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Fotoausstellung im Märkischen MuseumSeit 150 Jahren im Kreis

„Stillgelegt. West-Berliner S-Bahnhöfe in den 1980er Jahren“ zeigt fotografische Arbeiten von Fons Brasser. Anlass ist das Jubiläum der Ringbahn.

Fons Brasser: S-Bahnhof Westend Foto: Stadtmuseum Berlin

Erstaunlich, wie schnell die Zeit vergeht. Westberlin war mal wirklich etwas Besonderes. Ein Gebiet mit Vier-Mächte-Status, eine Stadt geteilt mit einer Mauer und eine S-Bahn, die von einem Unternehmen namens Deutsche Reichsbahn betrieben wurde, das im Grunde ein Staatsbetrieb der DDR war, aber in der „selbstständigen politischen Einheit Westberlin“, so der Ostjargon, den öffentlichen Personennahverkehr betrieb.

Diese hoheitliche Anomalie war auch der Grund, warum nach dem Mauerbau die Fahrgäste der S‑Bahn in „Berlin (West)“, so der Westjargon, immer weniger wurden. Die S-Bahn zu benutzen, hätte ja bedeutet, den Kommunismus zu subventionieren.

Da die wenigen Einnahmen der S-Bahn im Westteil Berlins die Kosten dort in keinster Weise decken konnten, die Westbelegschaft bei der S-Bahn auch noch (teilweise) in Westmark bezahlt werden musste, verkam das einst so moderne und leistungsfähige System der S‑Bahn immer mehr. Strecken wurden stillgelegt, Geisterbahnhöfe entstanden.

Manches – wie verloren in Zeit und Raum – sieht heute immer noch so aus, wie vor über 30 Jahren. Zum Beispiel der S-Bahnhof Wernerwerk/Siemensbahn – nämlich stillgelegt. „Stillgelegt“ lautet auch der Titel einer eher kleinen aber höchst interessanten Ausstellung im Märkischen Museum. Wer im Museum gezielt danach sucht, sollte besser das Personal fragen, um den kleinen gewölbten Raum im Sockel­geschoss des Gebäudes zu finden, der als „Fotografisches Kabinett“ benutzt wird.

Serie stillgelegter Bahnhöfe in Westberlin

Der großformatige Schwarz-Weiß-Abzug des Wernerwerks von 1983 ist hier Teil einer ganzen Serie von – natürlich analog aufgenommenen – Fotos zu den Berliner S‑Bahnhöfen. Der niederländische Künstler und Fotograf Fons Brasser, Jahrgang 1944, hat sie in den achtziger Jahren aufgenommen. Brasser ist damals bei seiner Serie streng konzeptuell vorgegangen.

Die Ausstellung

„Stillgelegt. West-Berliner S-Bahnhöfe in den 1980er Jahren“: bis 26. September, Märkisches Museum.

Denn er hat sämtliche 59 stillgelegte Bahnhöfe im Westberliner Stadtgebiet fotografiert und zwar jeweils mit zwei Aufnahmen, einer zum Eingangsgebäude und einer zu den Bahnsteigen. Die neun Doppelportraits beziehungsweise 18 Fotos in der aktuellen Ausstellung sind also nur ein Teil des eigentlichen Werkes, das man konzeptuell durchaus in die Nähe der berühmten Düsseldorfer Becher-Schule stellen kann, auch was die gesuchte Sachlichkeit bei durchweg bedecktem Himmel angeht.

Der morbide Charme der verlassenen Bahnsteige und der bröckelnde Putz der Wände hat seinen eigenen Reiz, vor allem dann, wenn heute das Stadtbild ganz anders aussieht. Die achtziger Jahre, man sieht es auch an diesem speziellen Beispiel, waren in Berlin immer noch Nachkriegszeit, und insbesondere der Westteil wirkte vielerorts wie auf einem toten Gleis. Gerade bei den vielen durch die Mauer unterbrochenen Bahnlinien und den aufgegebenen Bahnhöfen war das nicht bloß eine Metapher.

Vieles auch bei den von Brasser fotografierten S‑Bahnhöfen sieht heute wirklich anders aus. Manches ist ganz verschwunden wie der Bahnhof Siemensstadt/Fürstenbrunn, von dem nichts mehr geblieben ist, – nicht die typischen Stationshäuschen, nicht die genieteten Stahlträger für das Dach auf dem Bahnsteig und nicht der eher schlichte Eingang.

1984 übernahm die BVG

1980 reagierte die Reichsbahn auf einen Streik der S‑Bahner im Westen mit Kündigungen und der Reduzierung der S-Bahn-Linien von zehn auf drei. 1984 übernahm die BVG den Betrieb im Westen – bis zur Wiedervereinigung auch bei der S‑Bahn im Zeichen der „Deutschen Reichsbahn“.

Viele der nach dem Streik von 1980 stillgelegten S‑Bahnhöfe im Westteil Berlins sind inzwischen wieder in Betrieb genommen worden. Die verrammelten Tore am Bahnhof Heiligensee, die Brasser fotografiert hat, sind Geschichte, der Bahnhof Beusselstraße ist heute allerdings ein anderer.

Viele der einst identitätsstiftenden Architekturen von den solide gemauerten Bahnhofsgebäuden bis hin zu den alten gusseisernen Stützen auf dem Bahnsteig sind verschwunden – etwa der Bahnhof Papestraße (heute Südkreuz). Das imposante Empfangsgebäude des Ringbahnhofs Westend wird heute anders genutzt.

Empfangen wird der Reisende auf heutigen S‑Bahn-Stationen meist mit schlichter Funktionalität inklusive ungemütlich-greller Beleuchtung. Man betrachtet daher manches auf Brassers Aufnahmen mit Wehmut darüber wie der sogenannte Fortschritt vieles ausgelöscht hat – Architekturen aber auch Stimmungen, die heute in der Stadt immer weniger wahrnehmbar werden.

Ringbahn feiert Jubiläum

Die von Museumsdirektor Paul Spies höchst selbst eingefädelte Ausstellung seines Landsmannes Fons Brasser ist auch als Beitrag zum Jubiläum der Ringbahn gedacht. Vor 150 Jahren begann der Betrieb des damals noch nicht ganz geschlossenen Rings. Im Märkischen Museum wirkt der Ausstellungsraum wie ein Teil der größeren, gerade laufenden Ausstellung zur Gründung Groß-Berlins 1920. Der öffentliche Verkehr spielte (im Werden) der Großstadt Berlin natürlich eine essentielle Rolle.

Die ihrer eigentlichen Funktion beraubten S-Bahnhöfe, wie sie Brasser fotografiert hat, bieten jetzt Gelegenheit, noch einmal auch über scheinbar beim ÖPNV so nebensächliche Dinge wie Ästhetik nachzudenken und nachzuspüren. Denn die kommt nicht nur dort meist zu kurz.

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2 Kommentare

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  • Ich erinnere mich, Anfang der 80er Jahre an einem Gutachten der Kölner STUVA mitgearbeitet zu haben, das wohl maßgeblich nicht nur für die Übernahme des westlichen Teils der S-Bahn durch die BVG im Jahr 1984 war, sondern auch Perspektiven für den Weiterbetrieb aller S-Bahnlinien der Reichsbahn im Berliner Umland nach einer eventuellen "Wiedervereinigung" beschrieb. Daraus ist ja wohl offensichtlich nichts geworden...

  • Ut desint vires tamen virtus laudanda est. Hier ein wenig Nachhilfe in Geschichte, welche auch einem taz-Autor gut tut. Die Berliner und die Hamburger S-Bahnen gehörten nach dem Kriegsende einer "Treuhandgesellschaft zur Verwaltung des Reichsbahnvermögens". In Westberlin war diese Treuhandgesellschaft im Besitz der Alliierten. Das ist besonders pikant. Diese Tatsache wird gern geleugnet, weil sich darauf bereits ganz frühe Propagandaprojekte der Westberliner Senatsparteien gründeten, wobei die SPD als Regierungspartei den größten Anteil hält.

    Die Deutsche Reichsbahn, nach der Gründung der DDR deren Staatsbahn, hatte ihr Gegenstück in der Deutschen Bundesbahn der BRD. Nun war es nach Kriegsende, wo so schnell als möglich wieder ein funktionierendes Nahverkehrsnetz aufgebaut werden musste, naheliegend die noch intakten Strukturen der alten S-Bahn zu nutzen. Das gesamte Westberliner Streckennetz gehörte der Treuhandgesellschaft, dazu das rollende Material und sämtliche Gebäude. Es gab sogar erhebliche Schwierigkeiten, wenn Material aus einem Westsektor in den anderen transportiert werden sollte. Heute haben wir eine ähnliche Lage bei der DB. Der Fahrbetrieb wird oft von einem ganz anderen Dienstleister durchgeführt. So war es die Deutsche Reichsbahn, welche in West-Berlin allein die Beförderung, Betrieb der Stellwerke und Abfertigungen inne hatte, in Anlagen, die ihr nicht gehörten. Vor 60 Jahren geschah dann der bekannte "Mauerbau". Den Alliierten war das vorher bereits bekannt und sie stimmten dem zu. Für die Westberliner Politiker, allesamt von einem antikommunistischen Wahn besessen, fiel in ihrer Borniertheit nichts anderes als die Lüge vom S-Bahnboykott ein. Die Springer-Presse hetzte den Westberliner noch auf, der DGB machte mit. Statt "Ulbricht vom Stacheldrahtkauf abzuhalten", fehlten die Einnahmen der Treuhandgesellschaft. Wer also der S-Bahn fernblieb, schnitt sich selbst ins Fleisch. Eine politische Lüge geboren aus Geistlosigkeit geblieben bis heute.