piwik no script img

Wenn es dennnach Plan läuft

Bei sinkenden Inzidenzen hofft die Kulturbranche, dass im Sommer zumindest Veranstaltungen unter freiem Himmel möglich sein werden. Einige Klassikfestivals sollen mit Publikum stattfinden

Von Ansgar Warner

Verschoben ist nicht aufgehoben, lauteten die tröstenden Worte im Sommer 2020, als die Kultur bundesweit in den Lockdown ging. Und so richteten sich alle Hoffnungen von Theater-, Kino- oder Konzertgängern auf das Frühjahr 2021.

Die dritte Welle hat aber mit allen Modellprojekten und Öffnungsperspektiven selbst in Vorbildbundesländern wie Schleswig-Holstein oder dem Saarland kurzen Prozess gemacht: Mindestens bis 30. Juni gilt jetzt überall die „Bundesnotbremse“. Hinter den Kulissen darf zwar geprobt werden, Museen basteln an neuen Ausstellungen, auch Filmdrehs finden statt – das Publikum bleibt aber vorerst ausgeschlossen. Zumindest so lange, bis die 7-Tage-Inzidenz stabil unter 100 liegt.

Weil das bundesweit in immer mehr Städten und Kreisen der Fall ist, scharren Kulturschaffende und Ver­an­stal­te­r*in­nen schon mit den Hufen, um den Sommer über wenigstens an der frischen Luft Veranstaltungen und Konzerte durchzuführen. In einigen Bundesländern starteten die Angebote im Kulturbereich sogar schon vor Pfingsten. Und dort, wo die Inzidenz weiter sinkt, könnten Aufführungen unter den gängigen Test- und Hygieneregeln sogar bald auch wieder in Innenräumen von Theatern, Opern und Konzerthäusern stattfinden.

Vielleicht also wird ja wirklich alles noch rechtzeitig gut. Wie in unseren besonders vakzinationsfreudigen Nachbarländern Großbritannien und Frankreich, wo der erste Teil des kulturellen Neustarts bereits im Gang ist: Dort öffnen in der zweiten Maihälfte landesweit Kinos und Theater, unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen und mit begrenzter Platzzahl. Großevents mit mehr als 1.000 Teilnehmern wird es dann in folgenden Öffnungsphasen geben. In Italien verfährt man in allen „gelben“ Zonen in Sachen Kulturleben ganz ähnlich. Wer dort hinreisen möchte, braucht allerdings einen „grünen Pass“, sprich: den Nachweis der vollständigen Covid-19-Impfung.

In besonders impffreudigen Nachbarländern ist der erste Teil des kulturellen Neustarts bereits im Gang

Aber hierzulande bangen, solange die Inzidenz sich nicht auf einem niedrigen Niveau einpendelt, selbst die Be­trei­be­r*in­nen von Freiluftkinos und Open-Air-Arenen noch, die von Konzertsälen ohnehin – zumal die Bundesländer ihre Spielräume unterschiedlich ausnutzen. Je größer das Kulturevent, desto größer die Chance, dass die Veranstaltung frühzeitig abgesagt wird, so die erbarmungslose Faustregel in Pandemiezeiten. Das Veranstalternetzwerk CTS Eventim etwa verkündete schon Mitte März das Aus für Rock- und Popklassiker à la Hurricane, Rock am Ring, das Deichbrand und das Southside. Mittelfristig dürfen wohl nur noch Headbanger hoffen, denn das Schleswig-Holsteiner Wacken Open Air 2021 (29. bis 31. Juli) ist bisher noch in der konkreten Planung. Doch Zehntausende Besucher auf einem Acker, das wäre wahrlich wacker.

So mutig ist nicht mal der DFB, der in der zweiten Junihälfte in der Münchner Arena Fröttmaning vier Spiele der EM 2020 (unter altem Titel verschoben auf 2021) austragen möchte – und vom optimistischen Szenario „Upscale“ mit 27.000 Zuschauern bis zum realistischen „Backup“ (7.000 bis null) auf alles gefasst ist. Sogar darauf, dass die Spiele überhaupt nicht in Deutschland stattfinden.

Die Europameisterschaft gutbürgerlicher E-Kultur wird dagegen auf jeden Fall über die Bühne gehen – die Salzburger Festspiele (17. Juli bis 31. August) haben schon im Coronasommer 2020 gezeigt, was mit einem epidemiologisch soliden Konzept alles geht: Damals waren 75.000 Zuschauer vor Ort, und kein einziger soll sich dort angesteckt haben, brüsten sich die alpenrepublikanischen Organisatoren. Dieses Jahr sind an 46 Tagen satte 168 Aufführungen vorgesehen. Höhepunkt dürfte die verschobene Premiere von Mozarts „Don Giovanni“ sein, in einer Inszenierung von Romeo Castellucci, sowie Puccinis „Tosca“ mit Anna Netrebko. In Deutschland dagegen ist Klassik mittelfristig im Hybridbetrieb.

Die Dresdner Musikfestspiele (14. Mai bis 12. Juni) hat es besonders hart getroffen, ein Großteil der Veranstaltungen wurde abgesagt. Anfang Mai sollte eigentlich auch der Vorverkauf für das Bachfest Leipzig (11. bis 20. Juni) starten, doch die Inzidenzen machten einen Strich durch die Rechnung: Auch die Hotels in Sachsen bleiben vorerst geschlossen. Das Programm rund um Bachs „Messias“ findet darum ohne auswärtige Gäste als Online­stream statt.

Zeit für Solidarität

Der Buchhandlung ihres Vertrauens, ihr Lieblingskino, das Stadttheater oder der Club im Kiez: Für die Kultur sind es schwere Zeiten – zeigen Sie sich solidarisch! Sie können Bücher erwerben, Filme, Aufführungen Konzerte und Talks streamen – und bald wohl auch wieder persönlich Kulturveranstaltungen besuchen. Unter den üblichen Test- und Hygienevorkehrungen, versteht sich. Doch nicht alle werden von der langsamen Öffnung gleichermaßen profitieren können. Darum bleiben Spendenaktionen wichtig. Bis auf Weiteres. 60 Hamburger Bars und Clubs werden etwa vom Hilfsprojekt „Kunst fürs Klo“ unterstützt – und das recht erfolgreich: Bisher konnten 210.000 Euro durch den Verkauf von Fotoprints origineller Klosprüche der beteiligten Locations eingenommen und an sie ausgeschüttet werden.

Wagnerklänge im Hochsommer dagegen haben bessere Chancen. Die Bayreuther Festspiele (25. Juli bis 25. August) werden durchgeführt – anders als im Sommer 2020. Wobei Festspielchefin Katharina Wagner auf viel Freiluft setzen muss, um neben der Neuproduktion des „Fliegenden Holländers“ auch die Wiederaufnahme der „Meistersinger“ und des „Tannhäuser“ vor körperlich anwesenden Zuschauern zu ermöglichen.

Nike Wagner wiederum rockt noch einmal das Beethoven-Festival in Bonn (20. August bis 10. September), wobei ein Großteil der Veranstaltungen aus dem Überhang des gecancelten Programms vom letzten Jahr besteht. Aber auch in der Bundesstadt muss mit flexiblen Notfallplänen und Public Viewing außer Haus gearbeitet werden, um in jeder Lage handlungsfähig zu bleiben.

Eine komplette Wiederaufnahme ist das Berliner Classic Open Air 2021 auf dem Gendarmenmarkt (15. bis 19. Juli). Egal ob es um „Opernzauber unter Sternen“, „Highlights der Klassik“ oder „Sinfonie meines Lebens“ mit Howard Carpendale geht, die Zuschauer dürften zum Großteil aus überlebenden Kartenkäufern des ersten Pandemiesommers bestehen. Wenn denn alles klappt wie geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen