Impf­geg­ne­r*in­nen in den USA: Kampfmodus gegen die „Giftspritze“

In den USA ist bereits die Hälfte der Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft. Doch eine lautstarke Minderheit mobilisiert dagegen.

Zwei Menschen protestieren, er spricht in ei9n Megaphon, sie hält ein Plakat

Auf keinen Fall gegen Corona impfen: Protest vor der Abyssinian-Baptist-Kirche in New York., 6. Juni Foto: Eduardo Munoz/reuters

NEW YORK taz | Es ist der Sonntag, an dem 50 Prozent der BewohnerInnen der USA voll gegen Covid-19 geimpft sind. Im Rest der Welt beneiden viele das Land um seine großen Impfvorräte. Aber im Inneren des Landes mobilisiert eine lautstarke Minderheit gegen die Impfkampagne, mit der bis Anfang Juli die Herdenimmunität erreicht werden soll. Sie nennen sie „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und sprechen von „Vergiftung“. Sie versteigen sich auch zu der Behauptung, jemand habe das Virus ins Land gebracht, um sie alle zu „versklaven“ und zu „kontrollieren“.

Die 40-jährige Afroamerikanerin Jubil erklärt, dass der Impfstoff „Tausende“ töte. Dann überreicht sie ein Flugblatt, das gegen das Virus das Malariamittel Hydroxychloroquin empfiehlt, für das schon Ex-Präsident Donald Trump Werbung gemacht hat. Ihr T-Shirt trägt die Aufschrift „Black Panther“.

„Feuert Fauci“, ruft eine blonde Frau mit tätowierten Armen und grüner militärischer Tarnhose in ein Megafon. Um sie herum stehen mehrere Dutzend Anti-Vaxxers. Unter ihnen sind Weiße und Schwarze, Junge und Alte. Gemeinsam ist allen, dass sie keine Maske tragen. Viele von ihnen greifen ebenfalls zu Megafonen, als drei schwarze Limousinen mit getöntem Glas in die 138. Straße in Harlem, New York, einbiegen.

Die Wagen kommen in der Mitte des Blocks vor der Abyssinian-Baptist-Kirche zum Stehen, wo die alteingesessene afro­amerikanische Gemeinde vor Monaten ein Impfzentrum im Souterrain eröffnet hat. Während die First Lady der USA, Jill Biden, und der Chef-Immunologe Anthony Fauci aussteigen, schwellen die Schreie zu einem akustischen Sturm an. Sie richten sich gegen den Immunologen, der nach mehreren Generationen von US-Präsidenten jetzt auch Joe Biden berät: „Lügner“, „Krimineller“, „Korrupter“. Dazwischen ertönen Worte wie: „Freiheit“, „Wir das Volk“ und: „freie Wahl“ sowie Vergleiche mit dem NS-Regime.

Überzeugungsarbeit in Harlem

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schüttelt ein junger Mann den Kopf. Der 19-jährige Samuel Martinez empfindet das, was er hört, als „beleidigend“. Auch der In­genieurstudent steht in einer gemischten Gruppe von Menschen. Auf seiner Straßenseite tragen alle eine Maske. Sein T-Shirt weist ihn als Mitarbeiter des „Test & Trace Corps“ aus.

Die Stadt New York hat die Organisation auf dem Höhepunkt der Pandemie im vergangenen Jahr gegründet, um Covid-Infizierte möglichst frühzeitig zu testen und zu isolieren. Die Tests gehören weiterhin zum Angebot der Gruppe. Aber inzwischen versucht die Gruppe vor allem, zögerliche New Yorker vom Nutzen einer Impfung zu überzeugen. Ihre Mitarbeiter schlagen ihre Zeltdächer vor allem auf den Bürgersteigen in Stadtteilen auf, in denen die Impfraten besonders niedrig sind.

Harlem ist einer davon. Auch in Teilen der Bronx und im Süden von Queens gibt es Gebiete, in denen erst ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung geimpft ist. Samuel Martinez hat in der Pandemie schwere Verluste erlitten. Sein Großvater und mehrere Cousins sind an dem Virus gestorben. Seine Großmutter hat es knapp überlebt. Von seiner Erfahrung in der Aufklärungskampagne weiß er, dass ideologische „Anti-Vaxxers“ ihre Meinung allenfalls dann ändern, wenn das Virus sie in unmittelbarer Nähe trifft.

„In den unterversorgten Stadtteilen ist die Impfstoff-Zögerlichkeit am größten“, erklärt Natasha Eskandar, die Direktorin des „Test & Trace Corps“. In den zurückliegenden zwei Monaten haben ihre Mitarbeiter nach Eskandars Auskunft 20.000 New Yorker überzeugt, sich impfen zu lassen.

Transparent einer Anti-Vaxxerin in New York

„Ich dachte, wir hätten das in Nürnberg erledigt!“

Eine „Test & Trace Corps“-Mitarbeiterin, die in der südlichen Bronx im Einsatz ist, berichtet, dass der Widerstand aus ideologischen Gründen dort selten ist. „Bei den meisten Leuten hat die Impfung keine Priorität“, sagt Vivian Carter, die bis zum Beginn der Pandemie für die Diözese New York gearbeitet hat. „Viele wollen auch erst beobachten, wie ihre geimpften Angehörigen auf den Impfstoff reagieren.“

Nicht nur rechte Anti-Vaxxer

Für eine ältere blonde Frau von der gegenüberliegenden Straßenseite kommt eine Impfung mit der „Giftspritze“ nicht in Frage. „Ich habe natürliche Antikörper in meinem System“, versichert Elizabeth. Sie begrüßt ihr Gegenüber in einem starken ungarischen Akzent mit den Worten: „Deutschland über alles“. Und fügt schnell hinzu, dass sie hofft, demnächst Journalisten aus Russland zu treffen.

Elizabeth ist Trump-Wählerin und ist über dessen Kampagne zur Politik gekommen. Bevor sie zu einer Anti-Vaxxerin wurde, hat sie ihren inzwischen verstorbenen Mann gepflegt. An diesem Sonntag trägt sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Ich dachte, wir hätten das in Nürnberg erledigt“. Damit meine sie die „erzwungenen Injektionen“, erklärt sie.

Nicht alle Anti-Vaxxers kommen von rechts. Der professionelle Schachspieler und -lehrer Anthony Kozikowski stellt sich selbst als „eingetragenen Demokraten“ vor. Andere auf seiner Straßenseite beschreiben ihn als „Libertären“. Er kam in die Schlagzeilen der New Yorker Boulevardpresse, als er sich weigerte, sich impfen zu lassen, um in seinem Club an einem Schachturnier teilnehmen zu dürfen.

Während des ersten postpandemischen Turniers trug Kozikowski den Kulturkrieg über die Impfung aus dem „Marshall Chess Club“ auf die Straße im Greenwich Village. Daraufhin suspendierte der Club seine Mitgliedschaft für fünf Jahre. „Ich bin beunruhigt über den Zwang und über die einseitigen Informationen in den Medien“, erklärt er. Auf seinem knallgelben T-Shirt steht: „Hass mich nicht, weil du nicht glücklich bist“.

Impfen ab 12 Jahren

„Natürlich haben sie das Recht, zu demonstrieren“, sagt eine Altenpflegerin auf der anderen Straßenseite, „aber sie sind so laut“. Gale hat sich impfen lassen, um ihre betagten Klienten nicht zu gefährden. „Ich glaube, dass das besser ist“, sagt sie in dem leisen Ton, den alle auf ihrer Straßenseite benutzen, der jedoch in dem Geschrei von gegenüber nur schwer zu verstehen ist.

Unterdessen lassen sich die First Lady und der oberste Immunologe des Landes im Souterrain der Kirche mit Leuten fotografieren, die an diesem Sonntag zur Impfung gekommen sind. Unter ihnen ist eine über 90-Jährige, die lange hin und her überlegt hat, bevor sie sich dann doch von ihrem Enkel überzeugen ließ.

Auch zwei junge Teenager wollen die Gelegenheit nutzen, dass das Impfalter gerade auf zwölf Jahre herabgesetzt worden ist. Ein angehender College-Student braucht den Impfbeleg, um wieder Seminare besuchen zu können. Alle sind Afroamerikaner.

Vor der Ankunft der beiden prominenten Besucher aus Washington haben Mitarbeiter des „Test & Trace Corps“ an diesem Sonntag mehr als ein Dutzend Menschen auf der Straße für eine Impfung gewonnen.

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