Jahrestag der Angriffe in Hoyerswerda: Die Stadt und das Pogrom

Dieser Tage erinnert Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen vor 30 Jahren. Ein Gedenken, mit dem sich die Stadt seit jeher schwertut.

Eine bewaffnete Polizeikette steht vor einem Hochhaus in Hoyerswerda

Nach dem Pogrom: Polizeieinsatz gegen An­ti­ras­sis­t*in­nen in Hoyerswerda am 29. September 1991 Foto: Russell Liebman

HOYERSWERDA taz | Für Khabat Ibo steht fest: Man sollte so viel wie möglich über seine Stadt und ihre Geschichte wissen. In Hoyers­werda heißt das auch: sich mit den rassistischen Ausschreitungen vom Herbst 1991 zu beschäftigen. Deshalb hat der Verein Immigrants Network Hoyerswerda, dessen Vorsitzender Khabat Ibo ist, Geflüchtete und Mi­gran­t:in­nen in das Bürgerzentrum in der Braugasse eingeladen – wenige Tage bevor der 30. Jahrestag des Pogroms ansteht.

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Im Bürgerzentrum, gleich am Markt in der Altstadt von Hoyerswerda, füllt sich allmählich der Saal im ersten Stock. Etwa ein Dutzend Leute sind gekommen, man kennt sich, grüßt einander herzlich auf Arabisch, Kurdisch, Deutsch.

Khabat Ibo

„Die Stadt ist bunter und vielfältiger geworden. Ich fühle mich heute wohler“

Es fühlt sich ein bisschen nach Schule an, als alle bei Filterkaffee und belegten Brötchen an den weit auseinandergeschobenen Einzeltischen sitzen. Doch die Gesichter sind ernst, fast je­de:r hier hat schon rassistische Sprüche oder Angriffe erlebt. Ob sich so etwas wie 1991 wiederholen kann? Klar. Die Verhältnisse haben sich geändert, aber die Meinungen sind noch da, sagt ein Teilnehmer.

Und trotzdem: Viele in der Runde fühlen sich in Hoyerswerda zu Hause. Auch Khabat Ibo, der schon seit 2014 in der Stadt lebt. In Syrien hatte er gerade angefangen, französische Literatur zu studieren, als seine Universität in Aleppo ausgebombt wurde. Schließlich landete er in Hoyerswerda und gehörte damit zu den ersten Geflüchteten, die nach 1991 in der Stadt untergebracht wurden. Kommendes Jahr schließt er seine Ausbildung zum Bürokaufmann bei der AWO Lausitz ab.

Synonym für rassistische Gewalt

In den sieben Jahren seit seiner Ankunft habe sich viel getan, erzählt Ibo: „Am Anfang hatten wir Angst. Das Heim wurde damals mit Molotowcocktails beworfen, die Leute wurden bedroht. Aber nach und nach ist Hoyerswerda bunter und vielfältiger geworden, und ich fühle mich heute wohler in der Stadt.“

Sabine Proksch

„Nie hat jemand gefragt: Was ist denn mit den eigentlichen Opfern? Wir sind nicht die Opfer“

Genau deshalb müsse man an das Pogrom erinnern und dabei alle einbeziehen – auch die, die neu hier sind. Denn viele von ihnen wüssten nicht, was damals geschehen ist, im Herbst 1991: als ein rassistischer Mob tagelang Wohnheime für DDR-Vertragsarbeiter:innen und Flüchtlinge belagerte, sie mit Steinen und Brandsätzen bewarf, unbehelligt von einer überforderten Polizei;

als Hunderte Schaulustige klatschten und johlten; als die Politik kapitulierte, die Heime räumen ließ und die Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen abgeschoben, die Flüchtlinge umgesiedelt wurden; als Hoyerswerda, in der DDR bekannt als lebenswerte Arbeiterstadt, zum Synonym für die rassistische Gewalt der 1990er Jahre wurde.

Mit der Erinnerung an diese Woche im September hat sich Hoyerswerda immer schwergetan, zu sehr fühlte sich die Stadt als Opfer negativer Berichterstattung, die die existenziellen Probleme der schrumpfenden Stadt noch verschärfte, erinnert sich Sabine Proksch von der Initiative Zivilcourage: „Nie hat jemand gefragt: Was ist denn mit den eigentlichen Opfern? Hat sich jemand um die gekümmert? Wir sind nicht die Opfer. Wir leben hier gut.“

Ein Umdenken

Dieses Mal, zum 30. Jahrestag, hat die Initiative, ein Bündnis von engagierten Bür­ge­r:in­nen aus der Stadt, gemeinsam mit der Stadtverwaltung, dem Stadtmuseum und der Volkshochschule ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt. Auch zu den ehemaligen Vertragsarbeitern in Mosambik wurde wieder Kontakt aufgenommen. Viele von ihnen warten bis heute auf einen Teil ihrer Löhne und Renten.

Es scheint also, als tue sich was in Hoyerswerda. Warum erst jetzt? Sabine Proksch meint, es habe ein Umdenken stattgefunden. Manche, die wie sie fast ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht haben, blickten nun, älter geworden, auch mal zurück. „Wir hatten lange ein gespaltenes Verhältnis zu Hoyerswerda, aber jetzt wollen wir alles darüber wissen.“

Unterstützung komme aus dem Rathaus: Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh, seit knapp einem Jahr im Amt, bringe eine neue Dynamik ins Gedenken, erzählt Proksch, auch weil er eine größere Distanz zu dem Thema habe als sein Vorgänger.

Das bekräftigt der SPD-Politiker bei einem Treffen frühmorgens in seinem Büro: „Mich erschreckt das nicht. Ich finde es gut, dass man jetzt frei über 1991 redet“, sagt Ruban-Zeh. Er selbst stammt aus Dresden, ist Unternehmer und, nach eigener Aussage, viel herumgekommen: Halle, Moskau, Hoyerswerda. Zur Wende und in den Jahren danach war er nicht in der Stadt.

Im Griff: Industrieabbau, Abwanderung, Neonazis

Wenn man diese Zeit hier erlebt habe, sei man emotionaler dabei, da sei was dran. Kein Wunder, schließlich habe Hoyerswerda mächtig gelitten. Doch Schweigen helfe da nicht. Man müsse miteinander sprechen. Und sich dann auch nach außen präsentieren. „Marketing ist alles“, ruft er und klingt wie der Unternehmer, der er bis vor einem Jahr war: „Die Stadt hat vergessen, über sich zu reden, und dadurch weiß niemand, wie schön es in Hoyerswerda ist, und das bei einem Mietschnitt von um die fünf Euro pro Quadratmeter.“

Außerdem habe man viele der großen Probleme der 1990er und 2000er Jahre – Industrieabbau, Abwanderung, Neonazis – in den Griff bekommen und könne deshalb mit Stolz erzählen, dass man aus Hoyerswerda kommt. „Aber dementsprechend offen sollten wir mit unserer Geschichte umgehen“, fügt er hinzu.

Das heißt für den Oberbürgermeister auch: Versöhnung. Dafür wollte er auch Tä­te­r:in­nen von damals zum Gedenkwochenende einladen. Gemeldet hat sich niemand, trotz Aufrufen in der Zeitung. Auch das wohl ein Zeichen, wie gespalten die Stadt noch immer bei der Vergangenheitsbewältigung ist. Entmutigen lässt sich Ruban-Zeh davon nicht, immer wieder erwähnt er, wie gut es mit den neuen Flüchtlingen klappe: „Da sieht man auch, wie sich die Gesellschaft entwickelt hat.“

Das ist mindestens optimistisch, berichten die Geflüchteten beim Workshop. Eine, die Kopftuch trägt, wurde von einem Radfahrer geschlagen. Einer, der ein schickes Fahrrad hat, wird ­ständig von der Polizei angehalten: Wo er das denn herhabe? Bei den letzten Wahlen, auf Landes- wie auf Bundesebene, erreichte die AfD hier über 30 Prozent und gewann beide Direktmandate.

Flüchtlinge im Fußballverein

Damit ist Hoyerswerda in Sachsen nicht allein. Im Vergleich zu früher habe sich aber viel verbessert, was die Akzeptanz von Flüchtlingen angeht – auch beim Fußballverein, erzählt der Präsident des Hoyerswerdaer FC, Bernd Ziemann, während er das Vereinsheim in dem kleinen gelben Flachbau neben dem Jahn-Sportpark betritt. Der Klub am Rand der Neustadt kämpft seit Langem mit Nachwuchsproblemen.

Trotzdem: Als Flüchtlinge im Verein spielen wollten, habe er das als ein Wagnis empfunden, weil es Vorbehalte der anderen Spieler und der Fans gab, erinnert sich Ziemann. Schließlich hatte der Verein lange ein massives Problem mit rechten Hooligans, das man aber nach und nach mit Gesprächen in den Griff bekommen habe.

Heute sind nicht mehr so viele Geflüchtete im Verein wie noch 2015 und 2016. Weggezogen seien sie oder abgeschoben worden. Beim Nachwuchs sind es aber immer noch um die fünfzehn, erzählt Ziemann, in jeder Mannschaft ein paar.

Bernd Ziemann ist hier geboren und hat alles miterlebt: wie die Stadt innerhalb kürzester Zeit wuchs, auf bis zu 70.000 Ein­woh­ne­r:in­nen Anfang der 1980er Jahre, und dann rasant auf heute noch gut 30.000 schrumpfte. Im gleichen Zeitraum stieg das Durchschnittsalter von etwa 30 auf rund 52.

Schlimmer: Der Strukturwandel

Das habe vieles verändert, erinnert er sich: „Früher gab es in jedem Wohnkomplex eine Kaufhalle, eine Gaststätte, einen Spielplatz. Man hat Feste gefeiert, es war ständig Trubel und Leben. Dann ging es steil bergab, und erst so langsam gewöhnt man sich an den Anblick, dass so vieles dichtgemacht hat und abgerissen wurde.“

Wie es wieder bergauf gehen kann? Das hänge von der Industrie ab, die müsse sich hier wieder ansiedeln. Das schlechte Image schade natürlich auch, meint Ziemann und ist nicht glücklich, dass so umfangreich an 1991 erinnert wird: „Gedenktage wie dieser ziehen immer ein bisschen runter, da frage ich mich: Wem helfen die denn? Es ist doch völlig klar: Das ist verwerflich, das darf sich nie wiederholen, und damit ist Schluss. Wir sollten Erfolge viel stärker in den Vordergrund bringen als diese eine Woche, die Hoyerswerda schon so lange anhaftet.“

Dass Hoyerswerda besser als sein Ruf ist – darauf können sich hier fast alle einigen. Anders als in der Frage, ob das Gedenkwochenende nützt oder schadet. Größere Sorgen bereitet vielen ohnehin der Strukturwandel. Bis 2038 sollen die verbliebenen Kohlekraftwerke in Boxberg und Schwarze Pumpe abgeschaltet werden. Es braucht Jobs, denn wenn die nicht kommen, bleiben nur die Rentner:innen.

Das spüren auch die Geflüchteten. Am Ende des Workshops im Bürgerzentrum sprechen sie über ihre Wünsche für die Zukunft. Gute Arbeit finden, sagen viele. Aber auch: heimisch werden, akzeptiert werden, den Kindern eine Perspektive bieten – wenn das in Hoyers­werda klappt, dann gerne hier. So wie Khabat Ibo, der nach seiner Ausbildung bei der AWO arbeiten kann. Darüber ist er froh, denn er will in Hoyerswerda bleiben: „Ich kann mir hier ein gutes Leben vorstellen.“

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