyistinnen, mit Institutionen und Extremen aller Couleur. Twitter hat auch Macht; wer hier vorn mitmischt, wird in der Welt der Entscheider gehört.

Ich gebe es gern zu: Immer wenn ich eingeloggt war, war es eine Freude, in diesen Bull­shit hineinzutauchen. In die Tweets von Leuten, die sich in Originalität und Witzigkeit übertreffen. Die pubertären Zündet-alle-Männer-an-Provokationsposts und all die creepy Antworten von alten weißen Männern, die nicht auf die Uhr geguckt haben.

Debatten, in denen es nicht darum geht, jemanden mitzunehmen, nur darum, den besseren Schnitt zu machen, um Anerkennung und Likes aus der eigenen Bubble und darum, im Gespräch zu bleiben. Brillanz in 280 Zeichen. Flat­earther oder Neurechte, die mit den Schriften der Autorin Ayn Rand ihre Ideologie untermauern und einen uneingeschränkten Kapitalismus fordern. Wie oft haben ihre Tweets mich so getriggert, dass ich eine mehr oder weniger geistreiche Entgegnung in die Tasten haute, nur um sie später, wenn es peinlich war, sich an diesem Zirkus beteiligt zu haben, wieder zu löschen.

Glaubt man ein paar verschlafenen Politikerinnen und Journalisten, ist nicht der Datenmissbrauch das Hauptproblem sozialer Medien, sondern die Hassposts. Soziale Medien wie Twitter und Facebook fördern und profitieren von Polarisierung und Blasenbildung und das ist ein Problem, aber sie schreiben diese Posts nicht. Die Politik fühlt sich, wie generell mit Sozialem, auch mit Social Media überfordert und versucht, die Verantwortung an die Betreiber der Portale abzuwälzen. Das ist doppelt falsch.

Zum einen können diese die Aufgabe gar nicht erledigen. Und schicken ihre Filter los, „Algorithmen“, die etwa so intelligent sind wie ein Glas Milch und alles Mögliche mitlöschen, das eher unter Meinungsfreiheit fällt und gar nicht gelöscht werden sollte. Zum anderen wird damit ein wichtiger Teil rechtsstaatlicher Verantwortung in die Hände international operierender Konzerne gelegt.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, Twitter sei im Gegensatz zu Facebook irgendwie okay. Es gibt keine Klarnamenpflicht, und wo kann schon ein Problem mit Datenschutz sein, wenn doch eh alles öffentlich ist? Genauso wenig wie bei Twitter alles öffentlich ist, ist es harmlos. Twitter weiß genau, was und wen jede Einzelne seiner Benutzerinnen (nicht) mag. Wie bei Facebook wurden auch bei Twitter wiederholt Daten weitergegeben, die nicht hätten weitergegeben werden sollen.

2020 begannen Paul Singer und sein Hedgefonds „Elliott Management“, im großen Maßstab Twitter-Aktien zu kaufen, mit dem erklärten Ziel, den misswirtschaftenden Twitter-CEO und Mitbegründer Jack Dorsey loszuwerden. Sofort stieg Twitters Wert an der Börse. Im November 2021 verließ Dorsey Twitter und wurde von seinem langjährigen CTO Parag Agrawal abgelöst. Wenn ein Unternehmen, das die Daten seiner Kunden zu Geld macht, mehr Geld machen muss, was wird es wohl tun?

Das sind jetzt nicht mehr meine Probleme. Der Twitter-Account ist gelöscht. Den Kindern davon zu erzählen, bringt nichts, sie wissen nicht mal was Twitter ist, sie kennen nur Tiktok, Snapchat und Insta. Da werde ich mich aber bestimmt nicht anmelden, nur um weitere Artikel schreiben und mich dort wieder löschen zu können. Ich bleibe bei den echten Alternativen: Diaspora statt Facebook, Mastodon statt Twitter, PeerTube statt Youtube, Pixelfed statt Instagram und viele andere. Wer Tweets lesen möchte, ohne sich dabei einen Cookie einzufangen, kann dafür die Software Nitter verwenden.

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Ulf Schleth
Autor & Online-Entwickler
*1968. Studierte Publizistik, Linguistik, Physik, Informatik und Informationswissenschaft, brach den akademischen Weg ab und wechselte zur Autodidaktik. Seit 2010 bei der taz. Lebt in Berlin, schreibt als Autor, freier Journalist und Entwickler Texte und anderen Code. U.a. Ziehvater von taz.zahl-ich-unterm-artikel, taz.kommune, taz.portal, taz.bitcoin und taz.diaspora*. Seit 2015 geprüfter Forschungstaucher. Seit Beginn der Corona-Pandemie FPV-Pilot.
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10 Kommentare

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  • Vielen Dank noch mal für den Artikel!



    U.a. dieser Artikel wurde im Fediverse breit diskutiert. Und einige hatten sich dabei gefragt, warum direkt unter dem Artikel auf Twitter und Facebook verlinkt wird. Das war einer der Auslöser für unseren Aufruf #KommInsFediverseTaz.



    Denn die taz ist einerseits im Fediverse sehr präsent, es gibt viele aktive taz-LeserInnen und -Interessierte, da werden sehr oft taz-Artikel verlinkt und auch inhaltlich diskutiert. Andererseits ist die taz aber leider (noch?) nicht mit einem **offiziellen** Account im Fediverse (sondern nur in- oder semi-offiziell), und kann so nicht aktiv an einer Interaktion teilnehmen, wofür auch entspechende Personalressourcen nötig wären. Der Aufruf soll u.a. zeigen, welchen Mehrwert eine aktive Präsenz im Fediverse auch für die taz hätte.



    Mehr zum Aufruf #KommInsFediverseTaz: u.a. hier anonsys.net/displa...-8ea4-3d0313613399 und hier metalhead.club/@caos/107619609389744492



    Wer sich vielleicht fragt: Was ist denn überhaupt dieses „Fediverse“? ¯\_(ツ)_/¯ findet dort auch einige Einblicke, Erläuterungen und Links.



    Wir laden also die (offizielle) taz sehr herzlich ins Fediverse ein! „Denn diese (…) freien



    und dezentralen Strukturen sind dafür da, dass alle sich beteiligen können, ihre Meinung



    bilden können. Und Eure Stimme wäre da sehr wichtig. Deshalb lege ich Euch ans Herz: Geht ins Fediverse! Da habt ihr Austausch mit Köpfen, die Euch auch wirklich lesen wollen und darüber nachdenken wollen, was Ihr zu sagen habt.“ (@ueckueck@video.dresden.network)

  • "Algorithmen, die so intelligent sind wie ein Glas Milch" -



    ein schöner Satz. Ich dachte immer, die hätten was mit Rhythmus zu tun (erst Algorhythmus, dann Blues).

    Paul Singer's hedge fund verdient unbedingt Erwähnung, er hat den "Gerichtsprozess des Jahrhunderts" zwischen Argentinien und Elliott in New York gewonnen, die argentinische Währung war danach erledigt (die Bevölkerung konnte sich Lebensmittel nicht mehr leisten). Bertolt Brecht hätte daraus sofort ein Stück gemacht.

  • Dank TAZ-Bot muss man auch im Fediverse nicht auf die Beiträge der TAZ verzichten.

    M.E. sind nicht Hassposts das Problem, sondern die KIs der sozialen Medien, die Hassposts in die Newsfeeds der User pushen weil sie mehr Aufmerksamkeit bringen.

    Die meisten Menschen unterschätzen erheblich wie einfach die menschliche Psyche gestrickt ist und wie wenig Aufwand es erfordert, um sie mit den passenden Beiträgen maximal zu triggern.

    Wer Medien nutzt, die von einer KI kuratiert werden, muss sich nicht über Hassposts in seinem Newsfeed wundern. Das wäre als wollte man sich über die Tatsache der Alkoholherstellung wundern nachdem man zuviel davon getrunken hat.

  • Gratuliere :)

  • Ergänzend noch zu Nitter:



    Empfehlenswert ist auch das Browser-Addon "Privacy Redirect". Damit werden Links zu Twitter, aber auch zu YouTube, Instagram, Google Maps usw. zu den datenschutzfreundlichen Alternativen (Nitter, Invidious, OpenStreetMap etc.) weitergeleitet.

  • Dann willkommen im Fediverse!

    (Für alle, die das noch nicht kennen, hier eine Artikelempfehlung: "Das Fediverse – die bessere Social-Media-Welt?" android.izzysoft.d...named/fediverse-1 )

    Wo ist denn eigentlich die taz offiziell im Fediverse zu finden? Den Diaspora-Account konnte ich nicht entdecken. Wäre schön, wenn von der taz-Homepage auch noch entsprechende Links zu den alternativen Netzwerken führen würden.

    • Ulf Schleth , Autor Moderator des Artikels, Autor & Online-Entwickler
      @caos_:

      Allerdings. Deshalb und weil der Diaspora-Account der taz nur semi-offiziell in Eigeninitiative eines Mitarbeiters betrieben wird, gibts ja auch Kritik im Text. Das Profil des taz-Diaspora-Accounts ist unter https://pod.geraspora.de/u/taz zu finden.

      • @Ulf Schleth:

        Vielleicht mache ich was falsch, aber dem taz-Diaspora-Account kann ich von mastodon.social nicht folgen.

        Deshalb nehme ich diesen Account squeet.me/profile/taz

      • @Ulf Schleth:

        Danke für die Antwort und die Initiative.



        Leider ist gerade Diaspora nicht (nicht mehr?) so gut mit dem restlichen Fediverse verbunden, da es als einziger Dienst das ActivityPub-Protokoll nicht unterstützt.



        Siehe hier in Absatz 3.3f.:



        www.kuketz-blog.de...ieller-interessen/

        • Ulf Schleth , Autor Moderator des Artikels, Autor & Online-Entwickler
          @caos_:

          Hallo. Das kann man so nicht sagen. Es haben sich ein paar andere für ActivityPub als Protokoll entschieden, ja. Das ist nicht Diasporas Entscheidung gewesen. Die Diaspora-Entwickler kritisieren durchaus berechtigt technische Details an der ActivityPub-Implementierung, daher ist Diaspora eher eine eigene Galaxie im Fediversum, aber über Friendica und zu anderen gibts Schnittstellen. Hier eine aktuelle Diskussion zu dem Thema: pod.geraspora.de/posts/14597050 - Die taz hat aber auf Mastodon immerhin einen reinen Bot-Account.