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Naturschützer über Koalitionsbildung„Jamaika ist beim Klima absurd“

Deutschland habe für Klimaschutz gestimmt, meint Kai Niebert, Chef des Deutschen Naturschutzrings. Aber mit dem Fokus auf Industriepolitik.

Bau einer Windkraftanlage in NRW: „Ausbau der erneuerbaren Energien wird Maß aller Dinge werden.“ Foto: Jochen Tack/imago
Susanne Schwarz
Interview von Susanne Schwarz

taz: Herr Niebert, Sie sagen: Wahlgewinnerin ist das Klima. Wie kommen Sie denn darauf?

Kai Niebert: Sämtliche Umfragen vor und nach der Wahl zeigten ganz klar: Klimaschutz und soziale Sicherheit waren die wahlentscheidenden Themen. Ich würde sagen, das war eine ehrliche Klimawahl: Es wurde Sicherheit im Wandel gewählt.

Aber in jedem jetzt möglichen Regierungsbündnis säßen mindestens zwei Parteien, deren Wahlprogramme nicht für Deutschlands Beitrag zur Begrenzung der Erd­erhitzung bei 2 Grad ausreichen, von 1,5 Grad ganz zu schweigen.

Ja, die neue Regierung wird nachsteuern und mehr liefern müssen als das, was gerade auf dem Tisch liegt. Die Architektur steht dafür mit dem Klimaschutzgesetz. Jetzt müssen ein Sofortprogramm und konkrete Instrumente her. Aus den Stimmergebnissen für SPD, Grünen und FDP wird klar: Deutschland will Klimaschutz als industriepolitisches, gesellschaftspolitisches und marktwirtschaftliches Projekt.

Im Interview: Kai Niebert

wurde 1979 geboren. Er ist Chef des Deutschen Naturschutzrings, Professor für Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit an der Uni Zürich – und SPD-Mitglied.

Also im Gegensatz etwa zu einem Gerechtigkeitsprojekt, für das vielleicht Rot-Grün-Rot gestanden hätte?

Diese industriepolitische Haltung hat Olaf Scholz immer betont. Annalena Baerbock hat darüber hinaus aber deutlich gemacht, dass es mehr braucht, nämlich auch einen gesellschaftspolitischen Ansatz. Die FDP bringt als Komponente das ein, wovor Scholz Respekt hat: einem CO2-Preis mehr Gestaltungsmacht zu geben. In einer Ampelkoalition müsste Scholz als Erstes die Rückverteilung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung sicherstellen.

Eine Jamaika­koalition aus Union, FDP und Grünen hingegen hielte ich beim Klima für absurd. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird das Maß aller Dinge werden. Und den hat die Union gebremst statt vorangetrieben.

Die FDP hat sich im Wahlkampf gegen steigende Benzinpreise ausgesprochen, obwohl sie Klimaschutz fast nur über einen CO2-Preis liefern will, also über teureres Benzin, Heizöl und -gas. Glauben Sie überhaupt, dass die FDP damit Ernst machen will?

Im Wahlprogramm verspricht jede Partei ihre reine Lehre, im Falle der FDP also rein marktbasierten Klimaschutz. Aber mit der reinen Lehre kommt man eben nicht durch Koalitionsverhandlungen. Kluge Köpfe wie der FDP-Abgeordnete Lukas Köhler wissen, dass man einen Instrumentenmix braucht.

Wie sieht es unabhängig von der Regierungsbildung aus: Ist der neue Bundestag beim Klima kompetenter als der alte?

Der neue Bundestag ist auf jeden Fall weniger klima­inkompetent. Im alten Bundestag gab es Abgeordnete auf der Unionsseite, die eigene Interessen verfolgt und die Energiewende ausgebremst haben. Die sind nun nicht mehr dabei. Zudem haben die Wähler den klaren Auftrag Klimaschutz gegeben.

Und sonst?

Es gibt grandios viele neue und viel mehr Gesichter bei den Grünen, die werden Dampf machen. Und auch bei der SPD wird es spannend: Die Listen wurden ja aufgestellt, als die Partei weit entfernt von jedem Gedanken an eine Regierungsbeteiligung war. Da sind etliche neue, junge Gesichter dabei, die im Wahlkampf Klimaschutz als Industrieprojekt, als Gewinnerthema erlebt haben. Das müssen sie nun auch ­leben.

Klar ist auf jeden Fall: Wir brauchen nicht nur einen Klimakanzler, sondern eine Klimaregierung, damit die Klimaneutralität eine Chance hat.

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9 Kommentare

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  • Danke für dieses Interview. Wenigstens auf dem Weg ist noch Realitätswahrnehmung möglich.

  • Die ökologische Erneuerung muss nach FDP-Vorstellungen vorrangig über private Investitionen betrieben werden. CO2-Preis und Quoten können dabei wesentliche Rollen spielen. z.B. Quoten für grünen (CO2-frei erzeugten) Stahl, für grünen Wasserstoff im Verhältnis zum Erdgasverbrauch, für CO2-freie internationale Beförderungen (im Verhältnis zu Flugreisen).

    Damit Quotensysteme stärker "beißen" und Investitionen finanzieren, kann eine Erfüllung über eine nachgelagerte Zeitdauer von ca. 10 bis 15 Jahren vorgesehen werden. Dann kann auch eine höhere Quote festgelegt werden. Beispielsweise reduziert sich eine 30%-Quote für grünen Stahl auf 2% in der Anfangszeit, wenn eine stetige Erfüllung über 15 Jahre zulässig ist. Das ist machbar, nicht aber eine 30%-Quote bereits im kommenden Jahr. Damit mobilisiert die Quote höhere Finanzierungsbeiträge sofort. Beim CO2-Preis geht das Geld ja erst mal in den Staatshaushalt, die Investitionen müssen dann unabhängig davon finanziert werden.

  • "Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird das Maß aller Dinge werden."

    Das ist ein wirtschaftspolitischer Standpunkte, der den Menschen, ein gleichbleibendes Weiterlaufen der Wirtschaft und des Konsums an erster Stelle stellt und Natur- und Artenschutz nicht einmal erwähnt.

    Für eine Vertreter des Naturschutzes ist das zu wenig. Viel zu wenig. Kein Wort wurde über die Folgen des Ausbaus regenerativer auf die Umwelt verloren. Bereits jetzt dienen 15% der Ackerflächen in DE dem Anbau von Energiepflanzen, Maismonokulturen, die zu weiterem Artenschwund beitragen.

  • "Die Architektur steht dafür mit dem Klimaschutzgesetz" [?], das absolut unzureichende Zahlen enthält, zunächst eine Erhöhung der Emissionen vorsieht, einen "Puffer" aus 2020 mitbringt und die meisten Reduzierungen in die Zeit nach der begonnenen Wahlperiode verschiebt.

  • Puh, ganz schön begeistert spricht hier der quasi Vorsitzende aller Naturschutzberbände von einem Klimaschutz als Industrieprojekt und dem angeblichen Willen der deutschen dazu



    - welcher von rotgrüngelb nun umgesetzt werden soll. Ob das wohl die Mehrheit der Mitglieder von Alpenverein bis naturfreunde genauso euphorisch sehen?



    Ich für meinen Teil habe hier die Sorge das bei all den industrialisierten Klimaschutz die Natur in einer vollkommen durchindustrialisierten Landschaft endgültig auf der Strecke bleibt.

    • @niko:

      Wenn es sie tröstet. In Deutschland gibts gar keine Natur mehr, die kaputt gehen könnte. Wenn sie diese Nutzwälder, Ausgleichsflächen und ein Paar Naturschutzgebiete etc. als Natur bezeichnen wollen. OK....



      Aber meine Definition von Natur ist halt, was nicht vom Menschen geschaffen wurde. Und das sehe ich hier schon lange nicht mehr.

      • @Upgrade:

        Für mich gibt es durchaus Natur und natürliche Prozesse in unserer Kulturlandschaft - ich habe da komplexere und vielseitigere Vorstellungen/Definitionen von dessen was ich alles als Natur verstehe in meinen Kopf und die Übergänge zu Kultur sind natürlich fliessend ;-) .



        Nach deiner Vorstellung bräuchte es dann vermutlich auch gar keine Naturschutzberbände mit ihren Mitgliedern - oder stört dich rein der Begriff und möchtest alles in die Kategorie Umwelt/schutz einordnen?

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    "Der neue Bundestag ist auf jeden Fall weniger klima­inkompetent. Im alten Bundestag gab es Abgeordnete auf der Unionsseite, die eigene Interessen verfolgt und die Energiewende ausgebremst haben."

    Diesen Part übernimmt künftig eine andere Bremserpartei...

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    • @75787 (Profil gelöscht):

      Ich denke die Rolle übernehmen, in der globalen Realität, Länder wie China, Indien, Indonesien, Brasilien oder die USA…