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Coronaregeln:Wieder eine Kakophonie

In allen Bundesländern gelten seit Montag verschärfte Verhaltensregeln. Sie sollen helfen, die Pandemie einzudämmen. Was gilt nun wo? Der Versuch einer Übersicht und Einordnung

Von Pascal Beucker

Auf welche Kontaktbeschränkungen haben sich Bund und Länder ursprünglich geeinigt?

Am 5. Januar vereinbarten die Ministerpräsident:innen mit der Bundeskanzlerin: „In Erweiterung der bisherigen Beschlüsse werden private Zusammenkünfte im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstandes und mit maximal einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person gestattet.“ So steht es in ihrem Beschluss.

Gibt es Ausnahmen?

Mit dem Beschluss des Bund-Länder-Gipfels gelten nun allerdings keineswegs überall die gleichen Regeln. So beantworten die Länder in ihren Verordnungen die Frage unterschiedlich, inwiefern in die Regel auch Kinder einbezogen werden. Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und das Saarland sehen für Kinder keine Ausnahmen vor. In Bayern werden hingegen Kinder bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres nicht mitgezählt, in Rheinland-Pfalz bis 6 Jahre, in Baden-Württemberg und Brandenburg sind sogar noch 14-Jährige ausgenommen.

In Bremen liegt die Grenze bei 12 Jahren, wobei sich bis zu diesem Alter Gruppen von Kindern ohne Mengenbeschränkung treffen dürfen. In Mecklenburg-Vorpommern werden ebenfalls Kids nicht mitgezählt, wenn sie 12 Jahre oder jünger sind – aber nur dann, „wenn dies aus Gründen der Betreuung des Kindes erforderlich ist“. In Berlin werden ausschließlich die bis 12-Jährigen von Alleinerziehenden nicht mitgerechnet.

Was ist mit der Betreuung von Kindern?

Ebenfalls keine einheitliche Lösung haben die Bundesländer für die Vereinbarkeit der Ein-Hausstand-plus-eine-Person-Regel mit den Notwendigkeiten der Kinderbetreuung. So erlauben Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder das Saarland die wechselseitige „unentgeltliche, nicht geschäftsmäßige Beaufsichtigung“ von Kindern unter 14 Jahren „in festen, familiär oder nachbarschaftlich organisierten Betreuungsgemeinschaften“ – und zwar unter der Voraussetzung, dass sie „Kinder aus höchstens zwei Hausständen umfasst“. Bis zu drei Familien darf eine solche Betreuungsgemeinschaft in Hessen umfassen, „wenn die sozialen Kontakte im Übrigen nach Möglichkeit reduziert werden“. In Mecklenburg-Vorpommern werden Kids nicht mitgezählt, wenn sie 12 Jahre oder jünger sind und „wenn dies aus Gründen der Betreuung des Kindes erforderlich ist“.

In etlichen Landesverordnungen finden sich erst gar keine Festlegungen zu der Größe von Betreuungsgemeinschaften, ja nicht einmal der Begriff taucht auf. Aber dafür gilt in Niedersachsen immerhin die generelle Kontaktbeschränkung nicht beim Bringen und Abholen von Kindern und Jugendlichen zu und von Kitas oder Schulen.

Wo gelten die Kontaktbeschränkungen?

In Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz beschränkt sich die verordnete Kontaktbegrenzung nur auf öffentliche Orte. Das Saarland und Thüringen verzichten auf eine Differenzierung, während Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Bremen explizit Privaträume mit einbeziehen. Wobei Hamburg auch ausdrücklich Fahrzeuge mit einschließt, wenn sie „zum Zwecke der Freizeitgestaltung“ genutzt werden.

Gibt es noch weitere Probleme bei den neuen Kontaktbeschränkungen?

Der Bund-Länder-Beschluss enthält einen logischen Widerspruch: Dem Wortlaut nach könnte sich zwar ein Paar mit einem Bekannten treffen, aber der Bekannte nicht mit dem Paar. Denn sonst käme er ja mit zwei Personen aus einem anderen Hausstand zusammen. Was nicht erlaubt wäre. Erstaunlich ist, dass einzig Niedersachsen dieses Problem erkannt zu haben scheint. Das Land erlaubt deswegen in seiner aktuellen Coronaverordnung als einziges einer Einzelperson, sich „mit mehreren Personen aus einem gemeinsamen Hausstand“ aufzuhalten.

Welche Einschränkungen des Bewegungsradius gibt es?

Die Län­der­regierungs­chef:in­nen haben beschlossen, dass die Länder in Landkreisen mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Ein­woh­ner:in­nen „weitere lokale Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz ergreifen, insbesondere zur Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort“.

Wie wird diese Entscheidung umgesetzt?

Auch bei den Bewegungsbeschränkungen haben es die Landesregierungen nicht vermocht, sich in der Praxis auf eine gemeinsame Linie zu verständigen. In den Verordnungen der meisten Länder steht zwar nun der eingeschränkte Bewegungsradius für den Fall einer hohen 7-Tage-Inzidenz.

In Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen jedoch nicht. Wobei sich in NRW vier Hotspotkreise am Montag trotzdem dafür entschieden. In Bayern und im Saarland sind den Einwohner:innen der betreffenden Landkreise oder kreisfreien Städte nur touristische Tagesausflüge untersagt.

Und in Thüringen sind die Bür­ger:in­nen nicht verpflichtet, sondern bloß „angehalten“, sich innerhalb einer Entfernung von nicht mehr als 15 Kilometer vom Wohnort zu bewegen. Sie müssen sich also nicht daran halten. Wer also von Erfurt aus einen Ausflug nach Leipzig machen will, kann das machen. Umgekehrt ist das hingegen nicht erlaubt.

Warum dieses Chaos?

Hinter den diversen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern könnte eine divergierende „Philosophie“ stehen: Geht es um die praktische Umsetzbarkeit einer Anordnung oder ist sie weitgehend nur symbolisch zu verstehen?

Die Coronaverordnungen leiden darunter, dass mit ihnen – mal mehr, mal weniger – ein Spagat versucht wird: Sie sollen einerseits eine juristische Grundlage für staatliches Handeln geben, aber andererseits auch einen propagandistisch-aufklärerischen Zweck erfüllen. Und das im vollen Bewusstsein, dass die Nichteinhaltung bestimmter Anordnungen kein staatliches Handeln zur Konsequenz haben wird.

Die Bürger:innen sollen so zu einem besonnenen Verhalten in der Pandemie animiert werden, zu dem sie ohne die Drohung möglicherweise nicht bereit wären. Das hat zur Folge, dass manche Regeln tatsächlich als verbindlich zu verstehen sind, andere wiederum eigentlich nur als bloße Appelle.

Gilt das auch für andere Regelungen?

Eklatantes Beispiel dafür sind die Ausgangsbeschränkungen in mehreren Bundesländern, unter anderem in Bayern oder Baden-Württemberg. Auch in Berlin gibt es eine entsprechende Regel. „Das Verlassen der eigenen Wohnung oder gewöhnlichen Unterkunft ist nur aus triftigen Gründen zulässig“, heißt es seit dem 10. Dezember in der dortigen Landesverordnung.

Der Großteil der Berliner:innen dürfte davon jedoch erst erfahren haben, als Justizsenator Dirk Behrendt Anfang des Monats die Aufhebung dieser „härtesten Grundrechtseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik“ forderte, weil sie „juristisch zweifelhaft und für die Pandemiebekämpfung überflüssig“ sei. Durchsetzen konnte der Grüne sich nicht. Die Ausgangsbeschränkung steht auch in der aktuellen Berliner Coronaverordnung.

Praktische Konsequenzen hat das nicht: Der von Behrendt zu Recht kritisierte massive Grundrechtseingriff steht nur auf dem Papier. Niemand kontrolliert die Einhaltung. Der einfache Grund: die zahlreichen „triftigen Gründe“, wegen denen man dann die Wohnung doch verlassen darf – bis hin zur „Bewegung im Freien“. Die verordnete Ausgangsbeschränkung hat also real nur akklamatorischen Charakter.

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