Unterversorgung psychisch kranker Kinder: Die Not der Stillen

Termin in drei Monaten: Psychisch kranke Kinder sind schlecht versorgt. Wie können Ge­sund­heits­po­li­ti­ke­r*in­nen noch in den Spiegel schauen?

Eine Jugendliche steht am Fenster.

Einen Termin in einer Praxis für Kinderpsychiatrie zu ergattern kommt einem Lottogewinn gleich Foto: Paul Zinken/dpa

Unicef fordert weltweit mehr Investitionen in die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Denn nicht nur die Pandemie hat die seelische Verfasstheit junger Menschen dramatisch verschlechtert. Auch unabhängig von Covid-19 ist die psychische und psychiatrische Versorgung mangelhaft. Bemerkenswert ist, dass nicht nur Länder betroffen sind, um deren Gesundheitsversorgung es ohnehin eher schlecht bestellt ist. Auch in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, ist die Lage so desolat, dass man sich fragen muss, wie die dafür verantwortlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen überhaupt in den Spiegel schauen können.

Für ein psychisch krankes Kind einen Termin in einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu ergattern kommt einem Lottogewinn gleich. Drei bis vier Monate Wartezeit sind völlig normal. In den Notfallsprechstunden wird in der Regel lediglich abgefragt, ob das Kind Suizidgedanken äußert – falls es sie äußert. In dem Fall wird es stationär aufgenommen. Alle anderen Kinder und Jugendlichen werden wieder nach Hause geschickt, oft bis es ihnen so schlecht geht, dass nur noch die Kinder- und Jugendpsychiatrie infrage kommt. Auch das wiederum ist natürlich mit langen Wartezeiten verbunden.

Um die Tragweite einer solchen Unterversorgung zu verstehen, muss man sich nur einmal einige Beispiele vor Augen führen: Es bedeutet, dass zeitnah keine Therapieplätze für Opfer sexualisierter Gewalt zur Verfügung stehen. Ein halbes Jahr kann ins Land gehen, bevor einem Kind, das wegen einer Angststörung nicht zur Schule geht, geholfen wird. Ein Jugendlicher, der Anzeichen einer Depression aufweist, sich ritzt oder auf andere Art verletzt, rast auf einen Tiefpunkt zu, ohne dass rechtzeitig eingegriffen werden kann.

Aber wen kümmert schon die Not der Stillen? Die Ge­sund­heits­po­li­ti­ker*innen jedenfalls nicht, ganz gleich welcher Partei sie angehören. Sie sind mit zu vielen anderen Baustellen beschäftigt, wo es lauter zugeht. Das aber ändert nichts daran, dass sie die Folgen mitzuverantworten haben. Unicef warnt auch vor den wirtschaftlichen Nachteilen der Unterversorgung. Und wer weiß, vielleicht bewirkt der Kostenfaktor ein Umdenken.

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Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik

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