Impfstoff für arme Länder: Global gegen die Pandemie
Mangelnde internationale Solidarität prägt den Wettkampf um die Impfstoffe. Dem Virus den Garaus zu machen, wird so jedoch nicht funktionieren.
I n der stark abgewandelten Covid-19-Version der Legende von St. Martin behält der römische Soldat Martin den warmen Mantel so lange an, bis ihm nicht mehr kalt ist. Dann erst gibt er die Hälfte, im Zweifel sogar den ganzen Mantel an den frierenden Armen im Schnee ab.
Nach diesem Prinzip strebt man in den USA, in Großbritannien, Deutschland und etlichen anderen Ländern mit privilegiertem Zugang zu Impfstoffen an, zunächst die eigene Bevölkerung „durchzuimpfen“, bevor man den anderen großzügig von seinem Überschuss etwas abgibt. Daneben gibt es noch die Version Russland und China: Da gibt St. Martin zwar gleich ein Stück vom Mantel ab, aber nicht aus Selbstlosigkeit, sondern um sich die Loyalität des armen, frierenden Mannes zu sichern.
Die Art und Weise, wie die Ankunft des chinesischen Impfstoffs Sinovac in afrikanischen Ländern inszeniert wird, spricht für sich. Große Teile der Bevölkerungen wohlhabender Länder werden in absehbarer Zeit eine Impfung erhalten haben – und damit wird aller Erwartung nach auch die Verbreitung des Virus, die Zahl der Infizierten, Schwerkranken und Toten abnehmen.
Angesichts der exorbitanten Bestellungen von Impfdosen, die wohlhabende Länder mit Pharmakonzernen vereinbart haben, ist davon auszugehen, dass sie in naher Zukunft mit Impfstoffen überflutet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch sind die Impfstoffe ein stark umkämpftes Gut. Es gilt die Devise: „First come, first serve.“ Bereits im September 2020 waren 51 Prozent der zum damaligen Zeitpunkt angestrebten Impfstoffmenge von Ländern „reserviert“, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.
Einzelstaatliche Interessenpolitik
Zugleich treibt die extreme Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage die Preise für Impfstoffe in die Höhe. Die mickrigen Impfspenden, die hin und wieder getätigt werden, haben die Bezeichnung „internationale Solidarität“ nicht verdient. Die USA haben zwei Milliarden Impfdosen für sich reserviert, die EU eine Milliarde.
Einzelstaatliche Interessenpolitik statt internationale Solidarität gilt auch dort, wo programmatische Entscheidungen verhindert werden, beispielsweise in der Welthandelsorganisation, in der alle Länder mit starkem Pharmasektor, einschließlich Deutschland, eine Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe blockieren. Nach über einem Jahr Leben und Sterben in einer globalen Pandemie lösen sich die Konturen einer tatsächlich globalen Gesundheitspolitik immer mehr in Luft auf.
Die rasante Verbreitung des Virus, vielerorts kollabierende Gesundheitssysteme und dabei entstehende neuen Virusmutationen – wer würde ernsthaft bestreiten, dass Gesundheit global gedacht werden muss? Und dennoch wirkt die internationale Kooperation so schwach wie nie. Erst vor Kurzem ließ die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlautbaren, die EU werde erst dann wieder über eine Umverteilung von Impfstoffen nachdenken, wenn es eine bessere Produktionslage in Europa gebe.
Sie sei froh, dass über internationale Kooperation bereits 41 Millionen Impfdosen an 52 Länder außerhalb der EU geliefert worden seien. Die dramatischen Ungleichheiten, die sich im Verteilungskampf um die Impfstoffe offenbaren, verdeutlichen, wie globale Lösungen von einem gesundheitspolitischen Inseldenken verdrängt werden. Diese ernüchternde Entwicklung konterkariert die jahrzehntelangen Bemühungen vieler Länder, die globale Ungleichheit im Zugang zu Gesundheitssystemen zu reduzieren.
Aussetzen der Pharma-Patente
Wann immer das Gespräch auf die mangelnde globale Impfsolidarität kommt, heißt es: „Aber wir haben doch Covax …!“ Covax, eine Kooperation der Weltgesundheitsorganisation, der globalen Impf-Allianz Gavi und der Forschungsplattform Cepi, verkörpert im Moment die wichtigste internationale Anstrengung, der nationalistischen Interessenpolitik des globalen Nordens etwas entgegenzusetzen.
ist Professorin für Politologie mit dem Schwerpunkt Internationale Politik an der TU Dresden. Außerdem leitet sie die Forschungsgruppe Governance for Global Health am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Aktuell forscht sie unter anderem zur Beteiligung von Jugendlichen an der globalen Politik.
Die Idee hinter Covax ist, dass staatliche und private Geldgeber in einen Fonds einzahlen, der dann dank seiner gebündelten Marktmacht bessere Konditionen erzielen kann, sprich: Impfstoffe günstiger erwerben und damit auch für sehr schwache Gesundheitssysteme zur Verfügung stellen kann. Doch Covax hat nicht die gerechte, sondern lediglich eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen zum Ziel. Der Komparativ macht hier den entscheidenden Unterschied.
Das Ziel von Covax, bis Ende 2021 weltweit das medizinische Personal und besonders vulnerable Gruppen geimpft zu haben, wird angesichts fehlender Impfstoffe aller Voraussicht nach utopisch bleiben. Die People’s Vaccine Alliance schätzt, dass in 70 Ländern mit niedrigem Einkommen über Covax im besten Fall nur jede zehnte Person geimpft werden könnte. Ist es also überhaupt angebracht, die Covax-Partnerschaft mit den Begriffen „fair“ und „gerecht“ in Verbindung zu bringen?
Winziger Krümel von riesigem Kuchen
Am 27. Februar 2021, zweieinhalb Monate nach der Zulassung des Impfstoffs von Biontech in den USA, wurden die ersten 600.000 Impfdosen über die globale Partnerschaft Covax nach Ghana geliefert. Allein die Tatsache, dass überhaupt etwas bei den ärmeren und ärmsten Ländern der Welt ankommt, wurde als Erfolg gefeiert.
Tatsächlich ist das nur ein winziger Krümel aus dem riesigen Kuchen. Ginge es um die systematische Stärkung der Gesundheitssysteme, würden Technologietransfer und temporärer Verzicht auf den Patentschutz an erster Stelle stehen.
Würden wir vom Gedanken international verbindlicher Menschenrechte ausgehen, wäre der Fokus auf internationale Solidarität, Gerechtigkeit und die Pflicht zur Kooperation wesentlich stärker. Stattdessen legen die gegenwärtigen internationalen Instrumente eine traditionelle karitative Philosophie bloß, die auf moralische Verpflichtung und Wohltätigkeit abstellt, anstatt den menschenrechtlichen Anspruch ärmerer Länder auf Unterstützung zu stärken.
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