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Mögliches Kopfballverbot in EnglandKöpper braucht kein Mensch

In England wird zum Schutz vor Hirnschäden ein Fußballspiel testweise ohne Kopfbälle ausgetragen. Das zeigt Respekt vor dem Menschen.

Verliert auch medizinisch an Zuspruch: der Kopfball Foto: Anke Waelischmiller/SVEN SIMON/imago

Flanke, Kopfball, Tor / So stell’n wir uns unsere Mannschaft vor“, grölte Oliver Pocher zur Männer-WM 2006. Jahre nachdem Pocher taktisch den Steinzeitfußball besang, verliert der Kopfball auch medizinisch an Zuspruch. Schon in den Neunzigern beobachteten ForscherInnen eine auffällige Häufung neurologischer Krankheiten bei männlichen (Ex-)Profis – vor allem bei Defensivspielern, also denen, die viel köpften. 2012 stellte eine vielbeachtete Studie systematische Hirnschäden bei Fußballern fest. Und während in Deutschland die Ergebnisse lange störrisch ignoriert wurden, verboten die USA schon 2015 Kindern den Kopfball.

Hat die zimperliche Generation Snow­flake nun also auch den Fußball verweichlicht, klinisch gemacht? Im Gegenteil, endlich wird auch hier der Mensch ernst genommen. Seit einer britischen Studie, die bei Verteidigern ein fünfmal höheres Demenzrisiko feststellte, werden dort nun statt Kopfbällen Nägel mit Köpfen gemacht. Ein Promispiel soll testweise ermitteln, ob Fußball ohne Köpfen überhaupt geht. Spoiler: Es wird gehen.

Und das ist eine Ode an die Fantasie. Warum müssen wir Fußball so spielen, wie ihn konservative Verbände der Reichen im 19. Jahrhundert festgeschrieben haben? Es gibt viele Möglichkeiten, ein Fußballspiel auszutragen, die Monopolisten haben die Vorstellungskraft ausgetrocknet. Das Testspiel ist ein subversiver Akt gegen Macht und Tradition.

Ein Spiel ohne Kopf ist noch lange kein kopfloses Spiel. Es ist eher ein Indikator medizinischen Fortschritts. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag die Lebenserwartung in Deutschland bei Mitte 40. Sich um Demenz durch Fußball zu sorgen, hätte für die meisten Menschen nun wirklich nicht gelohnt. In einer Gesellschaft, wo jeder darauf hofft, hundert Jahre alt zu werden, verändert sich die Lebensführung.

Das zeigt im Guten wie Schlechten auch der Umgang mit der Pandemie. Das Sicherheitsbedürfnis steigt. Das kann man neoliberalen Fokus aufs körperliche Kapital nennen, oder gestiegene Verantwortung für den Menschen. Nach dem Rauchen und Saufen verschwindet vielleicht auch das Köpfen aus dem Profifußball. Im Gegensatz zu den beiden anderen ist der Kopfball aber kein hedonistischer Verlust, denn: Köpfen macht einfach keinen Spaß.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de
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6 Kommentare

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  • Ohne Kopfball wird's aber wesentlich langweiliger. Dann muss man die Oberarme erlauben oder so...

  • "Hat die zimperliche Generation Snow­flake nun also auch den Fußball verweichlicht, klinisch gemacht? Im Gegenteil, endlich wird auch hier der Mensch ernst genommen."

    Also zu deutsch: JA, die Generation Snowflake IST voll am Drücker...

    Es ist auch keine Frage von so spielen "müssen" wie bisher. Bisher DARF man den Ball mit dem Kopf spielen. Im Gespräch ist also einmal mehr ein wohlmeinendes Verbot, damit der ach so dumme Einzelmensch nur ja nicht auf sich selbst losgelassen wird, ohne dass die Besserwissenden diesem unholden Tun genügend regulierendes Schaumgummi beigfügt haben.

    Vielleicht sollte man mal die Spieler fragen, was ihnen lieber wäre.

    • @Normalo:

      Das Mitbringen scharfer Gegenstände wurde schon im 19. Jahrhundert verboten - weil man halt einen gesunden Sport machen wollte, und keine Gladiatorenkämpfe wie vor 2000 Jahren. (Der Begriff "Zweikampf um den Ball" hätte sonst wohl eine andere Bedeutung bekommen...)

      Wenn man jetzt feststellt, dass ein Teil von dem was erlaubt ist, auch ungesund ist, ist es konsequent, das jetzt wegzulassen, auch wenn es den Sport ändert.

  • Profisport ist nie gesund. Gesundheit im Sinne von Unversehrtheit ist auch nicht der Sinn des Lebens. Man kann auch mal 5 gerade sein lassen. Frage mich, ob die Autorin Fan ist oder ob sie das Thema ohnehin nur so am politischen Rande beschäftigt.

    Andere Frage: ich bin kein Boxfan, aber wie genau stellt man sich das dann vor?

    • @Orwell1984:

      Im Boxen wurden schon vor Jahren Schutzhelme eingeführt.

  • Ähm kleine Ergänzung, die Regeln des heutigen Fussballs haben nun wirklich nicht viel mit denen des in 19jhr zu tun insofern kann von damals für festgeschrieben keine Rede.