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Einsamleben

Ein Jahr Corona heißt auch: ein Leben in ständiger sozialer Distanz. Kein Sport im Verein, keine Nächte im Club. Kein wirklich öffentliches Leben. Man ist der Sache längst müde. Aber vielleicht eröffnet die Pandemie die Möglichkeit, Stadt mal ganz anders zu denken

Von Andreas Hartmann

Restaurants zu, Cafés dicht, Museen, Kinos, und wann in den Clubs wieder getanzt werden darf, das weiß kein Mensch. Die Mutanten machen genaue Planungen bei Öffnungsstrategien unmöglich. Hoffentlich werden die Schnelltests zum Gamechanger und die Impfungen wirklich bald nicht mehr bloß im Zeitlupentempo vorangehen. Und das möglichst, bevor irgendjemand vor einer weiteren Welle warnen muss.

Sicher ist nur, dass die Leute nach einem Jahr Corona schlicht pandemiemüde sind. Vergangenes Wochenende war das sogar empirisch messbar, als sich bei den ersten Anzeichen von Frühling Menschenmassen durch die Parks drängelten. Endlich mal wieder etwas anderes als das ewige Homeoffice. Endlich wieder ein Gefühl von Freiheit nach all den harten Monaten im Coronakerker. Und immer dringlicher werden Fragen gestellt: Werden die Sportvereine bald wieder öffnen dürfen? Und die Kneipen?

Oder wird man seitens der Politik vorsichtshalber erst einmal weiter empfohlen bekommen, lieber daheim Liegestütze zu machen und dort sein Bier gegen den Iso­lationsblues zu trinken? Nach dem Motto: So schwer wird das ja wohl nicht sein können, noch ein bisschen länger auf alle Formen von gemeinschaftlichem Vergnügen zu verzichten.

Wenn es nach der Soziologin Talja Blokland geht, die das Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung an der Berliner Humboldt-Universität leitet, sollte zumindest nicht so getan werden, als gebe es Bereiche des öffentlichen Lebens, die allein für den Spaß zuständig sind und die deswegen guten Gewissens eher mal dichtgemacht werden könnten als andere. Sie leitet die Studie „Städtisches ­Leben während Corona“. Für diese wurden Berliner und Berlinerinnen befragt, wie sie während Corona ihren Alltag strukturiert haben. Wie sie die eingeschränkte Infrastruktur der Stadt weiter genutzt und sich in der Nachbarschaft ausgeholfen haben und was sie am meisten während der Lockdowns vermisst haben.

Zu letztgenanntem Punkt lässt sich nach einem vorläufigen Fazit der Studie schon einmal sagen: Am allermeisten wurde den Stadion­besuchen der Spiele von Union Berlin hinterhergetrauert. Und nicht etwa denen von Hertha. Gut, eher ein Fun Fact, könnte man meinen. Blokland hat aber herausgefunden, dass Unioner viel stärker die Begegnungen mit anderen im Stadion vermissen als Herthaner. Dürfte also aus irgendwelchen Gründen vorerst nur ein großes Stadion in Berlin wieder öffnen, müsste eine Empfehlung an die Politik lauten: Alte Försterei kommt vor dem Olympiastadion.

Zur Organisation von Nachbarschaftshilfen weiß auch Heidi Graf etwas zu sagen, Projektleiterin der Freiwilligenagentur Pankow, die ­unter anderem ehrenamtliche Corona­nachbarschaftshilfen im Bezirk koordiniert. „Es gibt nach wie vor eine unglaubliche Welle von Bereitschaft“, sagt sie, „aber natürlich sind Möglichkeiten, sich zu engagieren, weiterhin begrenzt, weil es überall Kontaktbeschränkungen gibt. Besuchsdienste im Seniorenheim beispielsweise finden nicht statt.“ Letztlich gebe es aber weit mehr Angebote von Freiwilligen, anderen zu helfen, als Bedarf daran. „Für uns ist das ein Beleg dafür“, so Graf, „dass die Nachbarschaftshilfe auch ohne uns funktio­niert. Sprich: dass sich in den Häusern Initiativen gebildet haben oder die Familien und Freunde bei Bedarf einspringen.“

Aber nochmal zurück zu Talja Blok­lands Corona-in-Berlin-Studie: Auf den Plätzen folgen dort bei den „Ich habe Sehnsucht nach“-Aufzählungen die Betätigung in den Sportvereinen und Kneipenbesuche. Und das nur nebenbei: „Einkaufen in Shoppingmalls wurde gar nicht mal so großartig vermisst“, so Blokland. Die Leute würden sich am stärksten nach Besuchen von Orten ­sehnen, die ihnen beiläufige Kontakte mit anderen ermöglichen, sagt sie. „Für unser Alltagserlebnis von Zusammenhalt, von Gesellschaft, von Zugehörigkeit gehören auch fluide Begegnungen dazu. Also nicht nur die mit Leuten, von denen ich sagen kann, dass ich sie richtig gut kenne. Die Ermöglichung dieser fluiden Begegnungen ist also auch wichtig.“

Lockdownmaßnahmen treffen Menschen mit einer prekären Lebens- und Wohnsituation härter als andere. Bloklands Studie zeigt, dass das auch daran liegt, dass die Kneipen, Clubs und Cafés während der Lockdowns geschlossen haben. Menschen, die in beengten Wohnverhältnissen leben, hätten, so die Soziologin, vor Corona Strategien entwickelt, mit dieser Situation umzugehen. Sie gingen beispielsweise öfter in ein Café oder eine Bücherei, wenn sie mal in Ruhe etwas lesen wollten. Oder sie trafen sich in der Kneipe, um mit der Freundin reden können, ohne dass die ganze Familie zuhört. „Die städtische Infrastruktur wird von Leuten mit wenig Wohnraum stärker gebraucht als von anderen. Oft sind das Leute mit Migrationshintergrund, da es Rassismus auf dem Wohnungsmarkt gibt. Und es sind solche mit wenig Einkommen, da die großen Wohnungen teuer sind.“

Wer also auf diese infrastrukturellen Ausweichmöglichkeiten stark angewiesen ist, leidet unter dem Lockdown stärker als Menschen, die genügend Platz in ihren eigenen vier Wänden haben, um es sich dort gemütlich zu machen. Die Bedrängten seien, so Blokland, auch stärker gefährdet, wegen Corona depressiv zu werden.

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