Urteil im Tiergartenmord-Prozess: Gericht geht von Auftragsmord aus

Mit lebenslanger Haftstrafe und einer scharfen Anklage gegen den russischen Staat endet der Prozess um die Tötung eines Georgiers 2019 in Berlin.

Gerichtssaal des Tiergartenmord-Prozesses

Mehr als zwei Jahre wurde im Gerichtssaal zum Tiergartenmord-Prozess getagt Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Es sind Sätze mit enormer politischer Sprengkraft. „Das war und ist nichts anderes als Staatsterrorismus“, sagte der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi bei seiner Urteilsverkündung im sogenannten Tiergartenmord-Prozess. „Die Zentralregierug der Russischen Föderation ist Urheberin der Tat, sie hat den Angeklagten beauftragt.“

Mit einer lebenslangen Haftstrafe für den Angeklagten und einer scharfen Anklage gegen den russischen Staat endete am Mittwoch vor dem Berliner Kammergericht nach 56 Verhandlungstagen ein spektakulärer Prozess. Es ging um die Erschießung des georgischen Staatsbürgers tschetschenischer Herkunft Selimchan Changoschwili am 23. August 2019 in der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin-Moabit. Der kurz nach der Tat unweit des Tatorts festgenommene Russe habe einen „staatlichen Liquidierungsauftrag“ ausgeführt, befand der für Staatschutzsachen zuständige 2. Strafsenat.

Die entscheidende Frage des Anfang Oktober 2020 unter starken Sicherheitsvorkehrungen gestarteten Prozesses war: Wer ist der Angeklagte? Er selbst behauptet bis heute, er sei der Bauingenieur Vadim Andreevich Sokolov, geboren am 20. August 1970 im sibirischen Irkutsk. So steht es auch in seinem russischen Reisepass. Das Gericht hält es aber für erwiesen, dass es sich hierbei nur um eine „mit staatlicher Hilfe geschaffene Alias-Identität“ handelt. „Der Angeklagte heißt Vadim Nikolajewitsch Krasikov“, sagte der Vorsitzende Richter Arnoldi. „Alleine diese Feststellung ist von Brisanz.“

Das ist sie ohne Zweifel. Für die Frage, ob der Angeklagte den ihm zur Last gelegten Mord begangen hat, ist seine Identität zwar ohne Belang: Die Beweise und Zeugenaussagen sind erdrückend, das Gericht sprach von einem „zweifelsfreien Tatnachweis“. Für die Suche nach dem Motiv und möglichen Hintermännern ist sie jedoch von zentraler Bedeutung.

Angeklagter ist einschlägig aktenkundig

Denn anders als der vermeintlich unbescholtene Bauingenieur Sokolov, der sich angeblich als Tourist in Berlin befand, ist der am 10. August 1965 in der Region Chimketskiy in Kasachstan geborene Krasikov einschlägig aktenkundig: Wegen eines 2013 begangenen Mordes, der dem in Berlin stark ähnelt, suchten die russischen Behörden nach ihm per internationalem Haftbefehl. Doch 2015 löschten sie ohne Begründung die Fahndungsmitteilung – wohl deshalb, weil für Krasikov eine Verwendung gefunden wurde: als staatlicher Auftragsmörder. Davon geht jedenfalls das Gericht aus.

Spätestens im Juli 2019 hätten „staatliche Stellen der Russischen Föderation“ den Entschluss gefasst, den im deutschen Exil lebenden Changoschwili töten zu lassen. „Den Auftrag erteilten sie dem Angeklagten und statteten ihn mit einer neuen Identität aus“, sagte Arnoldi. „Die Tat war durch in Berlin stationierte Helfer akribisch vorbereitet“ und sei „nichts anderes als Rache und Vergeltung“ gewesen, sagte der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenats.

Fest steht, dass der ermordete Changoschwili von der russischen Regierung als Staatsfeind betrachtet wurde. So zitierte Richter Arnoldi Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom 10. Dezember 2019, das Mordopfer sei ein „brutaler und blutrünstiger Mann“, der für viele Todesopfer verantwortlich sei.

Das erste bekannte Attentat auf Changoschwili wurde 2009 verübt, ein Giftanschlag. Nachdem er im Mai 2015 in der georgischen Hauptstadt Tiflis von Schüssen eines unbekannten Täters schwer verletzt wurde, setzte er sich mit seiner Familie in die Ukraine ab. Im Dezember 2016 floh er weiter nach Deutschland. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass Changoschwili in der Bundesrepublik noch politisch aktiv gewesen sei, so das Berliner Gericht.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kommentierte das Urteil, „dieser Mord im staatlichen Auftrag“ stelle „eine schwerwiegende Verletzung deutschen Rechts und der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland dar“. Sie teilte mit, dass der russische Botschafter einbestellt worden sei und zwei Botschaftsmitglieder zu unerwünschten Personen erklärt wurden.

Der russische Botschafter in Deutschland, Sergei Netschajew, kritisierte den Richterspruch scharf. „Wir halten dieses Urteil für nicht objektiv, für eine politisch motivierte Entscheidung, die die ohnehin nicht einfachen russisch-deutschen Beziehungen weiter ernsthaft belastet“, hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Botschafters.

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