Kabinett einigt sich auf Pflegereform: Kritik an Spahns Pflegeplänen

Die Bundesregierung will, dass alle Pflegekräfte nach Tarif bezahlt werden. Privaten Pflegeanbietern gehen die Pläne zu weit, Linken und Grünen nicht weit genug.

Eine Pflegerin zieht während ihrer Schicht in der ambulanten Pflege einem Klienten einen Kompressionsärmel an.

Harte Arbeit – teils schlechte Löhne: Pfle­ge­r:in­nen sollen künftig nach Tarif bezahlt werden Foto: dpa

HANNOVER/BERLIN afp | Die geplante Pflegereform stößt auf Widerstand bei den privaten Arbeitgebern und Kritik von der Opposition. „Mit der tariflichen Entlohnung nimmt die Koalition eine Existenzgefährdung der Pflegeeinrichtungen in Kauf und setzt damit die Versorgung pflegebedürftiger Menschen aufs Spiel“, sagte der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA), Bernd Meurer, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Montag.

Der Reformentwurf aus dem CDU-geführten Bundesgesundheitsministerium soll Berichten zufolge am Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden. Den Koalitionsplänen zufolge soll ab Januar kommenden Jahres der Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Prozentpunkte auf dann 3,4 Prozent erhöht werden, wie die „Bild am Sonntag“ berichtete.

Der Beitragssatz für Eltern bleibt laut Gesetzentwurf stabil bei 3,05 Prozent. Um höhere Löhne in der Altenpflege zu erreichen, dürfen ab September 2022 Heime und Pflegedienste nur noch mit der Pflegekasse abrechnen, wenn sie ihre Pflegekräfte nach Tarif entlohnen.

Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung sei nicht gesichert, dass Tariflöhne durch die Pflegekassen tatsächlich in ausreichender Höhe refinanziert würden, warnte BPA-Präsident Meurer. „Das ist eine Katastrophe für unsere Unternehmen.“ Meurer griff nun insbesondere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. „Der Gesundheitsminister macht sich zum Erfüllungsgehilfen der SPD, die sich gegen das Engagement privater Anbieter in der Pflege ausspricht“, sagte er.

Grüne und Linke sind enttäuscht

Auch Po­li­ti­ke­r:in­nen der Opposition im Bundestag hatten sich enttäuscht von den Plänen der schwarz-roten Koalition für eine Pflegereform gezeigt. Grüne und Linke bemängelten schon am Sonntag gegenüber AFP die anvisierte Entlastung der Pflegebedürftigen beim Eigenanteil als unzureichend und forderten eine flächendeckende gesetzliche Verankerung von Tariflöhnen in der Pflege. Die FDP zweifelte die finanzielle Solidität der Pläne an und kritisierte insbesondere die geplante Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags für Kinderlose.

„Die Pflegereform enthält zwar Verbesserungen, bleibt aber hinter dem Notwendigen zurück“, sagte Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow der Nachrichtenagentur AFP. „Für die Beschäftigten, deren Arbeitgeber schlechte Tarifverträge mit ihnen hörigen Pseudogewerkschaften abschließen, ändert sich wenig bis nichts“, kritisierte sie. „Sinnvoll wäre ein allgemeinverbindlicher Flächentarifvertrag in der Pflege.“

Zudem forderte Hennig-Wellsow einen Gehaltsbonus von 500 Euro im Monat für Pflegebeschäftigte und eine „Pflegevollversicherung, in die alle einzahlen“. Die geplante Deckelung des Eigenanteils reiche nicht aus, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen würden trotz Reform „weiter enorm belastet“.

Ähnliche Kritik äußerte die pflege- und altenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Kordula Schulz-Asche. Sie nannte den Entwurf „halbherzig“. Grundsätzlich sei zwar zu begrüßen, dass es ab 2022 einen jährlichen Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung geben solle, sagte Schulz-Asche zu AFP. Dieser werde aber „nicht reichen, um die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen“.

Rund 600.000 Pflegekräfte nicht nach Tarif bezahlt

Es sei „versäumt worden, die Tariflöhne gesetzlich flächendeckend zu verankern“, kritisierte die Grünen-Abgeordnete. Dass der Entwurf eine Evaluation der Tariflage erst am Ende der nächsten Legislaturperiode vorsehe, sei „eine Unverschämtheit für die Fachkräfte“.

Auch die FDP-Pflegeexpertin Nicole Westig kritisierte die Pläne, ihre Kritik zielte aber in eine andere Richtung. Die Reform führe zu „Eingriffen in die Tarifautonomie“, was der „falsche Weg“ sei, sagte Westig zu AFP. Die Pläne seien ein „Schnellschuss“.

„Besonders kurzsichtig ist der Plan, Kinderlose mit noch höheren Beiträgen zu belasten, denn das wird nicht lange tragen“, sagte Westig. „Wer höhere Pflegelöhne verspricht, muss für eine solide Refinanzierung sorgen“, forderte Westig. „Ein solides Refinanzierungskonzept hat Bundesgesundheitsminister Spahn aber nicht vorgelegt – der Griff in den allgemeinen Bundeshaushalt zeigt dies deutlich.“

Laut Bundesarbeitsministerium werden aktuell rund die Hälfte der 1,2 Millionen Pflegekräfte in Deutschland nicht nach Tarif bezahlt. Ihr Stundenlohn liege im Schnitt zwei Euro unter Tariflöhnen.

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