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Ortskräfte in AfghanistanMan kennt sie nicht mehr

Zehn Jahre lang arbeitete Mohammad Zahed für die Nato-Truppen in Kabul. Seine Rettung scheitert an einem bürokratischen Detail.

Neue Realität: Ein halb abgerissenes Plakat des geflohenen Präsidenten Ashraf Ghani in Kabul Foto: Jim Huylebroek/TNYT/laif

Mohammad ­Zahed blickt nervös in die Kamera seines Smart­phones, um ihn herum herrscht Chaos. Hunderte von Menschen strömen an ihm vorbei und versuchen, auf den Kabuler Flughafen zu gelangen. „US-Soldaten und Taliban-Kämpfer schießen in die Menge“, berichtet Zahed, der sich nahe dem Flughafengelände aufhält. Seit die militant-islamistischen Taliban am vergangenen Sonntag Kabul eingenommen haben, spielen sich dort dramatische Szenen ab.

Zahed, Ende Dreißig, ist für eine große Telekommunikationsfirma in Kabul tätig. In den letzten zehn Jahren kümmerte er sich auch um die Datenleitungen der Bundeswehr und anderer Nato-Truppen. Seine Arbeit war aus logistischer Sicht fundamental, um den westlichen Einsatz vor Ort und die damit verbundene Kommunikation zu ermöglichen.

Dieser Umstand ist nicht nur Zahed bewusst, sondern auch jenen, von denen er seit Monaten bedroht wird und die nun zurück in Kabul sind: die Taliban. Einer seiner Arbeitskollegen wurde im vergangenen Jahr getötet. Von Extremisten, wie er glaubt.

Seit die USA und ihre Verbündeten ihren Abzug durchführen, versinkt Afghanistan im Chaos. In den letzten Tagen und Wochen konnten die Taliban fast das ganze Land einnehmen. Lediglich die nördliche Provinz Pandschir, in der sich Vizepräsident Amrullah Saleh und Ahmad Massoud, Sohn des bekannten Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Schah Massoud, aufhalten sollen, wird von den Extremisten nicht kontrolliert.

Unglaubwürdige Amnestie

Seit Jahren ist bekannt, dass die Taliban ein besonderes Augenmerk auf jene Afghanen gelegt haben, die den ausländischen Truppen geholfen haben, sprich, Dolmetscher und anderweitiges Personal, das in den letzten zwanzig Jahren von der Nato beschäftigt wurde. Menschen wie Mohammad Zahed. Konkret betrifft dies Tausende von Afghanen. Während viele von ihnen ihre Heimat in den letzten Jahren verlassen haben, sind andere geblieben.

Sie sind es, die nun die Vergeltung der Taliban fürchten, obwohl diese vor Kurzem abermals eine Generalamnestie versprachen. „Ich kann mich auf solche Worte nicht verlassen. Wer weiß, wie sie agieren werden, wenn der internationale Fokus weg ist?“, fragt sich ­Zahed, der aus der südostafghanischen Provinz Khost nahe der pakistanischen Grenze stammt. Dort sind die Taliban bereits seit Jahren präsent, weshalb er sein Dorf nicht mehr besucht.

Vor einigen Wochen hatte die Bundesregierung angekündigt, allen Ortskräften von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland angestrebt hatten, dieses zu bewilligen. Bislang wurden hierfür mindestens 2.400 Visa für betroffene Personen und deren enge Verwandte ausgestellt.

Viele von ihnen konnten sich allerdings kein Flugticket leisten. Die Bundesregierung hatte die Übernahme von Reisekosten abgelehnt. Zuletzt sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für „pragmatische Lösungen“ aus. Etwaige Charterflugzeuge wurden in den Raum gestellt. Doch dann fiel Kabul und von Evakuierungsflügen für Ortskräfte fehlt jegliche Spur.

Ein Déjà-vu für die Afghanen

Es gibt jedoch ein weiteres Problem, denn Afghanen wie Zahed wird womöglich gar nicht geholfen. „Ich habe jeden Tag mit den Nato-Kräften und der Bundeswehr zusammengearbeitet, doch ich hatte keinen direkten Vertrag mit ihnen. Das wird mir und meiner sechsköpfigen Familie nun zum Verhängnis“, sagt er.

Im Fall von Mohammad Zahed hat das Auswärtige Amt bereits (vor mehreren Wochen) bestätigt, dass man sich um sein Anliegen nicht kümmern könne, da er für eine externe Firma tätig war, die wiederum für die Nato-Truppen arbeitete. Die Firma mit Sitz in Hongkong hat auch Zweigstellen in Deutschland, wo Zaheds Verwandte leben.

Wer die Argumentation des Auswärtigen Amtes liest, bekommt den Eindruck, dass die Bundeswehr nichts mit Zahed zu tun hatte. Dabei sah die Realität vor Ort anders aus. „Den Soldaten war es egal, ob ich als Individuum einen Vertrag mit ihnen hatte oder nicht. Sie haben sich immer an mich gewandt. Ich war stets für sie da. Doch nun kennt man mich plötzlich nicht mehr, obwohl unsere Zusammenarbeit im Detail dokumentiert ist“, sagt Zahed. Der Mailverkehr, den Zahed mit den Nato-Truppen hielt, liegt der taz vor.

Angesichts des Abzugs der US-Truppen haben viele Afghanen ein Déjà-vu. 1989 verließen die letzten sowjetischen Truppen nach ihrer zehnjährigen Besatzung das Land. Das letzte kommunistische Regime konnte sich drei weitere Jahre dank finanzieller und logistischer Unterstützung aus Moskau halten. Nachdem der Geldhahn abgedreht wurde, nahmen die Mudschaheddin Kabul ein und ein blutiger Bürgerkrieg brach aus. Er kostete Tausende von Afghanen das Leben. Dann kamen die Taliban an die Macht.

Viele Tote, keine Zukunft

Doch nun geschah alles viel schneller. Laut den Vereinten Nationen kam es im ersten Halbjahr 2021 zu mindestens 5.183 zivilen Opfern in Afghanistan. 1.659 Zivilisten wurden getötet, 3.524 weitere verletzt. Für Mohammad Zahed ist all dies und die Rückkehr der Taliban Grund genug, um Afghanistan verlassen zu wollen.

„Ich hoffe, dass die deutschen Behörden ihrer Verantwortung nachkommen und wir endlich abreisen können. Meine Kinder haben hier keine Zukunft, egal, was die Taliban uns heute erzählen und wie sehr sie sich verändert haben mögen“, sagt Zahed.

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7 Kommentare

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  • Das Land versinkt nicht erst jetzt im Chaos, sondern war die ganze Zeit schon chaotisch.



    Es herrschte ein Bürgerkrieg zwischen drei verschiedenen Parteien.

  • Es ist bemerkenswert und vor Allem beschämend für Deutschland, wie Frau Merkel auch diese Krise aussitzen will. Die Gefahr für die ehemaligen Ortskräfte war bereits länger vorauszusehen, scheinbar für unsere Politiker nicht… Nun wird alles wieder kleingeredet, die Gefahr für viele Menschen nicht ernstgenommen und scheinheilige Ausreden erfunden. Leider werden Wiedermal offensichtliche Fehler nicht zugegeben und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen. Die Regierung von Frau Merkel hat ein weiteres Mal vollkommen versagt.

    • @Thomas Poppel:

      Politisch besteht überhaupt kein Interesse öffentlich wirksam der Aufnahme von Flüchtlingen zuzustimmen. Insbesondere die CDU/CSU glauben sich auf diese Weise gegen die AFD abgrenzen und Wählerstimmen zurückholen zu können.

      Die jüngsten Worte von Herrn Laschet, "2015 darf sich nicht wiederholen", zeigen die politische (Wahlkampf-) Richtung unmissverständlich auf.

      In diesem Zusammenhang würde ich vorrangig das Verteidigungsministerium in die Pflicht nehmen eine geeignete Lageeinschätzung abzugeben, so das "die Regierung" planerisch Entscheidungen fällen kann, statt ein "rette sich wer kann" prozessieren zu müssen.

  • Bürokratie tötet!

  • Von mir aus können diese Menschen nach Deutschland geholt werden, aber eine Verpflichtung seitens Deutschlands kann ich nicht erkennen. Die Bundeswhr war in Afghanistan um den Afghanen zu helfen, die Ortskräfte sind sehr gut bezahlt worden, der Bundeswehreinsatz hat 53 Soldaten das Leben gekostet, hinzu kommen etliche Verletzte und traumatisierte und sinnlos versenktes Steuergeld. Deutschland hat dort keinerlei Interessen.

  • Für mehr Information zu diesem Thema empfehle ich die Hans Jessen Show auf Youtube.