Unpolitisch auf einen Juden einschlagen

Im Oktober attackierte ein Mann einen Juden vor der Synagoge in Hamburg, verletzte ihn schwer. Laut Staatsanwaltschaft wegen psychischer Probleme, nicht mit politischem Motiv

Die Synagoge Hohe Weide in Hamburg am Tag nach dem Anschlag Foto: Chris Emil Janßen/imago

Aus Hamburg André Zuschlag

Der Anschlag auf einen Juden vor der Hamburger Synagoge Hohe Weide im vorigen Oktober habe kein antisemitisches Motiv. Zu diesem Ergebnis kam die Hamburger Staatsanwaltschaft. Ein 29-Jähriger hatte vor der Synagoge einen 26-jährigen Studenten, der eine Kippa trug, angegriffen und schwer am Kopf verletzt. „Es gibt keine Hinweise auf ein politisches Motiv“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Stattdessen liege das Tatmotiv in der psychischen Erkrankung des Tatverdächtigen. Die Jüdische Gemeinde reagiert irritiert.

Der Tatverdächtige befindet sich derzeit in einer psychiatrischen Einrichtung. Er soll, gekleidet in einen Tarnanzug der Bundeswehr, den 26-Jährigen am Eingang der Synagoge von hinten mit einem Spaten angegriffen haben. Der Angegriffene erlitt eine schwere Kopfverletzung und musste zunächst auf die Intensivstation eingeliefert werden. Der Sicherheitsdienst der jüdischen Gemeinde und die vor der Synagoge stationierten Polizist:innen konnten den Angreifer unmittelbar nach der Tat festnehmen.

„Die Ermittlungen haben ergeben, dass sich ein hinreichender Tatverdacht wegen versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung bestätigt hat“, sagt Frombach. Zwar seien keine niederen Beweggründe festgestellt worden, wohl aber sei die Tat heimtückisch gewesen.

Auch wenn in den Taschen des Angreifers ein Zettel mit einem aufgemalten Hakenkreuz gefunden wurde, scheide ein politisches Motiv für die Tat aus. Zwar stehe die Tat und das Motiv in Beziehung zum jüdischen Glauben. Diese Beziehung aber bestünde in erster Linie in der Krankheit des Tatverdächtigen. „Wir gehen wegen des Gesundheitszustands von der Schuldunfähigkeit des Tatverdächtigen aus“, sagt Frombach, nicht von einer politischen Tat.

Der Angriff hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt „Wie kann das noch mal, ein Jahr nach Halle, passieren?“, fragte Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky am Abend nach der Attacke. Die Tat fand wenige Tage vor dem Jahrestags des Anschlags auf die Synagoge von Halle an der Saale statt. In der Synagoge wurde gerade das jüdische Laubhüttenfest gefeiert. Bistritzky befand sich zum Tatzeitpunkt auf dem Weg zur Synagoge. Auch die Hamburger Polizei teilte anfangs diese Ansicht: „Aufgrund der derzeitigen Einschätzung der Gesamtumstände ist bei der Tat von einem antisemitisch motiviertem Angriff auszugehen.“

„Solche Taten geschehen nicht aus dem Nichts heraus“

Levi Salomon vom JFDA

Für Entsetzen sorgt nun die Ansicht der Staatsanwaltschaft, dass es keine politische Tat gewesen sei. „Es klingt sehr fernliegend, dass es sich nicht um eine antisemitische Tat gehandelt hat“, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Philipp Stricharz.

Das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) zeigt sich empört. „Solche Taten geschehen nicht aus dem Nichts heraus“, sagt deren Sprecher Levi Salomon. Schließlich sei gezielt ein Mensch vor einer Synagoge, der wegen des Tragens seiner Kippa auch als Jude erkannt werden konnte, angegriffen worden. „Zu denken, dass eine solche Tat unpolitisch und nicht antisemitisch sei, ist hanebüchen.“ Auch wenn jemand psychisch krank ist, müsse dessen Tat politisch betrachtet werden.

Nach Informationen des Spiegel meldete sich der Tatverdächtige 2016 zum freiwilligen Wehrdienst und blieb das Jahr über bei der Bundeswehr. Daher soll er im Besitz von Tarnkleidung gewesen sein, die er bei der Attacke trug. In Kürze muss das Hamburger Landgericht entscheiden, ob es die Klage zulässt. Wegen das Krankheitszustands des Tatverdächtigen könnte der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.