Mit Instagram die Welt verändern: Herzchen für den Konsumverzicht

Reparieren, regional kaufen, Ökostrom nutzen – wie oft scheitert das Wünschenswerte daran, dass es niemand mitbekommt? Das lässt sich ändern.

Eine Frau sitzt an einem Tisch und hält ein Smartphone in der Hand - auf dem Tisch ein Kaffee mit Herz im Schaum, ein Cookie und ein Laptop

Egal ob Cookie oder Cappuccino – Hauptsache instagrammable Foto: Addictive Stock/imago

Der Friseurladen um die Ecke hat kürzlich ein Ringlicht, wie es auch Fo­to­gra­f:in­nen nutzen, aufgestellt und eine Retro-Tapete danebengehängt. Oh, dachte ich erst, das ist doch mal eine sinnvolle Co-Nutzung: Fotostudio zieht bei Fri­seu­r:in ein. Bis mir klar wurde: Nein, kein Fotostudio. Instagram. Schnell ein Selfie, bevor HeadsetMützeMaske die Frisur wieder komplett uninstagrammable machen.

Google hat die Welt verändert. Facebook hat die Welt verändert. Tiktok arbeitet daran. Aber kein Online-Netzwerk hat die Optik unserer Umgebung derart beeinflusst, wie Instagram das seit Jahren tut – und damit noch längst nicht fertig ist. Die Herzen, Blumen und Farne auf dem Milchkaffeeschaum sind da noch das harmloseste Symptom.

Es gibt Cafés und Restaurants, die ihre Inneneinrichtung danach konzipieren, möglichst instagrammable zu sein. Ach was, Inneneinrichtung – das Arrangieren ganzer Mahlzeiten auf Tellern folgt mancherorts mehr den Instagram-Schönheitsgeboten als dem plausiblen Kombinieren von Zutaten. Resorts und Hotels werden danach gestaltet, möglichst viele schicke Fotoorte zu bieten. Wohnungen werden extra designt und vermietet für Menschen, deren instagramkompatible Ecken des eigenen Zuhauses bereits erschöpfend in allen Winkeln auf der Plattform gezeigt wurden.

Und: Es ist nicht nur die Optik. Yoga zum Beispiel. War in den 90ern ein nach Räucherstäbchen riechender und nach Klangschale klingender Isomattensport. Und jetzt? Demonstrieren Menschen in möglichst knapper Bekleidung, wie lange sie die Eka Hasta Vrksa­sana halten können. Bevorzugt an einem weiten Strand, auf Steinen eines spektakulären Gebirgsbachs oder auf einem Stand-up-Paddeling-Board vor aufgehender Sonne.

Wer will das kritisieren?

Oder Bäumepflanzen. War gefühlt entweder Martin Luther oder Birkenstock und jetzt ist es ein Hashtag. Es hat zwar noch genauso viel mit Erde und Schaufeln und Fluchen und Gießkannenschleppen zu tun wie vorher. Aber jetzt gibt es nicht am Ende des Tages eine warme Dusche zur Belohnung, sondern Herzen und lobende Kommentare anderer Nutzer:innen. Schöne Grüße von der Aufmerksamkeitsökonomie.

Wer will das kritisieren? Scheitert doch das Gute, Richtige oder Wünschenswerte zu oft daran, dass es niemand mitbekommt. Eine Freundin berichtete mal, seitdem sie wieder alleine lebe, trenne sie den Müll nicht mehr. Ein Bekannter isst in Gesellschaft immer vegetarisch – und sein Steak nur alleine zu Hause. Wenn also Bäumepflanzen, Thermosbecher, Rad- und Zugfahren, regionale Lebensmittel einkaufen, Dinge reparieren, Konsumverzicht, vegetarisch ernähren mit Instagram-Herzchen belohnt werden: Könnte es am Ende das Netzwerk werden, das die Welt zum Grünen verändert?

Nur das mit den ganzen Bildern von menschenleeren Stränden auf Bali, Surfen auf Hawaii und der Pinguinsafari in Südafrika – das müssen wir irgendwie noch gelöst kriegen.

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schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.

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