Soziale Proteste in Ecuador: Im Ausnahmezustand

Mit einem Ausnahmezustand will Ecuadors Regierung die Gewalt der Drogenbanden eindämmen. Die wirtschaftliche Lage führt zu neuen Konflikten.

Als Sensenmann verkleidete Frau mit einer Spritze protestiert

Sensenmann auf der Straße: Verkleideter Protest am Montag in Ecuadors Hauptstadt Quito Foto: Carlos Noriega/ap

HAMBURG taz | Seit dem 18. Oktober befindet sich Ecuador im Ausnahmezustand. Demonstrationen sind daher verboten. Doch davon ließen sich in Quito am Dienstag weder Gewerkschaften noch indigene Organisationen abhalten. Die Ursache: wieder einmal Benzinpreiserhöhungen.

Für Alberto Acosta kamen die Proteste nicht überraschend. „Präsident Guillermo Lasso hatte sich zwar Anfang Oktober mit den wichtigsten indigenen Organisationen zu Verhandlungen getroffen, aber es wurde nicht verhandelt. Der Benzinpreis war für Lasso nicht verhandelbar“, kritisiert der bekannte Ökonom und Nachhaltigkeitstheoretiker. Ein reichlich ungeschickter Fehler von Lasso, der genau wissen müsste, dass die am 22. Oktober verfügte Preiserhöhung für Diesel und Benzin viele Kleinbauern, darunter Tausende von Indigenen, hart treffen wird.

Die Pandemie hat Ecuadors Wirtschaft hart getroffen, das Bruttoinlandsprodukt ist 2020 um 7,5 Prozent gesunken. Armut ist wieder deutlich sichtbar in den Metropolen Quito und Guayaquil und mit ihr auch die Gewalt, so Fernando Carrión. Der Professor der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flacso) unterscheidet zwischen gewöhnlicher und organisierter Kriminalität. „Die Zahl der Morde in Ecuador hat sich zwischen 2016 und 2021 nahezu verdoppelt. Dafür sind die ökonomische Krise und der offen geführte Konflikt zwischen Banden und Kartellen verantwortlich.“

Die versucht Präsident Lasso seit dem 18. Oktober mit einem landesweiten Ausnahmezustand einzudämmen. Armee und Polizei patrouillieren gemeinsam, kontrollieren Fahrzeuge genauso wie Passanten, um Drogenschmuggel und Auftragsmorde einzudämmen.

Kampf um Schmuggelrouten für 500 Tonnen Kokain

60 Tage gilt der Ausnahmezustand, den Lasso verhängt hat, weil die Gewaltwelle seit Ende September vor allem rund um Guayaquil weiter Schlagzeilen macht. In allen Umfragen dominiert die Forderung nach mehr Sicherheit, und das nicht erst, seit am 30. September in der größten Haftanstalt des Landes, „El Literoal“, 119 Menschen bei einem Krieg hinter Gittern zum Teil bestialisch ermordet wurden.

Hintergrund der Gewalt ist ein Kampf um Schmuggelrouten und deren Kontrolle, wobei sich mit Los Choneros und Los Lobos zwei große Banden gegenüberstehen. Das zwischen den beiden größten Kokainproduzenten Peru und Kolumbien gelegene Ecuador ist mit dem Hafen Guayaquil zur Drehscheibe geworden. 500 Tonnen werden Experten wie Carrión zufolge über Ecuador verteilt, und Ecuadors Banden sind eng verbandelt mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell und der Konkurrenz vom Kartell Nueva Generación aus Jalisco.

Dabei ist es kein Zufall, dass der Krieg in den Vollzugsanstalten des Landes stattfindet, wo die Häftlinge sich weitgehend selbst überlassen sind, wo sich Vollzugsbeamte bestechen lassen und Waffen hinter Gitter schmuggeln.

Der Ausnahmezustand könnte den Drogenschmuggel und die Bandenkriminalität dämpfen, aber er lindert nicht die massiven sozialen Probleme, die den Banden den Nachwuchs zuführen. Selbst wenn die konservative Regierung auf Sozialprogramme setzen würde, grenzen Haushaltsdefizit und Schuldenberg die Möglichkeiten ein, umreißt Carrión die strukturellen Probleme. Die hat Lasso mit dem hartnäckigen Festhalten am Benzinpreis geschürt. Carrión und Acosta sind sich einig, dass die Proteste weiter­gehen werden. Der Druck auf Guillermo Lasso nimmt zu.

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