piwik no script img

„Erster Schritt“stößt auf Kritik

Deutschland erkennt seinen Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia vor über 100 Jahren an. Als Wiedergutmachung bietet es aber keine Reparationen an, sondern 1,1 Milliarden Euro Hilfsgelder über 30 Jahre

Von Dominic Johnson

Die Bundesrepublik Deutschland erkennt erstmals offiziell den Völkermord an, den deutsche Truppen ab 1904 im heutigen Namibia an den Völkern der Herero und Nama begangen hatten, um einen Aufstand gegen die Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika niederzuschlagen – aber in Namibia regt sich Enttäuschung über die Konsequenzen, die Deutschland aus diesem Schritt zieht.

„Wir werden diese Ereignisse jetzt auch offiziell als das bezeichnen, was sie aus heutiger Perspektive waren: ein Völkermord“, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin am Freitag. „Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.“

Man habe nach mehr als fünfjährigen Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia eine „Einigung über den gemeinsamen Umgang mit dem dunkelsten Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte“ erzielt, führt das Auswärtige Amt aus: „Als Geste der Anerkennung des unermesslichen Leids, das den Opfern zugefügt wurde, wollen wir Namibia und die Nachkommen der Opfer mit einem substanziellen Programm in Höhe von 1,1 Milliarden Euro zum Wiederaufbau und zur Entwicklung unterstützen. Bei dessen Gestaltung und der Umsetzung werden die vom Völkermord betroffenen Gemeinschaften eine entscheidende Rolle einnehmen. Rechtliche Ansprüche auf Entschädigung lassen sich daraus nicht ableiten.“

In Namibia sind die Reaktionen zurückhaltend bis ablehnend, von einer endgültigen Einigung ist nicht die Rede. Von einem „ersten Schritt“ sprach Alfredo Hengari, Sprecher von Namibias Präsident Hage Geingob. Der Nachrichtenagentur AFP sagte er am Freitag: „Die Anerkennung vonseiten Deutschlands, dass ein Völkermord begangen wurde, ist der erste Schritt in die richtige Richtung.“ Zwei Tage zuvor hatten ihn lokale Medien mit der Mitteilung zitiert, die „Sache“ sei im Kabinett behandelt worden und „der Präsident wird über die erste Phase des Prozesses Bericht erstatten und mit den betroffenen Gemeinschaften Schritte diskutieren“.

Die betroffenen Gemeinschaften – Namibias Herero und Nama, also die Nachkommen der Völkermordüberlebenden – lehnen das bisherige Verhandlungsergebnis scharf ab und haben bereits Protest im Parlament angekündigt, sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Namibia reisen, um das Abkommen zu unterzeichnen.

„Deutsches Völkermordangebot ‚eine Beleidigung‘‘“ titelte am Freitag Namibias führende unabhängige Tageszeitung Namibian. Laut namibischen Presseberichten sollen die 1,1 Milliarden Euro aus Deutschland über 30 Jahre gestreckt werden und lediglich in bereits bestehende staatliche Entwicklungspläne der namibischen Regierung einfließen. Der deutsche Namibiahistoriker Henning Melber rechnet vor, dass diese Summe in etwa der deutschen Entwicklungshilfe für Namibia in den letzten 30 Jahren entspricht, also einfach das bestehende Unterstützungsniveau fortführt.

Hauptproblem aus Sicht der Herero und Nama ist, dass ihre wichtigsten Führungspersönlichkeiten sich nicht von der namibischen Regierung vertreten sehen und sich von den Verhandlungen mit Deutschland ausgeschlossen fühlen. Das Auswärtige Amt sagt, „Vertreter der Gemeinschaften der Herero und Nama waren auf namibischer Seite in die Verhandlungen eng eingebunden“. Wie Kritiker anmerken, heißt „eingebunden“ allerdings nicht, dass sie auch mit dem Ergebnis „einverstanden“ waren.

Die beiden Dachverbände der traditionellen Herero- und Nama-Führer, die Ovaherero Tra­di­tional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA), lehnten das Verhandlungsergebnis bereits am Mittwoch auf einer Pressekonferenz ab: Es stelle lediglich eine Versöhnung zwischen zwei Regierungen dar, nicht aber mit den betroffenen Gemeinschaften, und beinhalte auch keine Reparationen. „Dies genügt nicht für das Blut unserer Ahnen“, sagte der Paramount Chief der Herero, Vekuii Rukoro. „Wir werden bis zur Hölle gehen und wieder zurück, um zu kämpfen.“

Deutsches Angebot „eine Beleidigung“

Schlagzeile der namibischen Tageszeitung „Namibian“, Freitag

Rukoro war im Jahr 2015 nach Deutschland gereist, um seine Forderung nach Entschädigung offiziell zu präsentieren, war aber nicht offiziell empfangen worden. Die Bundesregierung hat Direktgespräche mit den betroffenen Gemeinschaften immer abgelehnt und gesagt, ihr Verhandlungspartner sei Namibias Regierung. Sie hat auch immer wieder darauf geachtet, dass aus einer Anerkennung des Völkermords keine „Rechtsfolgen“ entstehen, also juristische Ansprüche auf Entschädigung.

Zed Ngavirue, Verhandlungsführer der namibischen Regierung bei den Gesprächen mit Deutschland, wies die Vorwürfe der Herero zurück. Es sei immer klar gewesen, dass Deutschland „nicht in der Lage ist, unsere Verluste wiedergutzumachen“, sagte er: „Die Deutschen haben auf das reagiert, was wir auf den Tisch gelegt haben.“ Präsidentensprecher Hengari sagte, die offizielle Position Namibias bleibe unverändert: „Deutschland muss anerkennen, dass ein Völkermord stattfand, danach muss es eine Entschuldigung geben, und dann Reparationen für die betroffenen Gemeinschaften.“

In Deutschland erklärte die Aktivistenvereinigung Berlin Postkolonial, die sich für die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen einsetzt, die Vereinbarung werde keine Versöhnung stiften, sondern „Frustration und Unfrieden“.

Nach wie vor erkenne Deutschland den Völkermord in Namibia nicht völkerrechtlich – also mit einer Pflicht zur Wiedergutmachung – an. „Vielmehr stellt es seine Leistungen gegenüber Namibia als freiwillige Hilfsaktion dar“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen