„Unerklärliche Bilder“

In Kassel überrannten „Querdenker“ erneut die Polizei. Nun fordert man auch dort einen strikteren Umgang mit den Protestlern. Die Bewegung sei „demokratiefeindlich“

Die Kritik am Polizeieinsatz bei der Coronademo in Kassel ist groß Foto: Björn Kietzmann

Von Konrad Litschko

Armin Bohnert ist noch immer konsterniert. „Ich kann mir diese Bilder weiter nicht erklären“, sagt einer der Vorsitzenden von PolizeiGrün, einem Verein kritischer Polizist:innen. „Dass Marschierende, die nicht marschieren dürfen und die fast kollektiv den Infektionsschutz ignorieren, mit dieser Wucht die Straße freigeräumt bekommen, ist nicht zu verstehen. Und die Querdenker fühlen sich bestätigt, weil der Staat die Regeln nicht durchgesetzt hat.“

Bohnert spricht über den Polizeieinsatz am Samstag in Kassel. Rund 20.000 Corona-Protestierer hatten dort eigenmächtig Demonstrationszüge durchgesetzt, obwohl ihnen Gerichte nur zwei Kundgebungen mit höchstens 6.000 Teil­neh­me­r:in­nen erlaubten. Beamte wurden überrannt, es kam zu Handgemengen. Dennoch kursierte das Foto einer Polizistin, die in Richtung der „Querdenker“ eine Herzgeste formte. Gegendemonstrierende drängte die Polizei derweil rabiat von der Straße, als diese sich an Blockaden mit Fahrrädern versuchten.

Auch am Montag verhallte die Kritik an der Polizei nicht. Die hessische SPD sprach von einem „absolut unverständlichen Zurückweichen des Staates“, die Linke von „unfassbaren Fehleinschätzungen“ der Polizei. Und auch in den Reihen der Polizei wird nun diskutiert: Wie weiter umgehen mit den „Querdenkern“ – die ja nicht zum ersten Mal machten, was sie wollen?

Zu wenig Kommunikation

Auch für PolizeiGrün-Chef Bohnert war das Auftreten der „Querdenker“ absehbar. Man hätte daher probieren können, die Anreisenden besser zu steuern und bereits deren Losmarschieren zu verhindern. „Wobei das bei 20.000 Menschen zugegeben wahnsinnig schwierig ist.“ Sympathiegesten für die Protestierer gingen jedenfalls „bei diesem Thema gar nicht“. Und statt Gegendemonstrant:innen wegzuzerren und wegzuschlagen, hätte man hier auf Kommunikation setzen müssen.

Auch auf dem Blog Grundgesetzultras wurde am Montag ein Polizist zitiert, der eine „chaotische“ Einsatzplanung beklagte. Es habe zu wenige Beamte gegeben, auch sollten er und andere erst einschreiten, als die Lage schon „gekippt“ war. „Schadensbegrenzung war das Einzige, was wir noch betreiben konnten.“

Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der größten Polizeivertretung, ist ebenso unzufrieden. „Die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit und das Einschreiten zur Einhaltung des Infektionsschutzes müssen von ausreichenden Einsatzkräfte gewährleistet werden“, betont er. Und findet ebenso, dass es Solidarisierungen mit den „Querdenkern“ „für Polizisten nicht geben kann“. „Das ist eine demokratiefeindliche Bewegung.“

Die Polizei sei aber eine „lernende Organisation“, sagt Radek. Und er betont auch, dass die Beamten an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden seien und stets die Folgen einer Versammlungsauflösung prüfen müssten – „auch wenn eine Entscheidung am Ende in der Öffentlichkeit ein problematisches Bild wirft“.

Für Radek bleibt der Kassel-Aufzug „eine erneute, bittere Erfahrung“. „Den Querdenkern geht es nicht um eine demokratische Meinungsäußerung, sondern darum, den Staat zu provozieren. Das Friedliebende ist nur vorgetäuscht.“ Radek sieht nun vor allem die Gerichte in der Verantwortung, die die Proteste kritischer prüfen müssten. Die Anmelder:innen hätten „wiederholt Unzuverlässigkeiten offengelegt“, darunter Übergriffe auf Gegendemonstrant:innen und Polizeikräfte. „Die Anmelder wollen nicht deeskalieren und ihnen ist der Infektionsschutz egal. So riskieren sie auch die Gesundheit der Bevölkerung. Das muss Folgen haben.“

Polizei Kassel wehrt sich

Auch die Polizei Kassel hatte erklärt, dass „Zwangsmittel zu einer nicht unerheblichen Anzahl Verletzten auf allen Seiten geführt hätte“. Auch seien die meisten Demonstrierenden „aus dem bürgerlichen Lager“ gekommen und hätten „eher keine erkennbare Tendenz zu gewalttätigen Aktionen“ gezeigt. Daher habe man sich gegen eine Auflösung entschieden.

PolizeiGrün-Chef Bohnert dagegen fordert: „Wir müssen endlich ernst nehmen, dass die Querdenken-Demonstranten nicht nur bürgerlich und harmlos sind, sondern rabiat ihr Ding durchziehen. Dass sie mit dem Ignorieren des Infektionsschutzes ein Risiko für die Gesellschaft darstellen.“ Es brauche daher mehr Konsequenz: „Der Staat und die Polizei müssen hier klar zeigen, wo es Grenzen gibt. Und wenn es ein Versammlungsverbot gibt, muss das auch konsequent durchgesetzt werden.“