Bürgermeister Müller zum Wahlchaos: Nachwahlen nicht ausgeschlossen

Trotz Pannen habe es „nach jetzigem Kenntnisstand“ keine wahlverfälschenden Fehler gegeben. Einzelne Stimmbezirke könnten nachwählen müssen.

Mea culpa für diese Wahl: Innensenator Geisel und der Regierende Müller (r.) im Roten Rathaus Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

BERLIN taz | Die Wahlen in Berlin müssen nach bisherigem Kenntnisstand wohl nicht wiederholt werden – zumindest nicht „großflächig“. Das sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) in einer Pressekonferenz am Freitagvormittag im Roten Rathaus. Auch der Regierende Michael Müller sagte, nachdem alle 12 Bezirke nun Berichte zum Wahlabend am 26. September vorgelegt hätten, „können wir, vorbehaltlich des jetzigen Kenntnisstands, sagen, dass keine mandatsrelevanten oder mandatsverfälschenden Fehler passiert sind.“

Es könne aber sein, sagte Geisel, dass in drei Wahlkreisen, „eventuell auch nur in einzelnen Stimmlokalen“, eine Nachwahl stattfinden muss. „Da bewege ich mich aber derzeit noch im spekulativen Bereich“, betonte Geisel. Welche Bezirke das seien, wollte er auf Nachfrage nicht sagen. In den Bezirken habe es derart knappe Abstände bei den Erststimmen zur Abgeordnetenhauswahl gegeben, dass, „wenn auch noch Fehler festgestellt werden sollten“, er davon ausgehe, dass dort Neuwahlen stattfinden. Die Stimmen für die Bundestagswahl sollen laut Geisel nicht betroffen sein.

Auch Müller betonte, es sei allein Sache der Bezirkswahlvorstände und der Landeswahlleitung, nun gemeinsam „rechtsverbindlich“ festzustellen, ob es Fehler gegeben hat, die einzelne Wahlergebnisse verändert haben können. Dem könnten weder er noch Geisel vorgreifen, betonte Müller – schließlich werde die Wahl „weder von der Verwaltung noch von der politischen Führung umgesetzt“, sondern obliege der unabhängig agierenden Landeswahlleitung. Am 14.Oktober, wenn auch das amtliche Endergebnis der Abgeordnetenhauswahl festgestellt werde, solle es einen entsprechenden Bericht geben, versprach Geisel.

Auch die Position der Landeswahlleitung, die nach dem Wahlchaos um ihre Entlassung gebeten hatte, wolle man „zügig neu besetzen“, versprach Müller. Man habe „keine Zeit zu verlieren“ – immerhin könne es sein, dass bereits im nächsten Herbst neue Wahlentscheidungen anstünden. Müller nannte als Beispiel Volksentscheide, die derzeit Unterschriften sammelten. Am Mittwoch hatte das Volksbegehren Klimaneustart Berlin die erste Hürde von 20.000 Unterschriften locker genommen.

Falsch beschriftete Kartons

Klar ist nach den Berichten der Bezirke bisher dieses: In insgesamt acht Wahllokalen in Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg sollen falsch zugeordnete Stimmzettel ausgegeben worden sein. Das habe unter anderem an bereits in der Druckerei falsch beschrifteten Kartons gelegen – was bei Kontrollen in den Wahllokalen im Vorfeld wiederum nicht aufgefallen sei.

In einzelnen Wahllokalen sollen zudem Stimmzettel nicht ausgegeben worden sein, obwohl sie eigentlich vorrätig waren, sagte Geisel, ohne ins Detail zu gehen. Vor allem die Erststimmen für die Abgeordnetenhauswahl soll das betreffen.

In vier Fällen in Pankower Wahllokalen soll es zudem zu einem „Abbruch der Auszählungen“ gekommen sein, sagte Geisel. Warum, sei noch nicht klar. Eventuell sei es den ehrenamtlichen HelferInnen schlicht „zu spät geworden.“ Die hauptamtlichen WahlamtsmitarbeiterInnen hätten die Auszählung dann aber bis morgens um 4 Uhr beendet.

Zu Unterbrechungen der Wahl, weil Stimmzettel ausgegangen waren, soll es in 31 Wahllokalen in Charlottenburg-Wilmersdorf gekommen sein. Auch in 28 Wahlokalen in Pankow und in einzelnen Stimmbezirken in Friedrichshain-Kreuzberg seien die Wahlen „für maximal 90 Minuten unterbrochen worden“, berichtete der Innensenator.

Zwei Wahllokale in Pankow hätten bereits „vorzeitig vor 18 Uhr geschlossen“, sagte Geisel. Auch hier sei der Grund noch unklar. Rund 70 Wahlberechtigte seien abgewiesen worden. Andererseits habe es in Pankow wiederum auch Wahllokale gegeben, wo Menschen laut Geisel noch bis 19.30 Uhr gewählt hätten, als die Hochrechnungen also schon liefen. Das sähe die Bundeswahlordnung aber auch ausdrücklich vor. Ein Wahlabbruch um 18 Uhr sei ja auch eine „Beschränkung des Wahlrechts und wäre ein hartes Mittel.“

Für ebenso unproblematisch befand der Innensenator, dass Charlottenburg-Wilmersdorf am Wahlabend lediglich Schätzungen statt Ergebnisse zur Bezirksverordnetenwahl veröffentlicht hatte. Auch das sei „ein üblicher, rechtlicher Vorgang“.

Sonderweg von zwei Bezirken

Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow, die am Freitag auffällig oft von Müller und Geisel genannt worden waren, sollen am Wahlabend einen „anderen Weg“ gegangen sein als die restlichen Bezirke. Geisel sagte, dort habe man offenbar viele Stimmzettel für die Briefwahl zurückgehalten und erst am Wahlsonntag Nachschub für die Wahllokale ordern wollen. Das sei logistisch dann offenbar schwierig geworden. Der Berlin-Marathon hatte für zahlreiche Straßensperrungen in der Stadt gesorgt.

Medienberichte, wonach Minderjährige nicht nur Stimmzettel für die Bezirkswahlen, sondern auch für Bundestag und Abgeordnetenhaus erhalten hätten, dementierte Geisel: „Außer Zeitungsberichten liegt uns dazu nichts vor.“ Auf Nachfrage räumte er allerdings ein, dass er „Einzelfälle nicht ausschließen“ könne – weil die Stimmunterlagen der Minderjährigen zwar entsprechend markiert gewesen seien, aber im Nachhinein nicht mehr feststellbar ist, ob nicht doch einige in den Wahlurnen landeten.

Sowohl Geisel als auch Müller bemühten sich am Freitag sichtlich darum, klar zu machen: Es tut uns leid. Man „erneuere ausdrücklich im Namen des Senats die Entschuldigung, die der Finanzsenator bereits am Dienstag zum Ausdruck gebracht hat“, sagte Müller etwas kompliziert. Auch danke man den ehrenamtlichen HelferInnen, denen man keinesfalls die Schuld gebe, sagte Müller.

Geisel, dessen Entschuldigung eigentlich alle bereits am Dienstag nach der Senatssitzung erwartet hatten, weil er als Innensenator die Rechtsaufsicht über die Wahlen hat, bemühte sich um eine Rechtfertigung: Anfang der Woche hätten ihm noch nicht alle Berichte der Bezirke vorgelegen. Die habe er abwarten wollen.

Die bereits angekündigte ExpertInnenkommission soll indes im Laufe des Novembers ihre Arbeit aufnehmen. Denn Ziel müsse sein, sagte Müller, „dass sich so etwas nicht wiederholt.“ Konkret nannte er eine Einsatzzentrale mit einer Notrufnummer, Wahlzetteldepots an strategischen Punkten in der Stadt und vorbestellte, abrufbereite Kurierdienste als Ansatzpunkte. Auch die Schulungen der ehrenamtlichen HelferInnen müssten verbessert werden.

„So eine Wahl ist ja kein Hexenwerk“, befand der Regierende. „Wenn ich mir in 10 Minuten eine Packung Milch liefen lassen kann, dann soll es nicht möglich sein, innerhalb von 15 Minuten Stimmzettel per Kurierdienst zu ordern?“

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