Kampf gegen Antisemitismus: Viele Worte, oft keine Taten

Wie wichtig es ist, Antisemitismus zu bekämpfen, betonen Niedersachsens Minister gern. Im konkreten Fall fällt eine Strafverfolgung aber oft aus.

Ein Davidstern ist am Tor der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R zu sehen.

Lässt sich allein mit Broschüren nicht schützen: Tor der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover Foto: Peter Steffen/dpa

HANNOVER taz | In Niedersachsen wird Antisemitismus vor allem mit Broschüren bekämpft. Diesen Eindruck könnte man jedenfalls bekommen, wenn man einen Blick auf die seltsame Häufung von Pressekonferenzen zum Thema im vergangenen Monat wirft.

Schon am 9. März stellte der Verfassungsschutzchef Bernhard Witthaut zusammen mit Innenminister Boris Pistorius (SPD) die Broschüre „Antisemitismus im Extremismus“ vor. Am 31. März folgte das Justizministerium mit dem Leitfaden „Antisemitismus im Fußball“, der aus einem kleinen Forschungsprojekt der niedersächsischen Gedenkstätten und des Jüdischen Weltkongresses hervorgegangen ist.

Und nur eine Woche später stellte wiederum die Justizministerin Barbara Havliza (CDU) zusammen mit ihrem Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens, Dr. Franz Rainer Enste, dessen ersten Jahresbericht vor. „Zufall“ und ein „Versehen“ sei diese Häufung, versichern die Organisator*innen. Koordiniert war das jedenfalls nicht.

Und das sagt vielleicht schon viel über die potenziell undankbare Rolle Franz Rainer Enstes aus. Als Landesbeauftragter wurde er Ende 2019 offiziell ernannt – kurz nach dem Attentat von Halle. Das war aber ebenfalls Zufall, denn die Entscheidung war lange vorbereitet worden. Nun darf er – ehrenamtlich und unentgeltlich, aber unterstützt von einer kleinen Geschäftsstelle im Justizministerium – überall mitwirbeln und versuchen, die zahlreichen schon länger Aktiven in diesem Feld irgendwie sinnvoll zu vernetzen.

Braunschweig, 15. 11. 20: Journalisten wurden mit „Judenpresse“ und „Judenpack“ beschimpft und mit „Feuer und Benzin“ bedroht. Einschätzung der Staatsanwaltschaft: keine Beleidigung.

Braunschweig, 24. 11. 20: Mahnwache unter dem Motto: „Zionismus stoppen!“ von 19.33 Uhr bis 19.45 Uhr. Staatsanwaltschaft: kein strafrechtlich relevantes Verhalten.

Braunschweig, 19. 12. 20: Gegendemonstrant*innen werden bedroht mit: „Ihr miesen Leute aus Israel. (...) gehört verprügelt, weil er ein Jude war. (...) Ich schlage keine Kinder, ich schlage nur Leute aus Israel.“ Staatsanwaltschaft: Keine Volksverhetzung.

Das wurde – auch von vielen jüdischen Gemeinden und Organisationen – erst einmal mit Skepsis betrachtet. Enste weiß das sehr wohl und scheut sich auch nicht, es anzusprechen. Er zitiert den CDU-Politiker Michel Friedman, der die Antisemitismusbeauftragten als „Placebo, Selbsttäuschung, Alibi“ schmähte – und stürzt sich trotzdem mit Verve in die Aufgabe. Damit habe er sogar ihn überzeugt, sagt der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst.

Auch an anderer Stelle legt Enste seinen Finger in die Wunde. Es hat seinen Grund, dass Justizministerin Havliza gleich mehrfach betont, dass „nicht jede antisemitische Äußerung strafbar“ sei. Denn es hat in den vergangenen Jahren in Niedersachsen eine ganze Reihe von Entscheidungen gegeben, die – nicht nur – bei den jüdischen Gemeinden auf Unverständnis gestoßen sind.

Da ist zum Beispiel die umstrittene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hannover, die Europawahl-Plakate der Partei „Die Rechte“ mit der Aufschrift „Israel ist unser Unglück!“ nicht als Volksverhetzung zu betrachten.

Da ist die Entscheidung des Amtsgerichtes Burgwedel, einen früheren AfD-Funktionär und Allgemeinmediziner, der eine antisemitische Webseite betrieben hat, mit einer Geldstrafe per Strafbefehl zu belegen – statt es auf eine öffentliche Verhandlung ankommen zu lassen.

Und da sind die regelmäßigen offen antisemitischen Ausfälle und Provokationen in Braunschweig, zum Beispiel durch den stellvertretenden Kreisvorsitzenden der Partei „Die Rechte“, Martin Kiese.

Kiese hatte am Rande einer rechten Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am 15. November 2020 Journalisten als „Juden“, „Judenpresse“, „Judenpack“ beschimpft. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig argumentierte aber, sie könne dies nicht verfolgen, weil „Jude“ objektiv betrachtet keine Beleidigung sei.

Am 20. November 2020 rief „Die Rechte“ zu einer Mahnwache gegen den Zionismus auf – von 19.33 bis 19.45 Uhr. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig erkennt darin „keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten“. Die Veranstaltung wurde unabhängig davon abgesagt.

Am 19. Dezember 2020 warf Kiese erneut öffentlich mit antisemitischen, sexistischen und homophoben Beleidigungen um sich, während er vor dem Braunschweiger Bahnhof eine Flagge schwenkte. Beide Auftritte sind nach wie vor auf Twitter zu sehen. Dieses Mal erkannte die Staatsanwaltschaft „objektiv diverse Beleidigungen“, bedauerte aber, niemanden zur Hand zu haben, der davon unmittelbar betroffen war.

Mit Hilfe der Dresdener Rechtsanwältin Kati Lang hat nun einer der betroffenen Journalisten Strafanzeige gestellt – und auch gleich Beschwerde gegen die Einstellung der Verfahren eingelegt. Die liegt nun bei der Generalstaatsanwaltschaft, die sich bisher nicht geäußert hat.

Ex­per­t*in­nen der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Niedersachsen (Rias), die bei der Amadeu-Antonio-Stiftung angesiedelt ist, kritisieren vor allem die „Bagatellisierung von Antisemitismus von Seiten der Justiz“, die sich in diesen wiederholten Verfahrens­einstellungen ausdrücke.

Grenzen des Strafrechts

Franz Rainer Enste, selbst Jurist, lässt ebenfalls durchblicken, dass er sich ein schärferes Vorgehen gewünscht hätte. Er glaubt aber auch, dass es hier ein weitergehendes Problem gibt. „Es gibt eine Strafbarkeitslücke zwischen Beleidigung und Volksverhetzung. Volksverhetzung setzt immer Öffentlichkeit voraus, Beleidigung die Anzeige eines Betroffenen. Vielen Dingen wird man damit nicht Herr – wie zum Beispiel hetzerischen E-Mails oder Kommentaren, die nur eine begrenzte Öffentlichkeit erreichen.“

Da müsse nachgebessert werden, man müsse „die Grenzen der Meinungsfreiheit neu justieren“. Aber, ergänzt er, ganz im Sinne seiner Dienstherrin, der Justizministerin, ließe sich natürlich auch nicht alles mit dem Strafrecht regeln. Es brauche vor allem Bildungsoffensiven auf allen Ebenen und eine neue Wertschätzung jüdischen Lebens.

Mitarbeit: David Speier

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