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Kein Ersatz für Soforthilfe

In der Corona-Krise wird das bedingungslose Grundeinkommen als Lösungsstrategie für die finanziellen Probleme diskutiert, in die viele BürgerInnen geraten. Die Debatte ist fehlgeleitet

Von Marco Carini

Krise als Chance. Weil der Corona-Lockdown Millionen Erwerbstätigen, vor allem Freiberuflerinnen und Solo-Selbstständigen, Mini-Jobbern und KleinunternehmerInnen, die materielle Lebensgrundlage entzieht, brandet im Windschatten der Krise eine alte Debatte neu auf: die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen.

„Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Corona-Krise“ fordert etwa eine bundesweite Online-Petition, die bereits über 450.000 Menschen unterzeichnet haben. Sechs Monate soll es zwischen 800 und 1.200 Euro monatlich vom Staat geben. Initiatorin ist die Berliner Modedesignerin Tonia Merz. Ihr geht es vor allem darum, „unzählige Selbstständige, Kreative, Musiker, Künstler, Veranstalter und Überlebenskünstler“ vor dem Ruin zu retten.

Doch das Grundeinkommen bekommen sollen alle: auch abgesicherte Beamte und Unternehmer aus Branchen, die von der Krise gar nicht betroffen sind. Das Geld soll mit der Gießkanne ausgeschüttet werden. Das aber würde, aktuell, ohne eine vernünftige Gegenfinanzierung, die Aufnahme von noch mehr Krediten durch den Staat nötig machen.

Der Vorschlag von Tonia Merz ist kurzfristig kaum umsetzbar, da es keine Struktur dafür gibt, die alle Berechtigten erfasst: Es existiert kein zentrales Melderegister und auch bei den Krankenkassen werden nicht alle BürgerInnen geführt.

Dennoch nimmt die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Corona-Krise Fahrt auf. In einer Zeit, in der viele Selbstständige und Freiberufler existenziell auf staatliche Hilfe angewiesen sind, wäre es doch so praktisch, gäbe es das Grundeinkommen schon und niemand müsste beim Staat betteln gehen, ohne abschätzen zu können, wie viel Finanzhilfe er bekommt und wann. Das Grundeinkommen, so suggerieren seine Befürworter, sei für Krisen wie diese wie gemacht. Und klang das, was Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) versprach, Sofort-Finanzhilfe für alle, ohne große bürokratische Kontrolle der genauen Bedürftigkeit, nicht schon ein bisschen nach Grundeinkommen?

Doch so richtig zueinander passen mögen das Grundeinkommen für alle und die Soforthilfe für Betroffene nicht. So ist Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg und entschiedener Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens, auch dagegen, „dass jetzt alles mit der Corona-Krise begründet wird“.

Parallelen zwischen Soforthilfe und Grundeinkommen sieht Straubhaar dennoch. „Wir sehen jetzt, dass in vielen Bereichen so etwas wie ein Grundeinkommen genutzt wird, um schnell und unbürokratisch Hilfe leisten zu können“, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Straubhaar weiter: „Was man auch sieht, ist, dass diese Bedingungslosigkeit eine Stärke ist, weil viele an sich ja gesunde Betriebe jetzt ohne eigenes Verschulden in die Krise kommen.“

Corona macht es möglich. ExpertInnen und solche, die sich dafür halten, melden sich mal gefragt, mal ungefragt zum Thema Grundeinkommen zu Wort. Sogar Ewald Lienen, Technischer Direktor des FC St. Pauli und selbsternannter Fachmann für alle sozialen Fragen nicht nur rund um das runde Leder, fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Nach-Corona-Zeit. Durch ein solches Grundeinkommen, so der ehemalige Bundesliga-Trainer auf dem Sportkanal Sky, könnten die Staaten „die lebensnotwendigen Grundbedürfnisse wie Wohnen, Ernährung und gesundheitliche Versorgung bis zu einem bestimmten Grad für alle absichern“.

Die spanische Regierung, schon lange am Thema dran und durch die Corona-Ausbreitung gewaltig unter Druck, ließ Wirtschaftsministerin Nadia Calviño in einem Fernseh-Interview vergangene Woche erklären, sie „sei dabei, ein lebenslanges Grundeinkommen“ zu koordinieren. Dieses sei „nicht nur für diese Ausnahmesituation, sondern für immer“.

„Die Idee ist einfach: Jeder Mensch, der dauerhaft in Deutschland lebt, bekommt monatlich vom Staat einen pauschalen Geldbetrag zur Verfügung gestellt“, skizziert das Hamburger Netzwerk Grundeinkommen die Idee. „Dieser Betrag ist so bemessen, dass er kein Leben in Luxus, aber die Befriedigung der Grundbedürfnisse und eine würdevolle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.“

So weit, so schlicht. Doch bei der Frage, wie ein Grundeinkommen für alle finanziert werden sollte und wer was bekommt, gehen die Meinungen schon auseinander. Modelle für ein bedingungsloses Grundeinkommen und entsprechende Finanzierungskonzepte gibt es fast so viele wie Befürworter.

Gemeinsam ist diesen Konzepten, dass jeder

Die zentralen Anforderungen an ein Grundeinkommens­modell lauten: Es muss allen Menschen ihre Existenz sichern, gleichzeitig aber auch genug Anreize schaffen, noch zu arbeiten

Bürger – vom Baby bis zum Greis – ohne Bedürftigkeitsnachweis und auch ohne die Bereitschaft zu arbeiten ein existenzsicherndes Einkommen erhält. Die heutigen Sozialleistungen vom Arbeitslosen- bis zum Kindergeld werden dadurch weitgehend ersetzt. Wer arbeitet, bekommt – als Anreiz – seinen Lohn oben drauf, muss allerdings auch mehr Abgaben zahlen, um das Grundeinkommen zu finanzieren.

Über die weitere Ausgestaltung des Modells aber gibt es unter den Befürwortern keine Einigkeit, was die Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen schwierig macht.

Die zentralen Anforderungen an ein Grundeinkommensmodell lauten: Es muss allen Menschen ihre Existenz sichern, gleichzeitig aber auch genug Anreize schaffen, noch zu arbeiten, um den Lebensstandard zu erhöhen. Und es muss finanzierbar sein – die Steuern der Unternehmen und der Grundeinkommens-BezieherInnen müssen ausreichen, um das System zu bezahlen. Zudem muss es sozial gerechter und ausgewogener sein als das System der heutigen Sozialleistungen, dass sehr auf individuellen Bedürftigkeiten und Bedarfen basiert.

In der Politik ist die Debatte längst angekommen. „In unserer Partei wird das Thema Grundeinkommen kräftig diskutiert“, sagt der Wirtschaftsexperte der Bürgerschaftsfraktion der Hamburger Linken, Norbert Hackbusch, und ergänzt: „Allerdings hängt auch vieles vom konkreten Modell des Grundeinkommens ab.“

Die Diskussion hat vor Corona begonnen und wird auch nach Corona nicht enden.

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