Theaterfilm über queere Lebensentwürfe: Ganz normal Familie

Marina Prados und Paula Knüpling wollen mehr queere Stories, die von queeren Menschen erzählt werden. Ihr Film „Family of the Year“ ist jetzt im Netz.

Ein Szenenfoto aus dem Film "Family of the Year" zeigt zwei junge Frauen, einen älteren Herren und ein zehnjähriges Kind in einem Garten stehend

Szenenfoto aus „Family of the Year“: Filmfiguren Paula, Opa Volker, Anja und Celine (von links) Foto: Promo

BERLIN taz | Alles beginnt mit einem Familienfoto draußen auf einer Gartenbank. Es dauert ein Weilchen, bis sich die neun Leute verschiedener Generationen versammelt haben – und Schnitt: Jetzt werden die einzelnen Prot­ago­nis­t:in­nen vorgestellt. Die zehnjährige Anja macht einen Film über ihre Familie und wir alle können ihr am Samstagabend dabei zuschauen. Er trägt den schönen Titel „Family of the Year“.

Mit dabei ist Celine, die in die Kamera sagt, dass sie Anjas Mutter ist und noch ein Kind bekommen hat, das Baby auf ihrem Arm. Dann ist Paula an der Reihe. „Ich bin deine Tante“, sagt sie zu Anja, weil sie die Schwester von Celine ist. Und dann ist Marina dran, die Frau von Paula: „Ich komme aus Barcelona“, erzählt sie und auch, dass die beiden Frauen zusammen mit Ronald eine Familie gegründet haben – sie bekommen ein Kind. Paula ist schwanger, man kann ihren Babybauch deutlich sehen.

Vom Bühnenstück zum Film Eigentlich sollte „Family of the Year“ ein Theaterstück um queere Lebensentwürfe werden, das im Ballhaus Ost schon im April 2020 Premiere haben sollte. Doch diese wurde eineinhalb Wochen zuvor abgesagt. Nun ist pandemiebedingt daraus eine Mischung aus Film und Theater geworden, eben ein Theaterfilm. Das Regieduo Marina Prados und Paula Lnüpling nennt seinen Film zwischen Dokumentation und Fiktion gut neudeutsch eine Mockumentary.

Stream „Family of the Year“ (auf Deutsch mit englischen Untertiteln) ist am Samstag ab 20 Uhr auf www.ballhausost.de zu sehen - kostenlos, Spenden sind erwünscht. Im Anschluss gibt es eine Gesprächsrunde unter anderem mit den beiden Regisseurinnen. Der Film soll auf mehreren Festivals laufen (wenn sie denn stattfinden). Perspektivisch soll er über einen Kunstfilmverleih abrufbar sein, Informationen dazu finden sich demnächst auf der Homepage der Künstlerinnen: www.cmdc-company.com/de. (heg)

Dann kommen nacheinander die anderen Familienmitglieder vor die Kamera – doch eine Person fehlt: Anjas Oma. Sie heißt Friederike und ist verschwunden, spur- und grundlos, wie es scheint. Eine mysteriöse Sache.

Die Spurensuche beginnt mit einem Abschiedsbrief. Doch es ist eher ein kleines geheimnisvolles Gedicht, das mit „Es werde die Wahrheit“ endet.

Ur-Ur-Urenkelin von Hirschfeld?

Also suchen alle die Wahrheit. Anja befragt die Familienmitglieder, es gibt Ausschnitte aus alten Familienfilmen mit Friederike, und langsam treten (anfangs merkwürdig anmutende) Informationen zutage. Da will zum Beispiel Celine die Ur-Ur-Urenkelin von Magnus Hirschfeld sein – oder fehlt da noch ein „Ur“? Und es kommen echte Geheimnisse ans Licht, der Papst (!?) ist auf einmal mit im Spiel, es wird förmlich nach der Wahrheit gegraben.

Die Rollen von Paula und Marina haben Paula Knüpling und Marina Prados – das Regieduo – selbst übernommen. Ihr einstündiger Film, im letzten August entstanden, nimmt das Verschwinden einer zentralen Figur in einem Familiengefüge zum Anlass, Lebensentwürfe und -modelle zu hinterfragen. Der Film macht Spaß, hat überraschende Momente, ist tiefgründig und witzig und kommt dankenswerterweise ohne theoretischen Überbau à la Judith Butler aus.

„Wir kommen vom Theater, dem Schauspiel“, sagt Marina Prados am Telefon, „und haben irgendwann entschieden, dass wir unsere eigenen Geschichten machen wollen.“ Deshalb hat das Paar die Produktionsfirma cmd+c gegründet.

Paula Knüpling ergänzt: „Wir wollten schon immer einen Film machen. Und weil wir im April schon kurz vor der Premiere unseres Stückes standen, war schon viel davon erarbeitet, das wir mit in den Film nehmen konnten. Wir haben wenig Tapes gemacht, haben sehr viel improvisiert.“ Die Darsteller im Film hätten übrigens auch das Theaterstück gespielt. Gedreht wurde im Schrebergarten der Eltern von Paula Knüpling, einem „tollen, irgendwie entrückten Ort“.

Im Dreh wie auch im wahren Leben

Wie fiktional, wie dokumentarisch ist der Streifen? Schließlich spielen die beiden Frauen ja sich selbst. Im Film ist die Figur Paula schwanger. War das Paula Knüpling zum Dreh auch im wahren Leben?

„Genau damit wollten wir spielen“, antwortet Paula Knüpling auf die Frage. „Wir beide sind ja auch tatsächlich wie im Film verheiratet.“ Marina Prados verrät, dass das im Film „ein falscher Babybauch“ war. „Auch wir beide wollen ein Kind haben, aber Corona hat alles durcheinandergebracht. Noch sind wir beide alleine.“

Die beiden Filmfiguren Friederike, die Verschwundene, und ihr Ehemann Marcel sind auch im wahren Leben „meine biologische Eltern – alle anderen aber sind mehr oder weniger Darsteller“, sagt Paula Knüpling. „Aber Ronald zum Beispiel lebt auch in echt in einer queeren Familie, also in einem Konstrukt, wie wir es darstellen, aber eben mit anderen Menschen. Und die Themen, die im Film aufkommen, sind unsere Themen.“

Queere Lebensentwürfe also. Mit ihrer Produktionsfirma cmd+c verfolgen die Künstlerinnen einen ganz eigenen Ansatz. In vielen Serien im Fernsehen und noch mehr bei den Strea­mingdiensten gehört es längst zum guten Ton, wenigstens eine queere Figur im Cast zu haben.

Präsenz von Queerness in Serien

„Genau da setzen wir an“, sagt Paula Knüpling. „Wir haben uns den queeren Themen verschrieben, weil die wachsende Präsenz von Queerness in Serien einerseits natürlich super ist. Andererseits sind die Personen, die diese Geschichten erzählen, also die Regisseur:innen, die Produzenten etc. selbst oft nicht queer. Dadurch entsteht dieser Bruch, die oft stereotype Darstellung der queeren Community.“

Die beiden wollen es anders machen: „Die Leute in unserer Produktion sind selbst queer und wir als Macherinnen auch“, bringt es Paula Knüpling auf den Punkt. Marina Prados sagt das so: „Die Ge­schich­ten­er­zäh­le­r:in­nen müssen queer werden.“

Dass das funktioniert, lässt sich in „Family of the Year“ begutachten. Und auch das: Queersein ist nicht abendfüllend. „Uns ist auch wichtig“, sagt Paula Knüpling, „dass der erzählte Charakter eben nicht nur queer ist, sondern auch andere Charakterzüge haben kann.“

Würden die beiden eigentlich für den RBB oder einen anderen Sender mal eine queere Serie entwickeln, schreiben und drehen wollen? „Total gerne“, sagt Paula Knüpling. „Wir wollen uns ja weiter in Richtung Film entwickeln, da mehr Fuß fassen. Das ist genau das Ziel: dort zu arbeiten, wo queere Geschichten bisher von nicht queeren Ge­schich­ten­er­zäh­le­r:in­nen entstehen.“

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