Nabu-Präsident zur Klimakonferenz: „Wir erleben eine Krise der Natur“

Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger warnt davor, die Biodiversität zu vernachlässigen. Warum die FDP und das Agrarministerium ein Problem sind.

Feldlerche (Alauda arvensis) singend

„Als ein großer Freund der Feldlerche hat sich Christian Lindner bislang nicht gezeigt“ Foto: Hans Glader/imago

Herr Krüger, a uf der Klimakonferenz in Glasgow überschlagen sich die Regierungen derzeit mit Finanzierungszusagen zum Klimaschutz. Sind wir bei dem Thema weiter als beim Artenschutz?

Jörg-Andreas Krüger: Beim Klimaschutz hat man immerhin die Notwendigkeit erkannt, etwas zu tun. Viele Länder leiden ja schon jetzt ganz konkret und schwerwiegend unter dem Klimawandel. Andererseits laufen wir den selbstgesteckten Klimaschutzzielen hinterher. Die konkrete Politik bleibt also hinter den Erkenntnissen zurück. Dieses Problem ist bei den Verhandlungen zur Biodiversitätskonvention noch gravierender.

ist Präsident des Deutschen Naturschutzbundes (Nabu). Der studierte Landschaftsarchitekt sitzt dem Verband mit mehr als 820.000 Mitgliedern seit 2019 vor. Der Nabu ist die größte Umweltorganisation in Deutschland.

Wie kommen wir da raus?

Wir brauchen ein starkes Signal der Regierungen. Nach dem Fiasko von Kopenhagen steckte das globale Klimaregime ja auch in einer riesigen Krise. Das Momentum von Paris hing dann damit zusammen, dass einige Regierungschefs voran gegangen sind und Führung übernommen haben. Die Bundesregierung hat ihre G7-Präsidentschaft erfolgreich genutzt, um das Pariser Abkommen zu ermöglichen. Im nächsten Jahr geht es dann bei der Weltnaturkonferenz um ein verbindliches Abkommen für die biologische Vielfalt – ich weiß gar nicht, ob Olaf Scholz sich bewusst ist, wie viel hier international von der deutschen G7-Präsidentschaft im kommenden Jahr erwartet wird.

Was erwarten Sie?

Dass die neue Bundesregierung die Anführerrolle übernimmt, sich internationale Verbündete sucht und Schwung in die Verhandlungen bringt. Klima-, Natur- und Artenkrise sind doch längst keine belächelten Randthemen mehr. Sie sind ins Zentrum des politischen Geschehens gerückt, seit deutlich ist, dass sie Frieden und Wohlstand gefährden – und zwar überall auf der Welt.

Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, mit Klimaschutz den Industriestandort Deutschland zu modernisieren. Wie groß ist das Modernisierungspotential des Artenschutzes?

Ob das ein erfolgversprechender Ansatz beim Klimaschutz ist, muss sich auch erst noch zeigen. Beim Artenschutz geht es auf jeden Fall nicht ums Modernisieren, sondern ums Heilen. Wir müssen unsere Lebensgrundlagen erhalten oder sie wieder herstellen. Wir haben unsere Moore entwässert, die Wälder sterben. Wir werden kein gutes gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben haben, wenn wir unsere Natur ruinieren.

Wieso nicht?

Weil Ökosysteme, die so gestört sind, dass sie sich nicht mehr aus eigener Kraft an den Klimawandel anpassen können, uns viel Geld kosten werden. Dann müssen wir ständig in sie investieren, in Wasserrückhaltesysteme, in Bodenschutz; vernichten wir unsere Wälder, müssen wir Rohstoffe teuer einkaufen. Das wird teuer.

Der Klimawandel ist auch für uns in Deutschland ein Problem: Das ist vielen Menschen nach Dürrejahren und Sommerflut klar. Gilt Ähnliches auch für den Verlust von Arten?

Schon. Wir merken das an steigenden Mitgliederzahlen und vielen, vielen Anfragen aus der Bevölkerung. Und alle Parteien haben etwas zu biologischer Vielfalt in ihre Programme geschrieben. Aber im Alltagserleben ist das Artensterben bei uns noch nicht angekommen. Wir können alles mit Geld zukleistern. Im globalen Süden hängen die Leute viel direkter von Ökosystemleistungen ab. Wenn dort die Weidegründe zu trocken sind und die Tiere nicht genug Nahrung finden, dann gibt es Hunger. Bei uns steigen erst einmal nur die Lebensmittelpreise.

Der „Schutz der Biodiversität“ klingt abstrakt, „Artenschutz“ klingt nach Vögelchen und Bienchen – wie lässt sich einer breiten Öffentlichkeit die Relevanz des Themas erklären?

Wir sollten deutlich benennen, dass wir eine Krise der Natur erleben. Das Artensterben ist ja nur ein Teil davon. Ich halte es aber für sinnvoll, diese Krise über bestimmte Leitarten zu erzählen. Wenn wir etwa, auf internationaler Ebene, den Tiger schützen, oder hierzulande den Luchs, dann schützen wir nicht nur diese Arten, sondern auch ihren Lebensraum und das gute Zusammenleben zwischen diesen Tieren und den Menschen.

Kommt die Krise der Natur in den Koalitionsverhandlungen der Ampel ausreichend vor?

Ich war mehr als erstaunt, dass im Sondierungspapier nur fünf oder sechs Zeilen zum Artenschutz standen, versteckt im Klimakapitel. Da fehlt doch was!, habe ich gedacht, denn in den Wahlprogrammen stand noch drin, man müsse der Biodiversitätskrise als Menschheitskrise begegnen. Wir warten nun also mit großem Interesse, was in den Arbeitsgruppen herauskommt.

Bisher verhandelt die FDP offenbar erfolgreich. Ist das ein Problem für den Artenschutz?

Tja, als ein großer Freund der Feldlerche hat sich Christian Lindner bislang nicht gezeigt. Ich glaube, an der Stelle können wir ihn nicht packen. Aber er interessiert sich für Finanzen und tritt für die Leistungsgesellschaft ein. Darum geht es doch. Wir müssen umweltschädliche Subventionen abbauen und vermeiden, dass uns die Naturzerstörung finanziell über den Kopf wächst. Und wir müssen, etwa im Agrarbereich, Subventionen umwandeln in Honorare. Wir müssen honorieren, wenn Landwirte Leistungen für die Allgemeinheit und die Umwelt erbringen. Ich denke, das versteht die FDP. Aber natürlich ist sie von den drei Parteien am weitesten weg von den Naturschutzthemen, sie hat in den wenigsten Ländern Umweltministerien verantwortet und besitzt am wenigsten Erfahrung.

Was erwarten Sie also von der künftigen Ampelkoalition?

Wir brauchen mehr Geld. Unsere Schutzgebiete sind unterfinanziert, Deutschland stolpert von einem EU-Vertragsverletzungsverfahren ins nächste. Die Bundesländer setzen die Natura 2000-Richtlinie nicht ordentlich um, der Gewässerschutz funktioniert nicht, wir kommen unserer Verantwortung für Arten nicht nach, die vor allem bei uns leben, wie beim Rebhuhn. Wir brauchen etwa 1 Milliarde Euro mehr für Naturschutz in Deutschland, und mindestens 1 Milliarde mehr auf internationaler Ebene, im Rahmen der Biodiversitäts-Konvention. Teilweise lässt sich das refinanzieren, indem wir umweltschädliche Subventionen abbauen, das hat uns das Umweltbundesamt gerade wieder vorgerechnet.

Der hartleibigste Gegner des Naturschutzes war in der vergangenen Legislaturperiode das CDU-geführte Agrarministerium. Sollte die Ampel es auflösen?

Es wäre sehr sinnvoll, Landwirtschaft, Forsten und Umwelt in einem Haus zu bündeln. Es könnte dann Nutzung und Schutz natürlicher Ressourcen aufeinander abstimmen. Man könnte auch Klima, Verkehr und Bauen zusammen legen. In der vergangen Legislaturperiode war die Diskussion mit dem Agrarressort auf jeden Fall sehr mühsam, nicht nur in den großen Linien, sondern auch im Kleinen. Ich denke zum Beispiel an die Diskussion über ein Verbot von Bleischrot auf EU-Ebene. Blei ist ein riesiges Problem zum Beispiel für bedrohte Greifvögel, die es aufnehmen. Von den anderen Mitgliedsländern kamen gute Vorschläge, nur wir haben uns in einem 40 Jahre alten Streit verstrickt. Das habe ich nicht verstanden.

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