Berechnungen zu Covid19: Weitaus mehr Fälle als bekannt
Berechnungen zu Covid19 in China legen nahe, dass nicht erkannte Infizierte entscheidend für die Ausbreitung waren. Nötig wären darum mehr Tests.
Anhang der Daten der Erkrankten und den anhand von Handydaten aus dem Vorjahr ermittelten rund 3 Milliarden Reisebewegungen rund ums chinesische Neujahrsfest entwickelten sie ein mathematisches Modell zur Ausbreitung. Dies kam zum Ergebnis, dass in der Zeit vom 10. bis 23. Januar, also bevor in China großflächige Reisebeschränkungen in Kraft traten, mit großer Wahrscheinlichkeit 82 bis 90 Prozent aller Infektionen undokumentiert blieben. Als wahrscheinlichster Wert wird 86 Prozent genannt; demnach wurde nur jeder 7. Infizierte positiv getestet.
Grund für die fehlende Dokumentation ist, dass die Infektion in vielen Fällen nur milde Symptome zur Folge hatte, so dass keine Tests durchgeführt wurden. Durch die geringeren Symptome waren die nichtdokumentiert Infizierten den Berechnungen zufolge nur etwa halb so ansteckend wie die positiv gesteten. Doch durch ihren hohen Anteil an der Gesamtzahl waren sie dennoch für 79 Prozent aller dokumentierten Fälle verantwortlich, heißt es in der Studie.
Das Modell zeigt zudem, dass die Gegenmaßnahmen, die nach dem 23. Januar in Kraft traten, wirksam waren: Steckte jeder Infizierte vorher im Schnitt 2,4 weitere Personen an, sank diese Zahl zunächst auf 1,36, später sogar auf 0,99 – was bedeutet, dass das weitere Wachstum gestoppt ist.
Auch mit leichten Symptomen müsste getestet werden
Allerdings waren diese Maßnahmen in China deutlich weitreichender als die derzeit in Deutschland beschlossenen. Neben starken Reisebeschränkungen und verpflichtender Quarantäne für jeden mit Beschwerden gehörte dazu auch eine starke Ausweitung der Tests auf den Sars-CoV-2-Virus. Innerhalb von 3 Wochen wurden in der Region Wuhan über 320.000 Tests durchgeführt, wodurch die Zahl der unerkannten Infektionen stark zurückging: Statt 86 Prozent waren dem Modell zufolge nach dem 24. Januar nur noch 35 Prozent der Infektionen undokumentiert.
Für die Wissenschaftler sind die Konsequenzen darum klar: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine radikale Zunahme bei der Identifikation und Isolierung der derzeit undokumentierten Infektionen nötig wäre, um Sars-CoV-2 vollständig unter Kontrolle zu bringen“, schreiben sie. Das heißt, auch Menschen mit leichten Symptomen müssten getestet werden, um zu verhindern, dass sie das Virus auf weitere übertragen, weil ihnen nicht klar ist, dass sie infiziert sind.
Südkorea führt 15.000 Tests durch – pro Tag
Genau daran fehlt es aber in Deutschland derzeit. Getestet wird hier derzeit im Normalfall nur, wer deutliche Symptome hat und Kontakt zu einem nachweislich Infizierten hatte oder sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Eine genaue Zahl durchgeführter Tests gibt es nicht; für die Woche vom 3. bis 10. März gibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung an, dass etwa 35.000 Tests im Auftrag von Arztpraxen durchgeführt wurden; dazu kommen noch die Tests in Kliniken. Der Chef des Robert-Koch-Instituts nannte am Mittwoch weitaus höhere Zahlen: Bundesweit liegen die Testkapazitäten demnach bei bei etwa 160.000 pro Woche.
Auch die WHO hält massenhaftes Testen für entscheidend, um die Pandemie einzudämmen. Entscheidend für den Erfolg in China sei es gewesen, dass „jeder Verdachtsfall schnell getestet“ wurde, sagte WHO-Berater Bruce Aylward dem New Scientist. „Wenn man weiß, dass man infiziert ist, ist es wahrscheinlicher, dass man sich wirklich isoliert.“ Ob und wann auch in Deutschland die Tests ausgeweitet werden, ist aber offen. „Nicht jeder muss sich testen lassen“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf taz-Anfrage lediglich.
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