Die Wahrheit: Meine babylonische Muttersprache

Am 21. Februar war der „Internationale Tag der Muttersprache“. Welche ist das eigentlich bei mehrsprachigen Menschen?

Am vorigen Sonntag war der 21. Februar und ich feierte mal wieder den „Internationalen Tag der Muttersprache“. Das ist, neben dem „Internationalen Tag des Jazz“ am 30. April, mein Lieblings-Unesco-Gedenktag.

Jazz ist mir eigentlich wurscht, aber es gibt leider keinen „Internationalen Tag des Nischen-Country“. Man nimmt, was man kriegt. Zurück zur Muttersprache. Die heißt so, weil in traditionellen Gesellschaften, in denen die Frauen die Kinder aufziehen, der Nachwuchs seine erste Sprache angeblich ausschließlich von der Mutter lernt.

Mit traditionellen Gesellschaften sind, so vermute ich, nicht nur Saudi-Arabien, Myanmar und Uganda gemeint, sondern auch der Prenzlauer Berg in Berlin, weil dort Mutti nach der Geburt ja auch erst mal zu Hause bleibt, weil Vati in der Agentur mehr verdient, und „da wäre es doch Quatsch, wenn wir grade jetzt auf die 400 Euro verzichten würden“. Also lernt das Kind dort als erstes Schwäbisch. Sorry, der Witz war unvermeidbar.

Aber nicht nur im hauptstädtischen Prenzlauer Berg, sondern überhaupt ist das alles gar nicht so eindeutig. Ich kenne ein syrisch-algerisches Paar, bei dem das Kind mit der Mutter französisch und dem Vater arabisch und in der Kindergruppe deutsch spricht. Darauf, was dieses Kind später mal als seine „Muttersprache“ bezeichnet, freue ich mich jetzt schon.

Helicopter oder Hubschrauber?

Bei mir war es übrigens ähnlich. Im Kindergarten diskutierte ich täglich mit meinen Mitgefangenen darüber, ob das Ding mit den Flügeln auf dem Dach nun ein „Helicopter“ oder ein „Hubschrauber“ sei, ob wir unsere Bildchen mit „Sellotape“ oder „Tesa“ an die Wand klebten oder ob es zum Nachtisch ein Stück „Battich“ oder Wassermelone gab. Bei uns zu Hause war nämlich bisher in heiterem babylonischen Durcheinander englisch, deutsch und arabisch gesprochen worden.

Einmal siegte bei mir jedoch auch die Mutter-Muttersprache: An meinem ersten Morgen im Kindergarten, als mir die „Tante“ die Räume zeigte. Ich hatte damals aus Gründen noch einen arabischen Vornamen, und die Kindergärtnerin ging davon aus, dass ich wohl schlecht deutsch spräche.

„Hier im Schlafraum“, sagte sie langsam, „machen alle Kinder einen Mittagsschlaf.“ Sie hielt eine Wolldecke hoch „Und damit decken wir uns zu. Wie heißt das denn in deiner Sprache?“ Ich dachte nach und sagte: „Koldr!“ Die Kindergärtnerin versuchte mir das vermeintlich arabische Wort nachzusprechen. Bis auf das angerollte „r“ bekam sie es gut hin.

Jahre später verstand ich, was da passiert war. Und stellte mir vor, wie die arme Frau irgendwann im Urlaub in Kairo nachts an einer Hotelrezeption um eine zusätzliche Wolldecke bittet, und dabei stolz das arabische Wort „Koldr“ benutzt. Und der Rezeptionist sie verwirrt anstarrt. Weil „Koldr“ selbstverständlich nicht Arabisch ist. Sondern Oberhessisch. Um genau zu sein: „Croafelder Platt“, die Sprache, die meine Mutter in ihrem Heimatdorf Crainfeld gelernt hatte.

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Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)

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kari

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